Brief 29

Über das Werk des heiligen Gabriel: die Berufung der Supernumerarier und ihre Sendung in der Heiligung der Welt und des Ehe- und Familienlebens. Das lateinische „Incipit“ lautet Dei amore. Der Brief ist unter dem 9. Januar 1959 datiert und wurde erstmals im Januar 1966 gedruckt.


Wir sind durch die Liebe Gottes erwählt worden, geliebte Töchter und Söhne, diesen Weg des Werkes – der immer jung und immer neu ist – zu leben, dieses menschliche und übernatürliche Abenteuer, das Miterlösung mit Christus ist, enge und innige Anteilnahme an der drängenden Sehnsucht Jesu, das Feuer überallhin zu tragen, das Er auf die Erde zu werfen gekommen ist1.

Er hat mit seinem Kreuz und mit seinem Sieg über den Tod den Schuldschein der Menschen zerrissen2 und uns alle um den unermesslichen und unendlichen Preis seines Blutes losgekauft: empti enim estis pretio magno3, wir sind um einen hohen Preis erkauft worden. Der ganzen Menschheit, ohne Ausnahme, hat Er die Möglichkeit eines neuen Lebens eröffnet, wiedergeboren zu werden im Geist, in ein siegreiches Leben einzutreten, so dass sie ausrufen können: Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben – wie sollte Er uns mit Ihm nicht alles schenken? ... Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.4 Welch herrlicher Gesang der Gewissheit, der Fülle, der Vergöttlichung, den anzustimmen sich der arme menschliche Lehm nie erträumt hätte!

Doch der Herr, der seine Erlösung allen Menschen ohne Unterschied des Volkes, der Rasse, der Sprache oder des Standes anbietet5, zwingt niemanden, sie anzunehmen. Er lässt die Menschen in Freiheit: Die Menschen wollen bisweilen nicht und nötigen Jesus, ihre niedrigen und egoistischen Entschuldigungen anzunehmen, ihre Absagen – habeme excusatum6 – auf seine liebevolle Einladung, am großen Gastmahl teilzunehmen.

Es ist schmerzlich festzustellen, dass es nach zwanzig Jahrhunderten so wenige Menschen auf der Welt gibt, die sich Christen nennen, und dass unter jenen, die sich Christen nennen, so wenige die wahre Lehre Jesu Christi besitzen. Ich habe euch hin und wieder erzählt, wie mir ein Mann, der kein schlechtes Herz hatte, aber ungläubig war, beim Betrachten einer Weltkarte sagte: Sehen Sie, von Norden bis Süden, von Osten bis Westen.Was soll ich denn sehen?, fragte ich ihn. Und seine Antwort war: Das Scheitern Christi. So viele Jahrhunderte lang bemüht man sich, seine Lehre in die Herzen der Menschen zu pflanzen, und da sehen Sie das Ergebnis: Es gibt keine Christen.

Zunächst erfasste mich Traurigkeit, doch dann Liebe und Dankbarkeit, denn der Herr hat uns zu freien Mitarbeitern an seinem Erlösungswerk machen wollen. Christus ist nicht gescheitert: Seine Lehre und sein Leben befruchten immerfort die Welt. Seine Erlösung ist ausreichend und überströmend. Aber Er behandelt uns als intelligente und freie Wesen und hat verfügt, dass wir auf geheimnisvolle Weise an unserem Leib – in unserem Leben – das vollenden, was an seinem Leiden noch fehlt, pro corpore eius, quod est Ecclesia7 [für seinen Leib, der die Kirche ist].

Das Erlösungswerk ist weiterhin im Gang, und ihr und ich, wir sind Miterlöser. Es lohnt sich, das Leben aufs Spiel zu setzen und Leiden auf sich zu nehmen, aus Liebe, um die Dinge Gottes voranzubringen und Ihm zu helfen, die Welt zu erlösen, um mitzuerlösen. Dieser Gedanke führt uns, euch und mich, dazu, zum Lob Gottes auszurufen: Laudationem Domini loquetur os meum; et benedicat omnis caro nomini sancto eius8, unser Mund lobe den Herrn, und alle Geschöpfe sollen seinen heiligen Namen preisen.

Wir dürfen nicht vergessen, meine Kinder, dass der Herr gesagt hat, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist9, denn als Er zuließ, dass der Mensch seine Freiheit missbrauchte, hat Er in Kauf genommen, dass bis zum Tag der Ernte das Unkraut und der gute Weizen gleichzeitig wachsen.10 Und das Böse ist aufgeblüht! Schon seit der Wiege der Kirche, noch zu Lebzeiten der Apostel, treten Irrlehren und Spaltungen auf. Verfolgungen durch die Heiden, in den ersten Zeiten des Christentums, der Islam, der Protestantismus,[1] und der Kommunismus heute. Auf dem Feld, das Gott auf Erden angelegt hat und das Christi Erbe ist, gedeiht Unkraut. Nicht nur Unkraut, Unkraut in Fülle!

Bevor nicht vom Himmel die Heilige Stadt, das neue Jerusalem – ein neuer Himmel und eine neue Erde11 – herabsteigt, wird es keine Waffenruhe in der Schlacht geben, welche der Herr der Herren, der König der Könige, und mit Ihm die Berufenen, Auserwählten und Treuen12 führen gegen die Diener des Tieres und den Sohn des Verderbens, der sich widersetzt und sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, erhebt, um sich sogar in den Tempel Gottes zu setzen und sich als Gott auszugeben13.

[1] „der Islam, der Protestantismus“: In den bisher veröffentlichten Schriften des heiligen Josefmaria findet sich keine vergleichbare Aufzählung. Auszuschließen ist, dass er einzelne Religionen verunglimpfen wollte – er greift hier den Islam und den Protestantismus beispielhaft heraus –, sondern es ging ihm um eines: die Trennung der Religionen als Widerspruch zum Wunsch Christi nach Einheit und daher als Übel – und Werk des Bösen – zu beklagen. Escrivá hielt die Einheit als eines der vier Wesensmerkmale der Kirche hoch und war auch persönlich darum bemüht, in vielen Feinheiten eine bedingungslose Einheit mit der Kirche und dem Papst zu leben. Zugleich war ihm wichtig, alle mit offenen Armen zu empfangen und verfügte, dass alle korporativen Werke des Opus Dei für jedermann, unabhängig nicht nur von Stand und Ethnie, sondern auch von Religion, offen sein müssen, denn letztlich sind alle Kinder Gottes. Ein Zitat aus der Homilie „Loyal zur Kirche“ (1972) illustriert seine Haltung: „Ich schätze alle aufrichtig: Katholiken und Nichtkatholiken, jene, die an etwas glauben, und jene, die nichts glauben und die mich traurig stimmen. Aber Christus hat eine einzige Kirche gegründet, Christus hat eine einzige Braut.“ (Anm. d. Übers.)

Auf Christus gegründeter Optimismus

Unser Optimismus ist kein alberner und anmaßender Optimismus, sondern Realismus. Deshalb dürfen wir die Gegenwart des Bösen in der Welt nicht ignorieren, aber auch nicht aufhören, die dringende Verantwortung zu spüren, von Christus einberufen worden zu sein, um mit Ihm seinen wunderbaren Kampf der Liebe und des Friedens zu kämpfen.

Schon vor einer Reihe von Jahren ließ ich eure Brüder auf einem Einkehrtag, den ich für sie hielt, die Lage der Welt betrachten, die sich seither nicht wesentlich verändert hat. Unter Verwendung eines bildlichen Vergleichs regte ich sie an, über jenen roten Fleck nachzusinnen, der sich rasch über die Erde ausbreitet, der alles niederreißt und selbst noch den geringsten übernatürlichen Sinn zerstören will; und über das Vordringen einer anderen sehr großen Woge der Sinnlichkeit – verzeiht mir: des Schwachsinns! –, denn die Menschen neigen dazu, wie Tiere zu leben.

Und dann lenkte ich ihre Aufmerksamkeit darauf, dass sich noch eine weitere Farbe zeigt, die besonders in den romanischen Ländern mehr und mehr vorrückt; auf eher heuchlerische Weise in anderen Ländern: das antiklerikale Klima – eines schlechten Antiklerikalismus –, das darauf abzielt, Gott und die Kirche auf den Grund des Gewissens zu verbannen oder, um es deutlicher auszudrücken, Gott und die Kirche ins Privatleben zu verbannen, ohne dass sich der persönliche Glaube im öffentlichen Leben äußert. Ich übertreibe nicht: Diese drei Gefahren sind konstant, offensichtlich und aggressiv.

Ihr dürft eure Augen – es wäre inakzeptabel bequem – vor dieser Wirklichkeit nicht verschließen. Nicht damit ihr einem reglosen und inaktiven Pessimismus verfallt, sondern damit ihr entbrennt und euch mit der heiligen Ungeduld Christi erfüllt, der raschen Schrittes und seine Jünger überholend – praecedebat illos Iesus14 – seine letzte Reise nach Jerusalem unternahm, um mit einer Taufe getauft zu werden, zu der ihn der Geist unentwegt gedrängt hatte.15

Möge sich auf euren Lippen und in euren Seelen stets jene entschiedene, frische und kühne Bejahung finden: possumus!16 Wir können es!, wenn ihr die Einladung des Herrn vernehmt: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken muss, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werden muss?17

Ein Kind Gottes in seinem Werk darf bei aller Gelassenheit, die ihm seine Gotteskindschaft verleiht, nicht gleichgültig bleiben angesichts einer Welt, die nicht christlich, ja nicht einmal menschlich ist. Denn viele Menschen haben – in der zeitlichen Ordnung – nicht einmal jene Lebensbedingungen erreicht, die eine Entfaltung des Geistes ermöglichen, und leben abgestumpft gegenüber allem, was nicht fleischlich ist. Auf sie lassen sich die Worte der Heiligen Schrift anwenden: Sie sindirdisch gesinnt und ohne Geist18. In diesen armen Seelen erfüllt sich, was der heilige Paulus beklagte: animalis autem homo non percipit ea quae sunt spiritus Dei19: denn diese armen Geschöpfe nehmen das geistliche Licht nicht wahr, sie können die Dinge, die vom Geiste Gottes sind, nicht erkennen.

Wendet eure Augen nun aber jenen Völkern zu, die ein fast unglaubliches Wachstum an Kultur und Fortschritt erreicht haben; die in wenigen Jahren eine wunderbare technische Entwicklung vollzogen haben, die ihnen einen hohen materiellen Lebensstandard verschafft. Ihre Forschungen – es ist großartig, wie Gott dem menschlichen Verstand beisteht – hätten sie dazu bewegen sollen, sich Gott zu nähern, denn in dem Maße, in dem es sich um wahre und gute Realitäten handelt, kommen sie von Gott und führen zu Ihm hin.

So ist es aber nicht: Auch sie sind, trotz ihres Fortschritts, nicht menschlicher. Und sie können es nicht sein, denn wenn die göttliche Dimension fehlt, ist das menschliche Leben – so groß die erlangte materielle Perfektion auch sein mag – tierisches Leben. Erst wenn er sich dem religiösen Horizont öffnet, erreicht der Mensch den Höhepunkt seines Strebens, sich vom Tier zu unterscheiden. Die Religion ist in gewisser Hinsicht die größte Rebellion des Menschen, der kein Tier sein will.

In der religiösen Ordnung, meine Töchter und Söhne, gibt es keinen Fortschritt, keine Möglichkeit der Weiterentwicklung. Der Gipfel dieses Fortschritts ist schon erreicht: Christus, Alpha und Omega, Anfang und Ende.20 Deshalb gibt es im geistlichen Leben nichts zu erfinden; man kann nur darum kämpfen, mit Christus gleichförmig zu werden, ein anderer Christus zu werden – ipse Christus –, sich in Christus zu verlieben und aus Ihm zu leben, der derselbe ist gestern und heute und in Ewigkeit: Iesus Christus heri et hodie, ipse et in saecula.21 Versteht ihr, warum ich euch immer wieder sage, dass ich euch kein anderes Rezept geben kann als dieses: persönliche Heiligkeit? Es gibt nichts anderes, meine Kinder; es gibt nichts anderes.

Ferment, um die Menschen zu vergöttlichen

Es bedarf eines Ferments, eines Sauerteigs, der die Menschen vergöttlicht und sie, indem er sie göttlich macht, zugleich wahrhaft menschlich macht. Sogar viele von denen, die sich als Jünger Christi bezeichnen, selbst jene, die sich fromm geben, haben dieses Ferment nötig. Der Sauerteig macht den Teig zart und leicht, lockert ihn auf, veredelt ihn und verleiht ihm die Beschaffenheit, die ihn für den Verzehr tauglich macht. Ohne Ferment würden Mehl und Wasser lediglich eine dicke, schwer verdauliche und ungesunde Masse ergeben.

Gott unser Herr hat sich in Zeiten großer Abtrünnigkeitsbewegungen stets einen Rest an treuen Menschen bewahrt, die als Sauerteig in der Masse wirken sollten. Ein Rest wird zurückkehren zum starken Gott, der Rest Jakobs. Israel, wenn auch dein Volk so zahlreich ist wie der Sand am Meer – nur ein Rest wird zurückkehren22. Ein Rest an Früchten verbleibt am Ölbaum, wenn man ihn schüttelt bei der Nachlese, wenn die Ernte vorüber ist23, sagten die Propheten. Ebenso gibt es auch in der gegenwärtigen Zeit einen Rest, schrieb der heilige Paulus an die Römer, der aus reiner Gnade erwählt ist.24 Jesus hat einige wenige als Ferment genommen: jene Gruppe von heiligen Männern und heiligen Frauen, die mit den ersten Jüngern zusammenwirkten und in deren Herzen Er eine wunderbare Saat ausgesät hatte.

Eure ersten Brüder machte ich darauf aufmerksam, dass wir nur wenige waren. Und mit fester Sicherheit sagte ich zu ihnen: Umso besser! Massen stehen uns gegenüber? Wir aber sind durch die Liebe geeint. Und auch wenn sie scheinbar geeint sind, leben sie in Wirklichkeit voneinander getrennt, weil der Hass sie geeint hat. Der Hass, der immer bestanden hat und der einem egoistischen Leben entspringt, dem ewigen Kampf der aufbegehrenden Geschöpfe gegen ihren Schöpfer. Und ich fügte noch hinzu: Wollen wir mehr sein? Dann lasst uns besser sein!

Kinder meiner Seele, die Wirkung des Sauerteigs setzt nicht plötzlich ein, auch nicht gewaltsam oder teilweise, sondern langsam, ohne Eile, aus der inneren Kraft, die auf die ganze Masse wirkt. Und ihr könnt – heute, da wir dank der Gnade Gottes viele sind – das Wirken eines Ferments feststellen: des Ferments jener wenigen der ersten Stunde, die an Gott und an diesen armen Sünder geglaubt haben, die ein wirksamer Sauerteig waren – wie ihr es jetzt seid, in einer fast universalen Ausdehnung –, kraft ihres übernatürlichen Lebens, ihrer Arbeit und ihres freudigen Opfergeistes.

Jahre lang hat mich die Betrachtung des Verlangens Jesu, die Welt mit seinem Feuer in Brand zu setzen, in Liebe zu Gott entflammt. Und ich vermochte jenen Überschwang nicht zurückzuhalten, der ungestüm in meiner Seele aufbrandete und laut, mit den Worten des Herrn selbst, aus meinem Mund hervorbrach: ignem veni mittere in terram, et quid volo nisi ut accendatur? ... Ecce ego quia vocasti me25. Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich anderes, als dass es brenne? ... Hier bin ich, denn Du hast mich gerufen.

Alle meine Kinder sollen den großmütigen Wunsch verspüren, sich mit aller Kraft und dem nötigen Opfer dafür einzusetzen, dass die geknebelten und erschlafften Energien der Menschen im Dienst Gottes wieder aktiv werden, indem sie sich jenen Ruf des Herrn zu eigen machen – misereor super turbam26 [ich habe Mitleid mit diesen Menschen] – und Zuneigung zur Menge fassen.

Niemand kann im Opus Dei sorglos leben und nicht unruhig werden angesichts der entpersonalisierten Massen: Rinderherden, Schafherden, Schweineherden, sagte ich manchmal euch gegenüber. So viele edle Leidenschaften stecken hinter dieser scheinbaren Gleichgültigkeit, so viele Möglichkeiten! Es ist notwendig, allen zu dienen, jedem die Hände aufzulegen, wie Jesus es getan hat – singulis manus imponens27 –, um sie zum Leben zurückzuholen, um sie zu heilen, um ihren Verstand zu erleuchten und ihren Willen zu kräftigen, damit sie nützlich seien! Und dann werden wir aus der Rinderherde ein Heer machen, aus der Schafherde eine Truppe, und aus der Schweineherde werden wir jene herausholen, die nicht unrein sein wollen.

Das Werk verströmt heute den Duft eines reifen Feldes28, und man benötigt – angesichts der Fruchtbarkeit unserer Arbeit – keinen Glauben, um zu erkennen, dass der Herr sie mit vollen Händen gesegnet hat. Jahre sind es her, dass ich im Gebet, voll Dankbarkeit gegenüber dem Herrn, auf das Werk jenes Lied aus meiner Heimat sang: Kleine Knospe, schöne Knospe, / jetzt wirst du zur Rose, / und es nahet schon die Zeit, / dir allerlei zu sagen. Meine Kinder, heute haltet ihr die schönsten Rosen in Händen, herrliche Rosen, auch wenn sie Dornen tragen. Nun ist der Augenblick gekommen, nicht zu schlafen, sondern sich aufzuschwingen, um die mit so viel Mühe gewonnene Ernte einzubringen und sie Jesus Christus und seiner Heiligen Kirche zu übergeben.

Arbeit vom heiligen Gabriel: der ganzen Gesellschaft christlichen Sinn verleihen

Unser gesamtes apostolisches Wirken trägt unmittelbar dazu bei, der menschlichen Gesellschaft christlichen Sinn zu verleihen; aber mit dem Werk des heiligen Gabriel erfüllen wir alle Tätigkeiten der Welt mit übernatürlichem Inhalt, der – in dem Maße, wie es sich ausbreitet – wirksam zur Lösung der großen Menschheitsprobleme beitragen wird.

Unter den Supernumerariern gibt es ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Stellungen, Berufen und Tätigkeiten. Diese meine Kinder – Männer wie Frauen – heiligen alle Gelegenheiten und Umstände ihres Lebens und widmen sich innerhalb ihres jeweiligen Stands und ihrer Situation in der Welt dem Streben nach der christlichen Vollkommenheit in der Fülle der Berufung.

Ich sage in der Fülle der Berufung, weil sie sich bemühen – in den Umständen, in die Gott sie durch seine Vorsehung gestellt hat –, mit vollkommener Großzügigkeit dem nachzukommen, worum der Herr sie durch ihre Berufung zum Werk bittet: als verantwortungsbewusste katholische Bürger der Heiligen Kirche, dem Papst und allen Seelen vorbehaltlos zu dienen.

Die Mehrheit meiner Supernumerarier-Kinder lebt im Ehestand. Die eheliche Liebe und die ehelichen Pflichten sind für sie Teil ihrer göttlichen Berufung. Das Opus Dei hat aus der Ehe einen göttlichen Weg, eine Berufung gemacht. Seit mehr als dreißig Jahren versuche ich, unzähligen Menschen den Sinn der Ehe als Berufung begreiflich zu machen. Und obwohl wir lehren, dass die Jungfräulichkeit und auch die vollkommene Keuschheit über der Ehe stehen – das sage nicht ich, das hat die Kirche so definiert[2] –, haben wir die Ehe in den Rang einer Berufung erhoben. Mehr als einmal habe ich die Augen von Männern und Frauen aufleuchten sehen, die geglaubt hatten, in ihrem Leben sei die Hingabe mit einer edlen und reinen Liebe nicht vereinbar, wenn sie mich sagen hörten, dass die Ehe ein göttlicher Weg auf Erden ist! Später werde ich auf diesen Punkt noch zurückkommen.

[2] „das hat die Kirche so definiert“: vgl. Konzil von Trient, Sessio XXIV, 11.11. 1563, Dekret über das Sakrament der Ehe, Kanon 10. (Anm. d. Hrsg.)

Unter den Jüngern Christi war die gesamte Gesellschaft seiner Zeit vertreten: Ihm folgten die schlichten Leute aus dem Volk ebenso wie die einflussreichen Männer. Oft habe ich eure Aufmerksamkeit auf jene zwei Jünger gelenkt: Nikodemus, Schriftgelehrter und führende Persönlichkeit unten den Juden – vielleicht Mitglied des Sanhedrin –, und Joseph von Arimathäa, ein reicher Mann, der der Laienaristokratie des obersten Gerichts in Jerusalem angehörte. Sie wirkten unauffällig und still, standen im öffentlichen Leben fest zu den Geboten ihres Gewissens29 und waren tapfer und kühn, ohne sich zu verbergen, wenn es schwierig wurde30. Ich bin davon überzeugt – und habe es euch mehrmals gesagt –, dass diese beiden Männer, würden sie heute leben, die Berufung der Supernumerarier des Opus Dei sehr gut verstehen würden.

Gerade so wie unter den ersten Jüngern Christi ist auch unter unseren Supernumerariern die gesamte Gesellschaft der Gegenwart vertreten und wird es immer sein: Intellektuelle und Geschäftsleute; Fachkräfte und Handwerker; Unternehmer und Arbeiter; Leute aus der Welt der Diplomatie, des Handels, der Landwirtschaft, der Finanzen und der Geisteswissenschaften; Journalisten, Theater-, Film- und Zirkusleute, Sportler. Junge und Alte, Gesunde und Kranke. Eine desorganisierte Organisation wie das Leben selbst, wunderbar; eine wahre und echte apostolische Spezialisierung, denn alle menschlichen Berufe, die sauber und ehrenwert sind, werden apostolisch, werden göttlich.

Uns interessieren Leute aus allen Berufen und Tätigkeitsfeldern, aus allen gesellschaftlichen Stellungen, aus ganz unterschiedlichen Situationen, die es in diesem Gewebe gegenseitiger Dienstleistungen, das die Gesellschaft ist, gibt oder geben kann. Denn dieses ganze Zusammenspiel lebendiger Beziehungen soll durchwirkt werden vom Sauerteig Christi.

Macht euch klar, meine Kinder, dass wir keinem Beruf und keiner gesellschaftlichen Stellung den anderen gegenüber einen Vorrang einräumen[3]. Der Wert, auf den es uns – ohne Diskriminierungen, ohne Klassendenken – in ihnen allen ankommt, ist ihr Dienst an der Gemeinschaft. Deshalb schätzen und würdigen wir selbst jene beruflichen Tätigkeiten, die in den Augen einiger Menschen wenig gesellschaftliches Prestige haben. Alle diese Arbeiten tragen zum zeitlichen Wohl der gesamten Menschheit bei und, wenn sie mit Vollkommenheit und aus einem übernatürlichen Beweggrund heraus verrichtet werden – wenn sie auf eine übernatürliche Ebene gehoben werden –, auch zum göttlichen Werk der Erlösung; sie fördern die Geschwisterlichkeit unter allen Menschen und stärken ihr Bewusstsein, Mitglieder der großen Familie der Kinder Gottes zu sein.

Wir nehmen niemanden von seinem Platz weg. Dort, unter den Umständen, unter welchen er den Ruf Gottes vernommen hat, soll sich jeder heiligen und seine eigene Umgebung heiligen, die menschliche Parzelle, der er sich verbunden fühlt und die sein Dasein in der Welt rechtfertigt. Auch darin denken wir wie die ersten Christen.

Erinnert euch an die Worte, die Paulus an die Christen von Korinth richtete: Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem er berufen wurde. Wenn du zur Knechtschaft berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; auch wenn du frei werden kannst, nütze lieber deine Knechtschaft aus![4] Denn wer im Herrn als Knecht berufen wurde, ist Freigelassener des Herrn. Ebenso ist einer, der als Freier berufen wurde, Knecht Christi. Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Macht euch nicht zu Sklaven der Menschen! Brüder, jeder soll vor Gott in dem Stand bleiben, in dem er von Ihm berufen wurde.31

[3] „dass wir keinem Beruf und keiner gesellschaftlichen Stellung den anderen gegenüber einen Vorrang einräumen“: Es ist richtig, dass der heilige Josefmaria als ein spezifisches Ziel des Opus Dei – wegen der Rückwirkung auf die übrige Gesellschaft – den christlichen Einfluss auf die „Intellektuellen“ genannt hat, womit er vor allem Journalisten, Politiker oder Lehrbeauftragte an den Universitäten meinte. Daneben zeigt sich aber bereits in den ältesten Dokumenten, die wir besitzen, sein Bestreben, Arbeiter, Angestellte, Künstler, Krankenschwestern usw. zu erreichen, also Personen aller Berufe und gesellschaftlichen Positionen, unter denen er Menschen finden wird, die bereit sind, sich dem Opus Dei anzuschließen. In seinen Aufzeichnungen, Nr. 373 vom 3.11.1931, liest man: „Mit Gottes Hilfe und der Billigung des Beichtvaters werde ich versuchen, bald eine kleine eigene Gruppe von ausgewählten Arbeitern zu versammeln.“ (Anm. des Hrsg.)

[4] „auch wenn du frei werden kannst, nütze lieber deine Knechtschaft aus“: Eine andere mögliche Lesart, die auch die deutsche Einheitsübersetzung (2016) bietet, lautet: aber wenn du frei werden kannst, mach lieber Gebrauch davon. (Anm. d. Hrsg. und d. Übers.)

Alle Tätigkeiten der Welt mit christlichem Geist durchtränken

Sucht auf allen gesellschaftlichen Ebenen – mit der Gnade Gottes – besonders unter jenen Personen Berufungen für sein Werk, die sich aufgrund ihrer Berufsarbeit an vitalen Zentren des menschlichen Zusammenlebens befinden, an jenen Stellen, die gleichsam Knotenpunkte oder Treff- und Kreuzungspunkte dichter Sozialkontakte darstellen.

Ich beziehe mich nicht nur auf Leitungspositionen eines nationalen oder höheren Gemeinwesens, von denen aus – mit Dienstgeist – viel Gutes getan werden kann, damit die Gesellschaft gemäß den Forderungen Christi gestaltet wird, die den wahren Frieden und den echten sozialen Fortschritt gewährleisten.

Ich beziehe mich auch – denn sie sind ebenso interessant oder noch interessanter – auf jene Stellen, Berufe oder Tätigkeiten, die im Bereich der kleineren Gemeinwesen ihrem Wesen nach Drehscheibe für eine Vielzahl von Menschen sind. Von dort aus kann man deren Meinung christlich bilden, auf deren Mentalität Einfluss nehmen und deren Gewissen wachrufen, mit diesem beharrlichen Eifer, die Lehre zu verbreiten, der alle Kinder Gottes in seinem Werk kennzeichnen soll.

Deshalb habe ich euch oft gesagt, dass es wichtig ist – wichtig für Gott, unseren Herrn –, dass es viele Berufungen unter jenen Leuten gibt, die Schlüsselpositionen in den Dörfern einnehmen: Beamte in der Ortsverwaltung – Sachbearbeiter, Gemeinderäte –, Lehrer, Friseure, Zusteller, Apotheker, Hebammen, Briefträger, Kellner, Hausangestellte, Zeitungsverkäufer, kaufmännische Angestellte usw.

Unsere Arbeit soll das letzte Dorf erreichen; denn der Wunsch nach Liebe und Frieden, der uns bewegt, wird jedwede Tätigkeit in der Welt mit christlichem Geist durchtränken – durch diese kapillare Arbeit, die darauf abzielt, die Lebenszellen, aus denen die höheren Gemeinwesen aufgebaut sind, christlich zu prägen. Es darf kein Dorf mehr geben, wo nicht irgendein Supernumerarier unseren Geist ausstrahlt. Und dieser Sohn von mir wird sich, wie es unserer traditionellen Vorgehensweise entspricht, sofort darum bemühen, andere mit seiner heiligen Unruhe anzustecken; und bald wird es dort eine Gruppe von Kindern Gottes in seinem Werk geben, die man – durch die notwendigen Reisen und Besuche – angemessen betreut, damit sie nicht erschlaffen, sondern voll Eifer aktiv bleiben.

Nach diesem Hinweis auf die vollständige Verschiedenheit der Mitglieder wird unsere Pluralität perfekt verständlich. In allem, was den Glauben oder den Geist des Opus Dei ausmacht, die wir als unseren kleinsten gemeinsamen Nenner betrachten, dürfen wir in der Wir-Form sprechen. In allen anderen Bereichen, in allen zeitlichen Dingen und auch im theologischen Bereich, soweit er der freien Meinungsbildung überlassen ist – ein riesig großer und vollkommen freier Zähler – kann keines meiner Kinder in der Wir-Form reden. Hier gilt nur das ich, du, er, sie.

Ihr wisst sehr gut, meine Kinder, dass unsere apostolische Arbeit keine spezialisierte Zielsetzung hat: Sie hat alle Spezialisierungen[5], denn sie wurzelt in der Verschiedenheit der Spezialisierungen des menschlichen Lebens selbst. Sie veredelt alle Dienste, die Menschen füreinander im Gefüge der menschlichen Gesellschaft leisten, erhebt sie zur übernatürlichen Ordnung und verwandelt sie in echte Arbeit an den Seelen.

In den letzten Jahrhunderten haben die Mitglieder der aktiven Orden in ihrem Bemühen, sich der Welt – wenn auch immer von außen her – zu nähern, versucht, ihr Apostolat zu spezialisieren und bestimmten menschlichen Aufgabenbereichen wie der Erziehung, Wohltätigkeit usw. christlichen Geist einzuhauchen. Das war eine verdienstvolle Arbeit, wenn sie auch oft nicht so sehr zum Ziel hatte, die eigene Berufung der Ordensleute auszugestalten oder zum Ausdruck zu bringen, als vielmehr den Mangel an Initiative seitens der katholischen Bürger wettzumachen. Vielleicht weil ihre christliche Bildung vernachlässigt worden war, fühlten sich diese nicht verantwortlich, die zeitlichen Einrichtungen zu verchristlichen.

Doch sahen sich die Ordensleute in dieser Bemühung – die für ihre Berufung nicht spezifisch ist, sondern durch die sie für andere einspringen –, auf der Suche nach der Spezialisierung also, eingeschränkt; denn es gibt viele menschliche Bereiche, die zwar edel und rein, mit dem Ordensstand aber gänzlich unvereinbar sind, weil dessen hauptsächliche Sendung darin besteht, der Welt – von der sie sich heiligmäßig getrennt haben – das Zeugnis ihres geweihten Lebens darzubieten. Zudem verdrängt der Laizismus in letzter Zeit in vielen, auch katholischen Ländern die Ordensleute aus den Schulen und Wohltätigkeitseinrichtungen oder schränkt zumindest ihre nicht ausschließlich religiösen Tätigkeiten ein.

Mit dem Apostolat des Werkes ergreifen nun die Laien, ohne in irgendeiner Weise für andere einzuspringen,[6] im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung von dem spezifischen Feld Besitz, das ihnen Gott als Ort ihrer Sendung in der Kirche zugewiesen hat, und sie widmen sich einem Apostolat, dessen Möglichkeiten der Spezialisierung nahezu unabsehbar sind. Denn zum einen fallen diese mit der ganzen Bandbreite der menschlichen Arbeit und ihren sozialen Funktionen zusammen, und zum anderen ist dieses Apostolat, ohne Bewegungseinschränkung, für alle Strukturveränderungen offen, die sich im Laufe der Zeit im Gesellschaftssystem ergeben können.

Ich komme jetzt nicht umhin zu erwägen, dass es sehr schwierig ist, dass die Ordensleute eine säkulare und gewöhnliche Berufung zur Arbeit verspüren – hätten sie diese gehabt, wären sie nicht Ordensleute –; und dass ihre Ausbildung für eine berufliche Arbeit schwierig, teuer, aufgesetzt und künstlich ist. Ich denke, dass nur relativ wenige von ihnen unter diesen Umständen das durchschnittliche Berufsniveau der allgemeinen Bevölkerung erreichen könnten.

[5] „sie hat alle Spezialisierungen“: Im Bereich des Laienapostolats wurde jahrelang debattiert, ob es besser ist, sich an das zentralisierte und traditionelle Modell der Katholischen Aktion zu halten, das auf die Mitarbeit der Laien an den pfarrlichen Aktivitäten abzielt, oder ob ein „spezialisiertes“ Modell vorzuziehen ist, das die Beteiligung des aktiven Katholiken an den gesellschaftlichen Problemen seiner Umgebung im Auge hat. Für das Opus Dei ist nach den Aussagen seines Gründers jede anständige Arbeit oder Tätigkeit Werkzeug des Apostolats, weshalb das Opus Dei „alle Spezialisierungen“ des Lebens selbst kennt. (Anm. d. Hrsg.)

[6] „ohne in irgendeiner Weise einzuspringen“: Der Autor möchte darauf aufmerksam machen, dass das Apostolat der Laien des Opus Dei in der Welt ihre „Sendung in der Kirche“ ist, der sie, wie er im nächsten Absatz sagen wird, durch ihre „säkulare und gewöhnliche berufliche Berufung“ nachkommen. Es verdrängt nicht das Apostolat, das die Ordensleute auf selbstlose Weise in der Welt verrichten – der heilige Josefmaria erhielt selbst den Impuls, sich Gott ganz hinzugeben, anlässlich des heroischen Beispiels eines Ordensmanns –, noch betrachtet es sich als besser; es ist schlicht und einfach verschieden, denn es beruht nicht auf einer Berufung zum geweihten Leben, sondern auf der Taufe, durch die Gott alle dazu bestimmt, missionarische Jünger Christi zu sein. (Anm. d. Hrsg.)

Sorge und Verantwortung für die ganze Heilige Kirche

Aus diesem Grund können wir sagen, meine Kinder, dass auf uns die Sorge und Verantwortung für die ganze Heilige Kirche lastet – sollicitudo totius Sanctae Ecclesiae Dei –, nicht nur für diese oder jene konkrete Parzelle. Indem wir die offizielle – rechtliche, de iure divino – Verantwortung des Papstes und der Ortsbischöfe unterstützen, dienen wir der ganzen Kirche mit einer Verantwortung, die nicht rechtlich ist, sondern geistlich, asketisch, aus Liebe, durch einen Dienst, der beruflichen Charakter hat und von Bürgern geleistet wird, die das christliche Zeugnis des Beispiels und der Lehre bis in die letzten Winkel der Zivilgesellschaft tragen.

Die Geschichte zeigt die entscheidende Rolle auf, die, in schwierigen Zeiten für die Einheit der Kirche, die Werke universalen Charakters gespielt haben – wie die Orden und die religiösen Kongregationen. Aufgrund einer Berufung, die mit jener der Ordensleute nichts zu tun hat, bilden wir eine Vereinigung universalen Charakters mit einer gleichfalls universalen internen Hierarchie, die uns klar von den sogenannten Apostolatsbewegungen unterscheidet[7] und uns zu einem einheitsstiftenden und wirksamen Werkzeug im Dienst der Kirche und des Papstes macht.

[7] „die uns klar von den sogenannten Apostolatsbewegungen unterscheidet“: Soziologisch und apostolisch sind die Unterschiede zu den Bewegungen gering; die Verschiedenheit liegt – für den heiligen Josefmaria – in der Universalität sowohl des pastoralen Phänomens, das das Opus Dei darstellt, als auch an seiner internen Hierarchie. Diese Verschiedenheit bedeutet aber nicht Distanz zu jenen, mit denen es dasselbe Verlangen nach Heiligkeit in der Welt, das Evangelisierungsbestreben, den Dienst an der Kirche und die Bande der Brüderlichkeit und der Gemeinschaft teilt. (Anm. d. Hrsg.)

Eure Wirksamkeit, meine Kinder, wird Folge eurer persönlichen Heiligkeit sein, die in verantwortungsvollen Werken aufgeht, die sich nicht in der Anonymität verbergen werden. Christus Jesus, der gute Sämann, hält uns – wie Getreidekörner – fest in seiner verwundeten Hand, durchtränkt uns mit seinem Blut, reinigt uns, säubert uns, berauscht uns! Und dann wirft Er uns großzügig in die Welt hinaus, einen nach dem anderen, so wie seine Kinder im Opus Dei über die Erde verstreut sein sollen. Denn das Getreide sät man nicht sackweise aus, sondern Korn für Korn.

Ihr seid Licht im Herrn. Lebt daher als Kinder des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor32. Es ist unvorstellbar – es wäre eine Täuschung, ein Doppelleben, eine Komödie –, dass das Leben eines meiner Söhne nicht reiche apostolische Früchte bringt. Ich sage euch einmal mehr, dass ein solcher Sohn von mir tot wäre, in Verwesung begriffen: iam foetet.33 Und ihr wisst es wohl, dass ich Leichen pietätvoll bestatte.

Durch den individuellen Umgang mit euren Berufskollegen, mit euren Verwandten, Freunden und Nachbarn werdet ihr sie in einem Bemühen, das ich oft Apostolat der Freundschaft und des vertraulichen Gesprächs genannt habe, aus ihrer Schläfrigkeit wachrütteln, ihrem egoistischen und spießbürgerlichen Dasein weite Horizonte eröffnen und ihnen das Leben verkomplizieren, indem ihr sie dazu bringt, sich selbst zu vergessen und die Probleme ihrer Mitmenschen zu verstehen. Seid davon überzeugt: Wenn ihr ihnen das Leben verkompliziert, werdet ihr sie – ihr habt darin Erfahrung – zum gaudium cum pace führen: zur Freude und zum Frieden.

Dieses Apostolat – das keine anarchische Tätigkeit ist, weil ihr darin die doktrinellen und praktischen Hinweise eurer Leiter befolgt – wird, wenn ihr es beharrlich umsetzt, um euch herum eine Atmosphäre der Gelassenheit schaffen und eure Heime in ein Abbild der Hauswesen der ersten christlichen Gläubigen verwandeln.

In Ausübung dieser individuellen apostolischen Arbeit seid ihr bemüht, die Menschen, mit denen ihr Umgang pflegt, an die kollektiven geistlichen und doktrinellen Bildungsmittel, die das Werk organisiert, heranzuführen – zum Beispiel Besinnungstage, Vorträge und Kreise – sowie an die geistliche Leitung durch unsere Priester. Denn diese Mittel sind sehr wirksam – sie sind notwendig –, um die Betreuung dieser Seelen, um die jeder von euch sich kümmert, zu vervollständigen, indem ihr euer berufliches Leben, eure Stellung in der Welt und eure familiäre Situation ausnützt; indem ihr alles ausnützt, denn alles ist Mittel des Apostolats.

Doch ihr könnt es nicht dabei belassen. Ihr dürft euch nicht damit zufriedengeben, dass ihr einige eurer Verwandten oder Freunde zu einem Einkehrtag mitgenommen oder mit einem Priester des Werkes in Kontakt gebracht habt. Hier endet nicht eure apostolische Arbeit. Denn ihr sollt euch auch vollständig darüber im Klaren sein, dass ihr ein überaus fruchtbares Apostolat entfaltet, wenn ihr euch anstrengt, die Berufsfelder, Einrichtungen und die menschlichen Strukturen, in denen ihr arbeitet und euch bewegt, in christlichem Sinn auszurichten.

Dafür zu sorgen, dass diese Einrichtungen und diese Strukturen sich nach den Prinzipien einer christlichen Lebensauffassung richten, heißt, ein weit ausgedehntes Apostolat vollbringen. Denn wenn ihr auf diese Weise den Geist der Gerechtigkeit verwirklicht, sichert ihr den Menschen die Mittel für ein Leben im Einklang mit ihrer Würde und ermöglicht es vielen Seelen, mit der Gnade Gottes der christlichen Berufung persönlich entsprechen zu können.

Wenn ihr mich hier über Gerechtigkeit sprechen hört, dürft ihr dieses Wort nicht in einem engen Sinn verstehen, denn, damit die Menschen glücklich sind, reicht es nicht aus, ihre gegenseitigen Beziehungen auf die Grundlage der Gerechtigkeit zu stellen, die kalt jedem das Seine gibt. Ich rede zu euch von Liebe, die die Gerechtigkeit voraussetzt und überbordet; und von der Liebe Christi, die nicht offizielle Liebe ist, sondern liebevolle Zuwendung.

Saat des Friedens und der Liebe

Wenn ihr daher in der Gesellschaft wirkt, dann hütet euch davor, Menschen in Gegensatz zu anderen zu bringen, denn ein Christ darf kein Klassen- oder Kastendenken haben. Erniedrigt nicht die einen, um andere emporzuheben, denn dahinter verbirgt sich immer eine materialistische Auffassung. Gebt allen die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit zu entfalten und durch ihre Arbeit ihr Leben zu heben. Begnügt euch nicht damit, Hass zu vermeiden, denn unser gemeinsamer Nenner muss es sein, eine Aussaat des Friedens und der Liebe vorzunehmen.

Wenn ihr eure Arbeit beginnt, egal welcher Art sie ist, dann prüft in der Gegenwart Gottes, ob der Geist, der diese Arbeit inspiriert, wirklich christlicher Geist ist. Und habt dabei vor Augen, dass der Wandel der historischen Umstände – mit den Anpassungen, die sich für die Gestaltung der Gesellschaft daraus ergeben – zur Folge haben kann, dass etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt gerecht und gut war, auch einmal aufhört, gerecht und gut zu sein. Daher soll es bei euch stets Raum für konstruktive Kritik geben, die dem lähmenden und zerstörerischen Wirken der Trägheit den Boden entzieht.

Es ist unsere Aufgabe, jeden edlen menschlichen Wert für Christus zu erobern: Seid bedacht auf das, was wahrhaft, edel, recht, lauter, liebenswert, tugendhaft und des Lobes würdig ist!34 Jede Wirklichkeit, die im Leben der Menschen auftritt, müssen wir sofort zu Gott führen, indem wir ihren göttlichen Sinn entdecken. Deshalb dürft ihr niemals – darauf habe ich euch oft hingewiesen – den übernatürlichen Gesichtspunkt verlieren. Alles, was ihr in Wort oder Werk tut, das tut im Namen des Herrn Jesus, indem ihr Gott Vater durch Ihn dankt.35

Da ihr in die zeitlichen Strukturen eingebunden und immer auf dem Laufenden seid, werdet ihr nie, wie man heute sagt, ein aggiornamento benötigen. Denn ihr werdet jederzeit eine Hoffnung haben, die der Welt über alle Epochen hinweg verständnis- und verantwortungsvoll begegnet, und euch dafür einsetzen, dass die Werte der Freiheit und der Menschenwürde geachtet werden, immer im Geist der Einheit und der Liebe in diesem Dienst.

Der Herr hat gewollt, dass wir durch unsere Berufung jene optimistische Sicht der Schöpfung aufzeigen, jene Liebe zur Welt, die dem Christentum eigen ist. Niemals darf in eurer Arbeit oder in eurem Einsatz für den Aufbau der irdischen Stadt die Begeisterung fehlen. Zugleich seid ihr freilich als Jünger Christi, die das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt haben36, darum bemüht, in euch das Gespür für die Sünde und die großzügige Wiedergutmachung stets lebendig zu halten, im Gegensatz zum falschen Optimismus jener, die als Feinde des Kreuzes Christi37 alles am Fortschritt und an den menschlichen Energien messen.

Sie begehen die große Sünde, die Sünde zu vergessen, von der einige meinen, sie hätten sie abgeschafft. Sie bedenken nicht, dass es Teil der Heilsökonomie ist, dass das Weizenkorn, um fruchtbar zu sein, in die Erde fallen und sterben muss.38Das Ende dieser Menschen wird das Verderben sein, ihr Gott ist der Bauch, und die Schande wird der Ruhm derer sein, die ihr Herz auf die irdischen Dinge richten. Denn wir sind Bürger des Himmels. Von dorther erwarten wir auch den Retter und Herrn Jesus Christus, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann.39

Seid in diesem Bewusstsein tiefer Demut – stark aufgrund des Namens unseres Gottes und nicht aufgrund unserer Streitwagen und unserer Rosse40 – ohne Angst in allen Tätigkeiten und Organisationen der Menschen zugegen, damit Christus in ihnen zugegen ist. Ich habe auf unsere Arbeitsweise jene Worte der Heiligen Schrift angewandt: ubicumque fuerit corpus, illic congregabuntur et aquilae41 [überall wo ein Aas ist, da sammeln sich die Geier]; denn Gott, unser Herr, würde genaue Rechenschaft von uns fordern, wenn einer von euch – aus Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit – nicht bestrebt ist, in Freiheit an den menschlichen Projekten und Entscheidungen mitzuwirken, von denen Gegenwart und Zukunft der Gesellschaft abhängen.

Ein besonderes Merkmal eurer Berufung besteht darin, dass ihr klug – und wenn ich klug sage, meine ich nicht schüchtern –, aktiv und diskret, nach Art der Engel, deren Wirken unsichtbar, jedoch äußerst wirksam ist, in den verschiedenen Vereinen oder Körperschaften – öffentlichen wie privaten – mitmacht, sei ihr Tätigkeitsbereich lokal, national oder international.

Ihr dürft nicht abseits stehen – es wäre eine sträfliche Unterlassung – bei Konferenzen, Kongressen, Ausstellungen, wissenschaftlichen Tagungen, Arbeiterversammlungen, Studienseminaren, mit einem Wort bei Initiativen aller Art: wissenschaftlicher, kultureller, künstlerischer, sozialer, wirtschaftlicher, sportlicher oder sonstiger Natur. Bisweilen werdet ihr sie selbst ins Leben rufen; meist werden andere sie organisiert haben, und ihr werdet dazustoßen. Aber auf jeden Fall werdet ihr euch bemühen, nicht passiv teilzunehmen, sondern im Bewusstsein der Last – der liebenswerten Last – eurer Verantwortung versuchen, euch dort – durch euer Prestige, eure Initiative und euren Schwung – unentbehrlich zu machen, damit ihr dem Ganzen den geeigneten Ton gebt und allen diesen Organisationen den christlichen Geist einflößt.

Beteiligt euch individuell, ohne eine Gruppe zu bilden – es ist gar nicht möglich, dass ihr eine Gruppe bildet, denn ihr alle und jeder einzelne genießt eine unbegrenzte Freiheit in allen zeitlichen Angelegenheiten –, aktiv und wirksam an öffentlichen und privaten Vereinigungen, denn sie sind nie belanglos für das zeitliche und ewige Wohl der Menschen. Sogar ein Jagd- oder Sammlerverein – um irgendein Beispiel zu nennen – kann dazu verwendet werden, viel Gutes oder viel Schlechtes zu tun. Alles hängt von den Menschen ab, die sie leiten oder ihre Ausrichtung bestimmen.

Obwohl ihr, wie ich euch sagte, auf allen diesen Gebieten individuell arbeitet – mit persönlicher Freiheit und in persönlicher Verantwortung –, soll euch bewusst sein, dass ihr Gott unserem Herrn einen Dienst erweist, wenn ihr in eurem Umkreis andere Brüder von euch heranbildet – indem ihr sie anleitet, ohne, logischerweise, ihre eigenen Neigungen zurechtbiegen zu wollen –, die euch ersetzen oder nachfolgen können, sodass kein Feld aufgrund des Ausfalls von einem von euch unbestellt bleibt.

So handelten die ersten Christen

So handelten die ersten Christen. Sie hatten aus Gründen ihrer übernatürlichen Berufung keine sozialen oder menschlichen Programme zu erfüllen; aber sie waren von einem Geist, von einer Lebens- und Weltauffassung durchdrungen, die in der Gesellschaft, in der sie sich bewegten, nicht ohne Folgen bleiben konnte.

Durch ein dem unseren ähnliches Apostolat gewannen sie Proselyten(8), und schon während seiner Gefangenschaft sandte Paulus den Kirchen die Grüße der Christen, die im Haus des Kaisers wohnten.42 Berührt euch nicht dieser zauberhafte Brief, den der Apostel an Philemon richtet und der ein lebendiger Beweis dafür ist, wie der Sauerteig Christi – ohne dass dies direkt beabsichtigt war –, durch den Einfluss der Liebe, den Strukturen der herrschenden Gesellschaft einen neuen Sinn verliehen hat?43

Von gestern erst sind wir, und doch haben wir schon den Erdkreis und all das Eurige erfüllt, die Städte, Inseln, Kastelle, Munizipalstädte, Ratsversammlungen, sogar die Heerlager, Zünfte, Dekurien, den Palast, den Senat und das Forum; wir haben euch nur die Tempel gelassen, schrieb – wenig mehr als ein Jahrhundert später – Tertullian44.

(8) „Proselyten“: vom griechischen „prosélytos“. Im Neuen Testament wird ein zum Judentum bekehrter Heide „Proselyt“ genannt. Das Wort hatte eminent positive Bedeutung. Jesus wirft den Juden nicht vor, dass sie „Proselyten machen“, sondern dass sie diese nachher durch ihr sündhaftes Verhalten verderben (vgl. Mt 23,15). In der Väterzeit wird der „Proselytismus“ dann auch für die Gewinnung von Menschen für den christlichen Glauben und somit für den Missionsauftrag der Kirche verwendet. Christus nennt die Apostel bezeichnenderweise „Menschenfischer“ (vgl. Lk 5,10; Mt 4,19). Der Terminus „Proselytismus“ wurde dann jahrhundertelang in der geistlichen Literatur ohne Bedenken nicht nur für die Gewinnung von neuen Gläubigen, sondern auch für die Weckung von Priester- und Ordensberufungen gebraucht.

Im Deutschen und in einigen anderen Sprachen war das Wort unüblich bzw. wurde höchstens abschätzig verwendet („Proselytenmacherei“). In den letzten Jahrzehnten hat sich diese negative Sinnbestimmung immer mehr durchgesetzt und sogar in eine Reihe lehramtlicher Dokumente Eingang gefunden.

Der heilige Josefmaria spricht völlig unbefangen von Proselytismus, weil er diese negative Konnotation nicht kennt, die sich herausgebildet hat, weil man den Sekten vorwarf, dass sie manchmal, um Anhänger zu gewinnen, vor Täuschung und Zwang nicht zurückscheuen. Dem heiligen Josefmaria – der eine seiner ersten Instruktionen gerade dem Proselytismus widmet! – liegt nichts ferner, als eine Seele bei ihrer Entscheidung für Gott unter Druck zu setzen. Für ihn ist das Bemühen, andere für das Ideal der Heiligkeit zu begeistern – konkret, Mitglieder für das Opus Dei zu gewinnen –, nichts anderes als der Appell an die Großzügigkeit eines Menschen, in völliger Freiheit einer göttlichen Berufung zu entsprechen. Er sieht im Proselytismus ein „grundlegendes Merkmal der Liebe zu Gott und den Menschen“. (Anm. d. Übers.)

Meine Kinder, erfüllt euch mit Hoffnung und Zuversicht. Ohne Pause wollen wir arbeiten für den Frieden und die gegenseitige Auferbauung!45Vergeltet nicht Böses mit Bösem! Seid bestrebt, das Gute zu tun nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen! Soweit es an euch liegt, haltet Frieden mit allen!46

Erinnert euch oft an die Klage des Herrn, damit sie euch ein Ansporn sei: filii huius saeculi prudentiores filiis lucis in generatione sua sunt47, die Kinder der Finsternis sind klüger als die Kinder des Lichts. Harte, aber sehr zutreffende Worte, denn sie bewahrheiten sich leider tagtäglich.

Unterdessen bewegen und organisieren sich die Feinde Gottes und der Kirche. Mit einer vorbildlichen Beständigkeit bilden sie ihre Kader aus, unterhalten sie Schulen, in denen sie Führungskräfte und Agitatoren heranziehen, und in heimlicher – aber wirksamer – Tätigkeit verbreiten sie ihre Ideen und tragen ihre Saat, die jede religiöse Denkart zerstört, in die Familien und in die Arbeitsstätten.

Meine Kinder, der Marxismus ist heute – in seinen verschiedenen Ausprägungen – aktiv: Systematisch versucht er eine wissenschaftliche Grundlage für den Atheismus zu schaffen, kritisiert mit einer pausenlosen Propaganda – weniger lautstark als individuell – jeden Anflug von Religion und will, indem er sich als irdischen Glauben und irdische Hoffnung präsentiert, den wahren Glauben und die wahre Hoffnung ersetzen.

Ich kann jene Personen nicht verstehen, die sich katholisch nennen und dem Marxismus – der so oft von der Kirche als mit ihrer Lehre unvereinbar verurteilt worden ist –, ihre Arme öffnen, den Feinden Gottes die Hand hinstrecken und Katholiken, die nicht so denken wie sie, als Feinde behandeln. Ein Katholik, der andere Katholiken misshandelt und Nichtkatholiken in scheinbarer Liebe begegnet, vergeht sich schwer, sündigt gegen die Gerechtigkeit und überdeckt seinen Irrtum mit einer falschen Liebe. Denn wenn sie nicht geordnet ist, ist Liebe keine Liebe mehr.

Meine Kinder, vom Feind der Rat[9]: Seid klug und umsichtig und schlaft nicht: hora est iam nos de somno surgere48, es ist Zeit, die Faulheit und Schläfrigkeit abzuschütteln. Vergesst nicht, dass es Orte auf der Erde gibt, die einmal Zeugen blühender Kirchen waren und heute Ödland sind, wo der Name Christi nicht ausgesprochen wird. Es wäre allzu bequem, dieses Scheitern rechtfertigen zu wollen mit dem Argument, dass Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann und dass die Sache Gottes am Ende immer siegt. Es ist wahr, dass Christus immer siegreich ist, aber sehr oft trotz uns.

Ohne kriegerischen oder aggressiven Geist, in hoc pulcherrimo caritatis bello [in diesem wunderbaren Krieg der Liebe], mit einem Verständnis, das bereit ist, alle Menschen anzunehmen und mit allen Personen guten Willens zusammenzuarbeiten – auch mit jenen, die Christus nicht kennen oder nicht lieben, ohne deswegen Kompromisse mit den Irrtümern einzugehen, die sie verbreiten –, vergesst nicht, was der Herr sagte: Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.49 Es ist sehr leicht, nur auf die Sanftmut Jesu zu achten und – weil sie die Bequemlichkeit und den Konformismus stören – seine ebenfalls göttlichen Worte beiseitezulassen, mit welchen Er uns anspornt, uns das Leben zu verkomplizieren.

[9] „vom Feind der Rat“: Diese Volksweisheit lädt dazu ein, den Gegnern gegenüber klug zu sein, besonders wenn sie so tun, als wollten sie uns Gutes. In diesem Fall rät der heilige Josefmaria, dem Marxismus zu misstrauen. Wir begegnen dem Thema in der Fabel vom Löwen und der Ziege, die Äsop zugeschrieben wird. Erstaunlicherweise verwendet Escrivá das Wort im selben Brief nochmals (Nr. 35), dann aber im umgekehrten Sinn: Manchmal kann die Ansicht von jemandem, der nicht so denkt wie wir, eine Wahrheit offenbaren. (Anm. d. Hrsg.)

Verteidigung der Wahrheit. Das Böse im Überfluss des Guten ersticken

Im Allgemeinen sind wir Menschen wenig dazu geneigt, die Wahrheit auszusprechen und zu verteidigen, denn es ist bequemer, danach zu trachten, bei allen beliebt zu sein, und nicht das Risiko einzugehen, uns mit jemandem anzulegen. Meine Kinder, unsere Haltung soll immer die des Verständnisses, der Liebe sein. Unser Handeln richtet sich gegen niemanden, wir sollen frei von Sektierertum und immer bemüht sein, das Böse im Überfluss des Guten zu ersticken. Unsere Arbeit hat nie negative Züge: sie richtet sich nie gegen etwas. Sie ist Bejahung, Frische, Freude und Frieden. Doch nicht auf Kosten der Wahrheit.

Weil wir die freie Persönlichkeit eines jeden fördern und pflegen, sind wir als Kinder Gottes in seinem Werk selbstständig denkende Menschen, und wir übernehmen nicht ungeprüft Floskeln und Gemeinplätze, die vorübergehend Furore machen und in Mode sind. Unsere Bildung lehrt uns, eine Arbeit der Auslese vorzunehmen, die das Gute nützt und das Übrige beiseitelässt. Sehr oft wird es nötig sein, gegen den Strom zu schwimmen – wie wir es fast immer getan haben –, neue Kanäle zu öffnen und neue Wege zu erschließen. Nicht weil wir originell sein wollen, sondern aus Loyalität gegenüber Jesus Christus und seiner Lehre. Es ist leicht, sich treiben zu lassen, doch kommen die einfachen Lagen oft aus Haltungen, die von mangelnder Verantwortung zeugen.

Es ist wahr, dass ihr in jedem Augenblick unter den Menschen eurer Zeit, ihrer Mentalität und ihren Sitten gemäß leben sollt, allerdings stets bereit, Rechenschaft abzulegen für eure Hoffnung50 auf Christus, damit nicht deshalb, weil ihr euch nicht anzupassen braucht – ihr lebt ja unter euresgleichen –, nichts darauf hinweist, dass ihr Jünger des Herrn seid. Wie viel Sentimentalität, Furcht und Feigheit liegt in manchen Anpassungsbestrebungen!

Kinder meiner Seele, seht hinter meinen Worten nur eine große Liebe zu allen Menschen, ein offenes Herz für alle ihre Unruhen und Probleme und ein großes Verständnis, dem Diskriminierungen und Ausgrenzungen fremd sind. Und begreift, dass es nicht die Angst ist – denn wir haben vor nichts und niemandem Angst, nicht einmal vor Gott, der unser Vater ist –, sondern der Verantwortungssinn, dass wir eines Tages vor dem Herrn Rechenschaft für unsere Sendung als Miterlöser ablegen müssen. Das drängt uns dazu – caritas enim Christi urget nos51 [die Liebe Christi drängt uns] –, nicht nachzulassen, uns mit dem Erreichten nie zufriedenzugeben und uns nicht auf unseren Lorbeeren auszuruhen!

Seid nicht träge, glüht im Geist52, nutzt die Zeit aus53, denn das Leben ist kurz: Solange Zeit ist, wollen wir allen Gutes tun, besonders unseren Brüdern im Glauben.54 Erfüllt diese unsere arme Welt mit Liebe, denn sie gehört uns. Sie ist Werk Gottes und Er hat sie uns als Erbe gegeben: dabo tibi gentes hereditatem tuam et possessionem tuam terminos terrae55 [ich gebe dir die Völker zum Erbe und zum Eigentum die Enden der Erde]. Bedenkt, dass das, was möglich ist, jeder tut, dass Gott unser Herr uns aber um Dinge bittet – und uns die Gnade dazu gibt –, die ihr für unmöglich halten werdet.

Begnügt euch nicht mit idealistischen Vorstellungen: Seid realistisch. Ihr seht derart große Dinge, ein so riesiges Feld, das bestellt werden soll, eine immense Arbeit und unzählige Möglichkeiten, dass ihr euch allein mit deren Betrachtung schon zufrieden geben könntet und die konkreten Dinge vergesst – hodie, nunc [heute, jetzt] –, die erst bewerkstelligen, dass all dies eines Tages Wirklichkeit wird.

Bleibt inmitten dieses wunderbaren Kampfes gelassen. Sich von Unruhe verwirren zu lassen, schadet. Corripite inquietos56 [weist die zurecht, die ein Leben führen], ermahnte einst Paulus die Christengemeinde von Thessalonich. Wir hören nämlich, so sagte er ihnen, dass einige von euch ein müßiges Leben führen, nichts tun und sich in alles einmischen.57 Und er nannte ihnen das einzig wahre Heilmittel, das in nichts anderem besteht als in der Erfüllung der Pflicht. Wenn wir tun, was wir tun sollen, und in dem sind, was wir tun, setzen wir in Wirklichkeit die großen Projekte Gottes um. Diesen gebieten wir, fuhr der Apostel fort, und wir ermahnen sie aus Liebe zum Herrn Jesus Christus, in Ruhe zu arbeiten und ihr Brot zu essen.58

Christus an der Spitze aller menschlichen Tätigkeiten

Wie viel erwartet der Herr von eurer beständigen, hoffnungsfrohen und begeisterten Arbeit – auch wenn die Hoffnung und die Begeisterung oft nicht fühlbar sind –, durch die ihr versucht, alle Tätigkeiten der Welt zu verchristlichen: Christus an die Spitze aller menschlichen Tätigkeiten zu stellen!

Diese Arbeit fällt ganz besonders meinen Söhnen, den Supernumerariern, zu und auch meinen Töchtern, den Supernumerarierinnen, die überaus tapfer sind – oft tapferer als die Männer –, wenn es darum geht, das Salz und das Licht Christi in die Umgebungen zu tragen, in denen sie sich bewegen: in die Familie, in das gesellschaftliche Zusammenleben und in die Ausübung der verschiedensten Berufe.

Lest nochmals jene Stelle aus dem Alten Testament, die erzählt, wie Judit den Willen des Volkes und dessen Anführer wendet, die bereit sind, die Stadt den feindlichen Heeren zu übergeben. Judit hörte von den Vorwürfen des Volkes gegen das Stadtoberhaupt – so heißt es im heiligen Text – … und ließ die Ältesten ihrer Heimatstadt, Ozias, Chabri und Charmi, herbeiholen, und als sie kamen, sagte sie zu ihnen: Hört mich, ihr Fürsten der Stadt Betulia. Es ist nicht recht, was ihr heute dem Volk gesagt habt … Wer seid ihr, dass ihr den Herrn versucht, die ihr inmitten der Söhne der Menschen an Gottes Stelle gesetzt seid? Wollt ihr den allmächtigen Gott auf die Probe stellen? Lernt ihr denn nie?59 Diese Rüge voll Energie und Kühnheit zeigt, welchen Einfluss eine übernatürliche und mutige Frau, die ihrem Gewissen folgt, auf den Lauf des öffentlichen Lebens ausüben kann – gewöhnlich auf verschwiegene, unauffällige und sehr wirksame Weise –, wenn es darum geht, die Interessen Christi zu verteidigen. Betrachtet ebenso die Stärke der allerseligsten Jungfrau Maria und jener heiligen Frauen, die ungebrochen und fest am Fuße des Kreuze aushielten, während die Männer in der Stunde der allgemeinen Feigheit die Flucht ergriffen.

Meine Töchter und meine Söhne, wenn ihr diesen guten Geist bewahrt, wird man heute von euch sagen können, was die Apostelgeschichte von den Jüngern Jesu berichtet: Durch die Hände der Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen im Volk.60 Eure Wunder werden ohne Aufsehen geschehen, aber seid dessen gewiss, dass es echte Wunder sein werden.

In der Ausübung eurer Berufe, in eurem öffentlichen Leben und allgemein in allen zeitlichen Angelegenheiten handelt jeder von euch frei und in eigener Verantwortung, indem ihr euch eure eigene Meinung bildet, immer gemäß der Weisung eures Gewissens, jedoch in einer wunderbaren Vielfalt. Ihr kompromittiert weder das Werk noch die Kirche – ihr könnt sie gar nicht kompromittieren –, denn ihr besitzt eine durch und durch laikale Mentalität und seid daher Freunde einer Freiheit, die keine anderen Fesseln kennt als die Lehre und die Moral Jesu Christi.

Das Ziel und die Mittel des Werkes Gottes sind nicht zeitlicher Natur. Sie sind zur Gänze und ausschließlich übernatürlich, geistlich. Das Werk hält sich am Rande und steht menschlichen, politischen, wirtschaftlichen usw. Interessen fern. Es steht von seinem Wesen her jenseits der irdischen Gesellschaft und wird sich daher weder in einer bestimmten Kultur verankern noch konkreten politischen Umständen verpflichten noch an eine bestimmte Epoche der Menschheitsgeschichte binden können.

Manchmal fördert das Opus Dei als Körperschaft apostolische Unternehmungen und Initiativen. Es sind Aktivitäten – im Bereich der Bildung, der Verbreitung der christlichen Lehre, der sozialen Fürsorge usw. –, die allen bekannt und für alle offen sind, auch für Nichtkatholiken und Nichtchristen, und die im Rahmen der gesetzlichen Regelungen jedes Landes durchgeführt werden. Diese korporativen Werke stellen kein kirchliches Wirken dar, denn sie sind, einfach und schlichtweg, berufliche Tätigkeiten von Bürgern, wenn auch mit einem apostolischen Kern und apostolischen Zielen.

Christliches Bewusstsein bei der Wahrnehmung bürgerlicher Pflichten

Die Tatsache, dass unser Werk den Belangen der irdischen Gesellschaft, der Unternehmungen wirtschaftlicher oder sozialer Art, des politischen Lebens usw. vollkommen fernsteht, bedeutet allerdings nicht, dass es angesichts des Geistes – oder des fehlenden Geistes –, der die Einrichtungen der irdischen Stadt beseelt, gleichgültig bleibt. Uns liegt sehr daran, dass alle Menschen sich ihrer bürgerlichen Pflichten klar bewusst sind und dass sie diesen mit einer menschlich redlichen Einstellung und mit christlicher Gesinnung nachkommen.

Ich habe mich oft dafür ausgesprochen, dass der Katechismus der Katholischen Kirche, den man die Kinder lernen lässt, auch einige Fragen und Antworten enthalten sollte, in welchen diese Pflichten angeführt werden, damit allen von Kindheit an die Überzeugung eingeprägt wird, dass es sich um göttliche Gebote handelt, und sie später, wenn sie einmal erwachsen sind, die Verantwortung in ihrem Gewissen spüren, sie zu erfüllen.

Missverstanden wird bisweilen jene Unterscheidung, die der Herr zwischen dem, was Gottes ist, und dem, was des Kaisers ist, getroffen hat.61 Christus hat die Jurisdiktionsbereiche zweier Autoritäten unterschieden, den der Kirche und den des Staates, und hat so den schädlichen Wirkungen des Cäsarismus und des Klerikalismus vorgebeugt. Er stellte die Lehre eines gesunden Antiklerikalismus auf, der tiefe und wahre Liebe zum Priestertum ist – es tut weh, wenn die hohe Sendung des Priesters herabgesetzt und erniedrigt wird, weil man sie mit irdischen und jämmerlichen Interessen verquickt –, und legte die Autonomie der Kirche Gottes und die legitime Autonomie der bürgerlichen Gesellschaft fest, die diese für ihre Organisation und ihren technischen Aufbau genießt.

Allerdings bedeutet die von Christus getroffene Unterscheidung in keiner Weise, dass die Religion in den Tempel – in die Sakristei – verwiesen werden oder die Regelung der menschlichen Angelegenheiten am Rand jedes göttlichen und christlichen Gesetzes erfolgen soll. Denn das wäre die Verneinung des Glaubens Christi, der den Zuspruch des ganzen Menschen verlangt, mit Leib und Seele, als Individuum und als Glied der Gesellschaft.

Die Botschaft Christi erhellt das ganze Leben des Menschen, seinen Ursprung und sein Ziel, nicht bloß das enge Feld von ein paar subjektiven Frömmigkeitspraktiken. Und der Laizismus ist die Verneinung des Glaubens mit Werken, des Glaubens, der weiß, dass die Autonomie der Welt eine relative ist und dass alles auf dieser Welt die Verherrlichung Gottes und das Heil der Seelen zum letzten Ziel hat.

Daher werdet ihr verstehen, dass sich das Werk – genauso wie die Kirche, der es als lebendiges Organ zugehört – für die menschliche Gesellschaft interessiert, denn in ihr gibt es unveräußerliche Rechte Christi, die zu schützen sind. Man könnte sogar sagen, dass sich das gesamte Apostolat des Opus Dei auf die Weitergabe der christlichen Lehre beschränkt, damit alle seine Mitglieder und die Personen, die seine Bildungsarbeit in Anspruch nehmen, individuell – als Bürger – eine apostolische Tätigkeit beruflichen Charakters entfalten, indem sie den Beruf heiligen, sich im Beruf heiligen und andere durch ihren Beruf heiligen.

Bei wiederholten Gelegenheiten habe ich euch gesagt, dass das Werk für gewöhnlich nicht nach außen wirkt – wie wenn es nicht vorhanden wäre. Seine Mitglieder sind es, die, unter Achtung der zivilen Gesetze eines jeden Landes, im Rahmen dieser Gesetze arbeiten. Die Tätigkeit des Opus Dei richtet sich hauptsächlich darauf, seinen Mitgliedern eine intensive geistliche, theologische und apostolische Bildung zu vermitteln.

Die Arbeit des Werkes ist wie eine große Katechese, wie eine unermessliche geistliche Leitung, die viele Seelen belehrt, berät, bewegt, anspornt und in ihrem Gewissen ermutigt, damit sie nicht verbürgerlichen, sich ihrer christlichen Würde bewusst bleiben, ihre Rechte ausüben und ihren Pflichten als verantwortungsvolle katholische Bürger nachkommen.

Bildung der Supernumerarier

Meine Töchter und Söhne, die ihr Supernumerarier seid! Die Bildung, die das Opus Dei euch erteilt, ist flexibel. Sie passt sich eurer persönlichen und gesellschaftlichen Situation wie der Handschuh der Hand an. Seid sehr klar in der geistlichen Leitung, um die konkreten Umstände der Arbeit, der Familie, der sozialen Verpflichtungen darzulegen, denn auch wenn unser Geist ein einziger ist und die asketischen Mittel für alle dieselben sind, können und sollen sie in jedem Fall ohne Starrsinn umgesetzt werden.

Sprecht aufrichtig mit euren Leitern, damit die Freiheit und der Friede eures Geistes niemals angesichts der Schwierigkeiten – die oft nur in unserem Kopf existieren und für die es immer eine Lösung gibt – nicht getrübt werden. Bedenkt, dass die geistliche Bildung, die wir erhalten, das Gegenteil von Komplikation, von Skrupeln und von innerer Hemmung ist. Der Geist des Werkes vermittelt uns Geistesfreiheit, vereinfacht unser Leben, verhindert, dass wir verklemmt und verkrampft werden; er führt dazu, dass wir uns selbst vergessen und uns großzügig um die anderen kümmern.

Um diese Bildung zu erhalten, sollt ihr nur ausnahmsweise die Häuser oder Wohnungen aufsuchen, wo die Numerarier ihr Familienleben führen. Es ist diskreter,[10] wenn ihr die Leiter und die Gruppenbetreuer an euren Arbeitsplätzen, in euren Wohnhäusern oder auf der Straße trefft, dort also, wo der Herr uns gerufen hat. Und um die kollektive Bildung zu erhalten, ist nichts Indiskretes daran, zum Sitz eines unserer korporativen Werke zu gehen, deren Türen und Fenster sperrangelweit geöffnet sind, weil sie allen Seelen offenstehen.

[10] „Es ist diskreter, wenn ihr die Leiter und die Gruppenbetreuer an euren Arbeitsplätzen, in euren Wohnhäusern oder auf der Straße trefft.“ In seiner ersten Publikation, „Der Weg“ (1934), schrieb der heilige Josefmaria: „Diskretion ist weder Geheimhaltung noch Geheimnistuerei. Sie ist einfach: sich natürlich verhalten“ (Pkt. 641). Vor diesem Hintergrund wird die Empfehlung, die Häuser der Numerarier normalerweise nicht aufzusuchen – nämlich um die regelmäßige persönliche geistliche Begleitung zu erhalten – verständlich: Es wäre nicht natürlich, sondern würde aus Sicht der Nachbarschaft eigenartig und unangenehm anmuten, wenn ein Privathaus einen laufenden und dazu unerklärlichen Zustrom an Frauen bzw. Männern verzeichnete. Hingegen spricht aus der Sicht des Gründers des Werkes nichts gegen ein Zusammenströmen am Sitz eines nach außen hin bekannten, für alle offenen korporativen Werkes, wie er das anschließend anmerkt. (Anmerk. d. Übers.)

Das Werk vermittelt euch neben der asketischen Bildung eine solide doktrinelle Bildung, die integraler Bestandteil jenes gemeinsamen Nenners – unsere Familiennote – aller Kinder Gottes in seinem Werk ist. Ihr braucht dieses klare Grundwissen zu wesentlichen Themen, damit ihr in der Lage seid, viele Geister zu erleuchten und die Kirche vor den Angriffen zu verteidigen, die bisweilen von allen Seiten kommen: klares Wissen über die Wahrheiten des Dogmas und der Moral, über die Erfordernisse der Familie und der christlichen Erziehung, über das Recht auf Arbeit, auf Erholung, auf Privateigentum usw., und ebenso über die Grundrechte wie die Vereinigungs- und Meinungsfreiheit. So könnt ihr die Wahrheit jener Worte auskosten: veritas liberabit vos62 [die Wahrheit wird euch befreien], denn die Wahrheit wird euch Freude, Frieden und Wirksamkeit schenken.

Bei den Jahrestagungen – die euch helfen, den ursprünglichen Eifer zu bewahren, eure religiöse Bildung zu verbessern und euch für das Apostolat zu stärken –, in den Studienkreisen, in Vorträgen, speziellen Kursen usw. erhaltet ihr stetig reichliches Wissen über die Lehre der Kirche, während ihr zugleich über brennende Fragen der Gegenwart aus christlicher Sicht informiert werdet. Diese Bildung vervollständigt ihr durch Lektüre, denn es werden für euch immer Leihbibliotheken zur Verfügung stehen, zu denen ihr als Bezieher Zugang habt und bei denen ihr auch andere Leute, die nicht dem Werk angehören, einzuschreiben sucht.

Seid bemüht, die erhaltene Bildung geistig zu assimilieren, sodass sie nicht stockt. Und spürt die Notwendigkeit und die freudige Pflicht, sie an andere Menschen weiterzugeben, damit sie auch in den Herzen anderer zu guten Werken voller Redlichkeit führt.

Aus dem Gesagten ergibt sich die absolute Notwendigkeit, dass die Lokalräte, die die Supernumerarier betreuen, sich mit Hingabe dieser Aufgabe widmen, denn keiner – kein einziges meiner Kinder – darf sich je allein fühlen. Und man wird seine Betreuung während der Urlaubszeit und für die Perioden der Abgeschiedenheit sorgfältig planen müssen.

Jene meine Kinder, denen die Leitung und Bildung ihrer Brüder und Schwestern anvertraut ist, werden oft auf den Glanz einer persönlichen Tätigkeit verzichten müssen, um wie verborgene Quadersteine das Fundament einer viel weitreichenderen Arbeit zu bilden. Und sie dürfen nicht vergessen, dass diese Tätigkeit der Leitung und Bildung genauso wie die Tätigkeit derer, die sich ganz unseren korporativen apostolischen Werken widmen, immer auch eine berufliche Arbeit darstellt.

Jeder Wanderer folge seinem Weg

Das Werk erteilt seinen Mitgliedern eine Bildung, die darauf abzielt, dass jeder – in persönlicher Freiheit – in der Ausübung seines Berufes mitten in der Welt christlich handle. In zeitlichen Fragen dürfen die Leiter des Werkes den anderen Mitgliedern niemals eine bestimmte Meinung auferlegen. Nochmals: Jeder von euch handelt in völliger Freiheit, im Einklang mit der Weisung seines gut gebildeten Gewissens.

Im Jahre 1939, kurz nach Ende des spanischen Bürgerkrieges, hielt ich in der Nähe von Valencia geistliche Besinnungstage in einem privat geführten Studienkolleg. Das Haus hatte während des Krieges als kommunistische Kaserne gedient. In einem Flur fand ich eine große, von irgendeinem Nonkonformisten verfasste Aufschrift mit folgenden Worten: Jeder Wanderer folge seinem Weg. Einige wollten sie entfernen, doch ich hinderte sie daran: Lasst sie stehen, sagte ich, sie gefällt mir:vom Feind der Rat[11]. Seither haben mir diese Worte oft als Predigtmotiv gedient. Freiheit: Jeder Wanderer folge seinem Weg. Es ist absurd und ungerecht zu versuchen, allen Menschen ein einziges Kriterium in Angelegenheiten aufzuzwingen, in denen die Lehre Jesu Christi keine Grenzen vorgibt.

Absolute Freiheit in allen zeitlichen Dingen, denn es gibt keine christliche Einheitsformel, um die Dinge der Welt zu ordnen. Es gibt zahlreiche technische Formeln, um die sozialen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Probleme zu lösen – und alle werden christlich sein, vorausgesetzt, sie achten die Mindestprinzipien, die nicht aufgegeben werden können, ohne das Naturgesetz und die Lehre des Evangeliums preiszugeben.

Freiheit in zeitlichen Angelegenheiten, meine Kinder, und auch in der Kirche. Ich bin sehr antiklerikal – mit diesem gesunden Antiklerikalismus, auf den ich mich euch gegenüber häufig beziehe –, und wer meinen Geist teilt, wird genauso denken. Allzu oft werden in klerikalen Kreisen – in denen der gute priesterliche Geist fehlt – Monopole unter dem Vorwand der Einheit errichtet, man versucht, die Seelen in Grüppchen zu vergattern, es wird die Freiheit der Gewissen der Gläubigen verletzt – die die geistliche Leitung und die Bildung ihrer Seelen dort suchen sollen, wo sie es für das Beste halten und bei wem es ihnen lieber ist –, und es werden immer mehr unnötige negative Vorschriften erlassen – es wäre schon viel, wenn die Gebote Gottes und der Kirche erfüllt würden –, Vorschriften, die jene, die sie erfüllen sollen, psychologisch gegen sie einnehmen.

[11] „vom Feind der Rat“: vgl. Anm. zu Nr. 24. (Anm. d. Hrsg.)

Freiheit

Freiheit, meine Kinder. Erwartet nie, dass das Werk euch zeitliche Vorgaben macht. Es hätte nicht meinen Geist, wer versuchen wollte, der Freiheit Gewalt anzutun, die das Werk seinen Kinder gewährt, und die Persönlichkeit zu unterdrücken, die einem jeden Kind Gottes im Opus Dei eigen ist.

Ihr selbst seid es, die – in Freiheit – aufgrund der Bildung, die ihr erhaltet, das notwendige Gespür haben sollt, um spontan auf die menschlichen Probleme und die schwankenden gesellschaftlichen Umstände zu reagieren, die nach gerechten Kriterien gelenkt werden müssen. Es ist eure Aufgabe, zusammen mit euren Mitbürgern mutig dieses Wagnis auf euch zu nehmen, für die zeitlichen Fragen auf eurem Weg menschliche und christliche Lösungen zu suchen – jene, die ihr im Gewissen seht, denn es gibt nicht nur eine einzige Lösung.

Ihr würdet umsonst darauf warten, dass das Werk euch fertige Lösungen serviert. Das ist nie geschehen, geschieht nicht und kann nie geschehen, denn es widerspräche unserem Wesen. Das Werk ist nicht paternalistisch, auch wenn dieses Wort doppelsinnig ist und ich es hier daher in seiner abschätzigen Bedeutung verwende. Eure Leiter vertrauen auf die Reaktionsfähigkeit und den Initiativgeist, die ihr besitzt, und nehmen euch nicht an der Hand. Und auf geistlicher Ebene hegen sie für euch väterliche, ja mütterliche Gefühle: die eines guten Paternalismus.

Daher ist unmöglich, dass wir im Schoß der Gesellschaft das bilden, was man heute eine pressure group nennt – gerade wegen dieser Freiheit, die wir im Opus Dei genießen. Denn sobald die Leiter einen konkreten Hinweis in einer zeitlichen Angelegenheit äußerten, würden sich die übrigen Mitglieder des Werkes, die eine andere Meinung vertreten, zu Recht dagegen erheben, und ich sähe mich in der traurigen Pflicht, jene zu segnen und zu loben, die sich kategorisch geweigert haben zu gehorchen – sie müssten die Angelegenheit ehestmöglich den regionalen Leitern oder dem Vater zur Kenntnis bringen –, und zugleich in heiliger Empörung die Leiter zu tadeln, die versucht haben, eine Amtsgewalt auszuüben, die sie nicht besitzen können. Genauso wären diejenigen meiner Kinder schwer tadelswürdig, die – im Namen ihrer eigenen Freiheit – die legitime Freiheit ihrer Brüder beschränken wollten, indem sie ihnen in zeitlichen oder der freien Meinung überlassenen Angelegenheiten eine persönliche Ansicht aufzuzwingen suchten.

Diejenigen, die sich hartnäckig weigern, diese klaren Dinge zu sehen und sich Geheimniskrämereien zusammendichten, die es nie gegeben hat und die niemals nötig sein werden, tun dies mit Sicherheit ex abundatia cordis [aus der Fülle des Herzens], weil sie selber so handeln. Und sie werden nie erhobenen Hauptes mit klarem Blick den anderen offen in die Augen schauen können, wie wir es tun, weil wir nichts zu verbergen haben, auch wenn jeder von uns seine persönlichen Schwächen hat, gegen die er in seinem inneren Leben kämpft.

Einige haben in diesen einunddreißig Jahren tatsächlich mit Neid auf unsere Arbeit geblickt; andere mit wenig Sympathie, weil sie keine Sympathie für die Kirche haben, der wir zum Wohl aller Menschen dienen; es gab sogar welche – zum Glück waren es wenige –, die aufgrund ihrer klerikalen Mentalität nicht in der Lage waren, die durch und durch laikale Arbeit meiner Kinder zu verstehen; und da waren auch andere, die sich nicht daran erinnern können oder wollen, dass Gott unser Herr den Seelen, die sich ihm widmen, seine Gnade gewährt – eine spezifische Gnade –, und die, um die Intensität, Ausbreitung und Wirksamkeit der Apostolate des Werkes zu erklären, menschliche Beweggründe erfinden, die völlig falsch sind, denn die Ziele des Opus Dei sind übernatürlich, und die Mittel, die wir einsetzen, sind gleichfalls rein geistlicher, übernatürlicher Art: das Gebet, das Opfer und die geheiligte und heiligende Arbeit.

Es gibt Leute, die unfähig sind, die persönliche Freiheit anderer zu achten und zu verstehen, und die scheinbar in keiner Weise begreifen können, dass die Mitglieder des Opus Dei ein gemeinsames Ziel haben, das ausschließlich geistlicher Natur ist, und dass sie einzig und allein in dieser Zielsetzung übereinstimmen; dass sie in zeitlichen Fragen freie Bürger sind, gleich wie die anderen Laien – ihre Mitbürger –, und dass sie mit allen Menschen brüderlich zusammenleben sollen.

Einige dieser Menschen kommen, wie ich bereits gesagt habe, aus einem geschlossenen Sakristeimilieu und sind daran gewöhnt zu erleben, dass Ordensleute ihre Ansichten im Einklang mit der Schule der entsprechenden Ordensfamilie oder im Einklang mit der Denkweise ihrer Oberen äußern. Und aufgrund dieses Vorurteils einer klerikalen Mentalität haben sie das Opus Dei oder mich persönlich wie mit einem Etikett versehen wollen: als Monarchisten oder Republikaner, wenn sie mich nicht gar als Freimaurer bezeichnet haben – aufgrund der Tatsache, dass ich keine Seele von unserer Arbeit als Kinder Gottes ausgeschlossen habe.

Eure apostolische Arbeit, meine Kinder, ist keine kirchenamtliche Tätigkeit[12]. Und obwohl an sich nichts dagegenspricht, dass manche von euch Vereinigungen von Gläubigen angehören, wird dies nicht die Regel sein, denn das spezifische Apostolat, für das das Werk euch vorbereitet – das Gott von uns will – hat keinen konfessionellen Anstrich[13].

Wir leben mit dieser Diskretion eine wunderbare kollektive Demut, denn durch eure stille Arbeit lebt ihr, ohne mit Erfolgen oder Triumphen zu prahlen – zugleich aber, ich sage es nochmals, ohne Geheimnisse oder Geheimniskrämerei, die wir nicht brauchen, um Gott zu dienen – unauffällig unter den anderen katholischen Gläubigen – denn das seid ihr: katholische Gläubige –, ohne für die gute Saat, die ihr sät, Beifall zu erhalten.

Trotzdem können einige von euch, insbesondere in ländlichen Gegenden, wo ein anderes Vorgehen befremdlich wäre, in Bruderschaften und anderen apostolischen Initiativen der Pfarreien mitarbeiten und danach trachten, sie zu fördern und zu beleben, ohne jedoch in der Regel Ämter zu übernehmen. Daher werden jene, die eine Vereinigung von Gläubigen leiten und – leider – ein Monopol beanspruchen, nicht fürchten müssen, dass wir ihnen ihre Alleinherrschaft entreißen. Denn wir sind der Ansicht, dass sie das, was sie tun, ruhig weiter tun sollen. Wir müssen auf unsere eigene Weise handeln, und diese ist eine ganz andere.

Trotzdem werdet ihr als Christgläubige, die ihr seid, dem öffentlichen Kult, den die Gesellschaft als solche dem Herrn schuldet, nicht fernbleiben, solange die herrschende Stimmung oder die größere Wirksamkeit des Apostolats nicht etwas anderes raten. Ich habe sehr oft gelitten, wenn ich Zeuge von Kultakten gewesen bin, bei denen die Gemeinde fehlte, an denen die Familie, das Volk Gottes, nicht teilnahm. Ich bin sicher, dass dieser öffentliche Kult, wenn ihr treu seid, eine schlichte und würdige Realität sein wird, ohne Getue und Übertreibungen, die ihn oft in eine pittoreske Darbietung verwandeln.

[12] „ist keine kirchenamtliche Tätigkeit“: Für Escrivá ist das Apostolat Sache jedes Einzelnen, nicht Sache der Institution. Deren Aufgabe beschränkt sich im Fall des Opus Dei darauf, die Personen, die dem Opus Dei angehören oder sich ihm nähern, pastoral zu orientieren und zu betreuen. Für ihn liegt die apostolische Tat immer in der Verantwortung der Mitglieder, Mitarbeiter und Freunde und ist Frucht ihrer Initiative. Dabei hilft ihnen die Orientierung und geistliche Hilfe, die man ihnen erteilt. (Anm. d. Hrsg.)

[13] „hat keinen konfessionellen Anstrich“: Die Sendung eines Jüngers Jesu in der Welt entfaltet sich aus dem Bewusstsein der Taufe und wird ausgeübt in den persönlichen Beziehungen, die der Einzelne pflegt. Deshalb kann sie nicht offiziell katholisch oder „konfessionell“ sein, denn sie ist Ergebnis des persönlichen Glaubenslebens und findet ihren Ausdruck im Beruf oder in den weltlichen Aktivitäten. (Anm. d. Hrsg.)

Apostolat in der Ausübung der bürgerlichen Pflichten und Rechte

Ich möchte noch einmal festhalten, meine Kinder, dass ihr das spezifische Apostolat, das ihr entfalten sollt, als Bürger vollzieht, in voller und aufrichtiger Treue zum Staat, gemäß der Lehre des Evangeliums und der Apostel63; in treuer Befolgung der zivilen Gesetze, ohne euch der Erfüllung irgendeiner Pflicht zu entziehen und, zum Wohl der Allgemeinheit, in Ausübung aller eurer Rechte, ohne ein einziges davon fahrlässig auszuschließen.

Für die Ausübung dieser bürgerlichen Rechte finden wir ein lebendiges und nachahmenswertes Beispiel wiederholt in der Haltung des heiligen Paulus, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben wird. Mit mannhafter Festigkeit, die den Ängstlichen als Arroganz erscheinen mag, die aber gute Mannhaftigkeit ohne Schnörkel ist, legt der Apostel, wenn es notwendig ist, seinen Status als römischer Bürger dar und verlangt ohne jede falsche Demut, dass man ihn als solchen behandelt: Sie haben uns ohne Urteil öffentlich geißeln lassen, obgleich wir römische Bürger sind, und haben uns ins Gefängnis geworfen. Und jetzt möchten sie uns heimlich fortschicken? Nein! Sie (die Liktoren) sollen selbst kommen und uns hinausführen.64

Mit dieser Festigkeit sprach er zum Kerkermeister von Philippi. Und auch das andere Gespräch, das Paulus, kurz bevor er gegeißelt werden soll, in Jerusalem mit dem Hauptmann führt, ist herrlich und voll menschlicher Eleganz. Als sie ihn aber für die Geißelung festbanden, sagte Paulus zu dem Hauptmann, der dabeistand: Dürft ihr jemanden, der das römische Bürgerrecht besitzt, geißeln, ohne ihn verurteilt zu haben? Als der Hauptmann das hörte, ging er zum Obersten, meldete es und sagte: Was hast du vor? Der Mann ist ein Römer. Der Oberst kam zu Paulus und fragte ihn: Bist du Römer? Er antwortete: Ja. Da antwortete der Oberst: Ich habe für dieses Bürgerrecht ein Vermögen gezahlt. Paulus antwortete: Ich habe es von Geburt.65 Meine Kinder, ich denke, Kommentare erübrigen sich. Nehmt euch ein Beispiel.

Ich habe schon manchmal auf die bedauerliche Tatsache hingewiesen, dass der Staat zunehmend in die Privatsphäre der Bürger eindringt, wodurch es zur Versklavung der Menschen kommt, die sich ihrer legitimen Freiheiten beraubt sehen. Und ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass der Staat kalt und herzlos ist, sodass sein Totalitarismus zu etwas Schlimmerem wird als die härteste Feudalherrschaft.

Abgesehen von anderen Gründen liegt es, wenn eine solche Entwicklung auftritt, größtenteils an der Apathie der Bürger und ihrer Passivität bei der Verteidigung der heiligen Rechte der menschlichen Person. Diese Tatenlosigkeit, die ihren Ursprung in der Denkfaulheit und im schlaffen Willen hat, ist auch unter den katholischen Bürgern verbreitet, denen nicht bewusst geworden ist, dass es andere – und schwerere – Sünden gibt als jene, die gegen das sechste Gebot begangen werden.

Meine Töchter und Söhne, aus der Sendung, die Gott uns anvertraut hat, und aus dem vollständig säkularen Charakter unserer Berufung ergibt sich, dass uns kein Ereignis, keine menschliche Aufgabe gleichgültig sein kann. Aus diesem Grund betone ich erneut, dass ihr in allen gesellschaftlichen Aktivitäten, die sich aus dem menschlichen Zusammenleben ergeben oder dieses direkt oder indirekt beeinflussen, präsent sein müsst. Ihr müsst den Berufsverbänden, den Elternvereinen, den Vereinigungen kinderreicher Familien, den Gewerkschaften, der Presse, den Verbänden und den Wettbewerben literarischer, künstlerischer oder sportlicher Art Schwung und Leben einhauchen.

Jeder von euch wird sich an diesen öffentlichen Aktivitäten im Einklang mit seinem Stand beteiligen und in der Weise, wie es zu seinen persönlichen Umständen am besten passt. Und natürlich in völliger Freiheit, sowohl im Fall der individuellen Teilnahme als auch in Gemeinschaft mit jenen Gruppen von Bürgern, mit welchen er eine Zusammenarbeit für günstig hält.

Ihr versteht sehr gut, dass diese Beteiligung am öffentlichen Leben, von der ich spreche, keine politische Aktivität im strengen Sinn des Wortes ist. Nur wenige meiner Kinder widmen sich – sagen wir es so – vollberuflich dem politischen Leben. Ich rede hier von der Beteiligung, die jedem Bürger zukommt, der sich seiner bürgerlichen Pflichten bewusst ist. Ihr müsst euch zum Handeln gedrängt fühlen – in persönlicher Freiheit und Verantwortung – aus allen und den gleichen Gründen, die eure Mitbürger bewegen. Doch zugleich fühlt ihr euch auf besondere Weise durch den apostolischen Eifer und den Wunsch gedrängt, eine Arbeit des Friedens und des Verständnisses in allen menschlichen Aktivitäten durchzuführen.

Indem ihr auf diese Weise arbeitet, im Verein mit euren Mitbürgern, sie aufrüttelt und dafür Stimmung macht, dass nicht Dinge angeordnet werden, die dem legitimen Verlangen der Gesellschaft nicht entsprechen, werdet ihr die Möglichkeit haben, die Gesetzgebung eurer nationalen Gemeinschaften besonders in jenen Bereichen christlich zu orientieren, die im Leben der Völker eine Schlüsselfunktion einnehmen: Ehe- und Schulgesetzgebung, öffentliche Moral, Privateigentum usw.

Wie kann eine Gesetzgebung christlich sein, in der die Achtung der Familie auf der Ehescheidung gründet? Wo ist die Logik, wenn manche Gesellschaften sich ihrer religiösen Vielfalt rühmen, diese Vielfalt in den öffentlichen Schulen jedoch nicht zur Geltung kommen lassen, wo jeder Schüler das Recht haben sollte, eine seinem Glauben gemäße religiöse Erziehung zu erhalten?

Merkt ihr nicht, dass das Privateigentum – unter Berücksichtigung der Einschränkungen, die das Gemeinwohl fordert – ein Werkzeug der Freiheit für den Menschen ist, ein Gut, das zu den grundlegenden Gütern für die Entfaltung der menschlichen Person und der Familie gehört? Die Länder, in denen diese Rechte nicht respektiert werden, sind weder katholisch noch human. Seht ihr das Panorama, das sich vor euch auftut? In diesen und in anderen entscheidenden Punkten werdet ihr kämpfen müssen – und zwar entschlossen!

Arbeitet aktiv mit unseren Mitarbeitern. Vermehrt ohne Angst ihre Zahl: je mehr, desto besser. Kümmert euch um sie, bildet sie. Sie sollen immer mit etwas beschäftigt sein, immer etwas zu tun haben. Haltet sie in Bewegung, wie bei sportlichen Übungen. Erweitert ständig den Kreis eurer Freunde und vermittelt ihnen auf die eine oder andere Weise Lehre und Ermutigung. So werdet ihr die größte Ausdehnung des göttlichen Netzes erreichen, das zwar schwach ist, aber wirkungsvoll. Und wenn ihr den Schwung dieses guten apostolischen Geistes aufrechterhaltet, werdet ihr der gesamten Menschheit – sanft und kraftvoll – eine unschätzbare Wohltat erweisen.

Durch ihr Gebet und ihr verborgenes Leben werden uns dabei auch die Ordensgemeinschaften helfen – insbesondere die Klausurorden –, die wir als Mitarbeiterinnen zulassen und die unseren Geist der Beschaulichkeit mitten in der Welt sehr gut verstehen. Sie sind kontemplativ aufgrund ihrer Trennung von der Welt; wir sind es im Schoß und in den Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft. Zwei ungleiche, spezifisch verschiedene Äußerungen derselben Liebe zu Jesus Christus.

Zahlreiche Freunde und Mitarbeiter arbeiten mit uns Schulter an Schulter edelmütig bei den apostolischen Arbeiten mit oder unterstützen uns, damit wir arbeiten können. Einige sind von Gott weit entfernt oder kennen ihn nicht. Betrachtet die Worte des heiligen Petrus: Satagite ut, per bona opera, certam vestram vocationem et electionem faciatis!66 Bemüht euch darum, dass diese unsere brüderlich geliebten Freunde in der Ausübung ihrer guten Werke fortfahren; und zweifelt nicht daran, dass viele die Gnade empfangen werden, sich für ein Leben als Christen zu entscheiden, wenn wir ihnen mit unserem Gebet und unserer loyalen Freundschaft helfen – immer unter größter Achtung vor ihrer persönlichen Freiheit.

Vergesst nicht, dass das Wesen unseres Apostolates in der Weitergabe der Lehre[14] besteht, denn die Unwissenheit ist, wie euch ich unzählige Male gesagt habe, der größte Feind des Glaubens. Paulus schrieb an die Römer: Wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie sollen sie glauben, wenn sie nichts von ihm gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand ihnen predigt?67 Weil ihr diese Verantwortung zu predigen spürt, messt ihr der Lehrtätigkeit – privat oder öffentlich, persönlich oder kollektiv, in Grund-, Mittel- oder Oberschule – große Bedeutung bei, auch wenn der Unterricht nur einen kleinen Teil unserer beruflichen Arbeit ausmacht.

Aus dem gleichen Grund versucht ihr in die Medien hineinzuwirken, durch welche sich die öffentliche Meinung bildet: Presse, Rundfunk, Fernsehen, Kino etc. Diejenigen von euch, die in diesem Bereich beruflich tätig sind, vermitteln die Lehre nicht nur einer kleinen Gruppe von Personen – wie ihr es bei einem Kreis oder einem Vortrag tut –, sondern verkünden sie der Menge, unter freiem Himmel, wie der Herr es tat.

Es herrscht eine brutale religiöse Unwissenheit. Und viel Schuld tragen wir Christen daran, weil wir die Lehre nicht über alle diese Medien verbreiten, die technisch täglich vollkommener und einflussreicher sind und die oftmals von den Feinden Gottes kontrolliert werden.

[14] „Weitergabe der Lehre“: Der heilige Josefmaria verwendet diesen Ausdruck („dar doctrina“) häufig, um die Darlegung der christlichen Wahrheiten zu bezeichnen. Der Glaubensschatz kann unter den verschiedensten Umständen und in den verschiedensten Formen dargelegt werden. Immer geht es darum, die Botschaft des Evangeliums durch das persönliche und berufliche Wirken zu übermitteln. (Anm. d. Hrsg.)

Die Wahrheit unermüdlich verkünden

Es gibt nichts Schlimmeres, meine Kinder, als dass Menschen Gräueltaten begehen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Verkündet die Wahrheit ohne Unterlass, opportune, importune68, auch wenn manche uns nicht glauben oder uns nicht glauben wollen. Quidquid recipitur ad modum recipientis recipitur[15]: Deshalb glauben sie uns nicht. Wir können ihnen den Wein der Hochzeit von Kana anbieten, der das Zeugnis des ersten Wunders Jesu und die erste öffentliche Kundgebung seiner Gottheit war, aber er wird zu Essig werden, wenn man ihn in das Gewissen jener Leute gießt. Schenken wir trotzdem weiter guten Wein aus und verbreiten wir die Wahrheit! Wie Jesus soll jeder von uns – ipse Christus – sagen können: Ich bin dazu in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.69

Meine Kinder, legt die Lüge ab, und jeder rede die Wahrheit zu seinem Nächsten, denn wir sind untereinander Glieder.70 Wir wissen, wie weh es tut – hier passt das wir sehr gut –, und wir haben am eigenen Leib erfahren, was üble Nachrede, Lüge und Verleumdung bedeuten: Schlammlawinen, losgetreten manchmal von Katholiken und sogar von Priestern. Omnia in bonum! [Alles gereicht zum Guten!] So wie der Nil, wenn er über die Ufer trat, beim Rückzug die Felder mit seinem Schlamm befruchtete, so haben jene Schmutzlawinen uns mit Fruchtbarkeit erfüllt.

[15] „Quidquid recipitur ad modum recipientis recipitur“: „Was empfangen wird, wird nach der Art des Empfangenden empfangen.“ Das heißt, wer eine Botschaft vernimmt, versteht diese entsprechend und im Umfang seiner eigenen Auffassungsgabe, die zusätzlich etwa durch Vorurteile gegenüber dem Sprechenden vermindert oder durch Sympathie erhöht werden kann. Es handelt sich um einen typisch scholastischen Aphorismus, den wir etwa beim heiligen Thomas von Aquin finden. (Anm. d. Hrsg.)

Lasst nicht ab davon, kleine regelmäßige Treffen mit euren Freunden und Kollegen zu organisieren – von besonderem Interesse ist der Austausch mit Mitarbeitern der öffentlichen Medien – und dabei aktuelle Themen anzuschneiden, um mit Sprachengabe den rechten Standpunkt klarzumachen. Regt passende Gespräche am Arbeitsplatz oder an öffentlichen Orten an.

Verpasst keine Gelegenheit – fördert sie vielmehr aktiv –, um die Wahrheit zu verbreiten und die gute Saat auszusäen. Seid diskret im Umgang mit den Außenstehenden, indem ihr die Zeit nützt. Eure Rede sei angenehm, mit Salz gewürzt, damit ihr jedem in der rechten Weise antworten könnt.71

Ich denke mit Freuden an jene Kinder von mir, die einen Kiosk oder einen Zeitschriftenstand betreiben, die in Verlagen oder Zeitungsredaktionen und in Grafikagenturen arbeiten. Und an jene anderen, die durch ihre berufliche Tätigkeit – selbst wenn sie auf den ersten Blick bescheiden erscheinen mag – jeden Tag Gelegenheit haben, mit vielen Leuten in Kontakt zu treten.

Ihr, die ihr Mütter oder Väter seid, fördert einen gesunden und vergnüglichen Zeitvertreib, der ebenso weit entfernt ist von frömmlerischer Verschrobenheit wie von allzu weltlichem Treiben, das die christliche Moral verletzt. Aus diesen Zusammenkünften werden – der Herr wird sie segnen – christliche Ehen unter euren Kindern hervorgehen, die das Glück und den Frieden erben werden, die sie in eurem hellen und fröhlichen Zuhause erlebt haben.

Auf diesem Feld des Apostolats der Unterhaltung, vergesst das nicht, ist der wichtigste Schlüsselbereich, den ihr mit eurem bürgerlichen Engagement verteidigen sollt, die Sittlichkeit der öffentlichen Darbietungen. Aus einer Jugend, die in einem allgemeinen Klima der Zügellosigkeit lebt, werden schwer christliche Familien hervorgehen.

Jede ehrbare Arbeit kann christlich und apostolisch ausgerichtet werden

Es wäre irreführend zu denken, dass der Bereich der Wirtschaft und der Finanzen nicht Gegenstand apostolischer Arbeit sein kann. Dieser Gedanke, der unter Personen, die aus klerikalen Kreisen stammen, verbreitet ist, geht oft mit dem Paradox einher, dass viele dieser Männer nicht selten selbst – unter dem Schutz der Kirche – in Geschäfte und Unternehmen verwickelt sind, wo sie beträchtliche Summen anderer verwalten, die sich auf sie verlassen, weil sie sich als Katholiken bezeichnen. Jemand hat von diesen Leuten gesagt – nicht einmal allzu boshaft –, dass sie die Augen im Himmel haben und die Hände dort, wo sie hinfallen. Der Vorbehalt und das Vorurteil gegenüber den Wirtschaftsunternehmen ist nicht christlich, denn es handelt sich um eine Arbeit mehr, die geheiligt werden muss.

Dennoch hat dieses Misstrauen großen Einfluss auf die Katholiken gehabt und hat ihn weiterhin, und in nicht wenigen Fällen hat es sie davon abgehalten, mit ihrer Arbeit auf diesem Gebiet der Wirtschaft Gutes zu tun, oder sie haben zwar dort gearbeitet, aber mit schlechtem Gewissen, wenn sie nicht gar diese menschlichen Aufgaben Personen überlassen haben, die der Kirche feindlich gesinnt sind und die es verstanden haben und weiter verstehen, sie zum erheblichen Schaden der Seelen zu gebrauchen.

Das geht so weit, dass es amüsant ist, eine fromme Überlegung aus der kirchlichen Tradition zu lesen, die sich zweifellos aus der Mentalität und dem Klima der Epoche erklärt. So wird behauptet, dass Petrus nach der Auferstehung des Herrn seinen Beruf als Fischer wieder aufnehmen konnte – weil Fischen ein ehrbarer Beruf ist –, dass es aber Matthäus nicht erlaubt war, in seinen Beruf zurückzukehren, weil es Geschäfte gibt, die unmöglich ohne die schwere Gefahr der Sünde oder, schlicht und einfach, ohne Sünde ausgeübt werden können. Und der Beruf von Matthäus war einer davon.72

Man muss mit solchen Irrtümern Schluss machen, die von Leuten in die Welt gesetzt wurden, die sich zum contemptus saeculi verpflichtet hatten. Eure laikale Mentalität begreift nicht, dass etwas Böses darin liegen soll, dass man sich in der Geschäfts- und Finanzwelt betätigt, denn ihr versteht es, diese Arbeiten wie alle anderen auf eine übernatürliche Ebene zu heben und sie christlich und apostolisch auszurichten.

Und da wir schon bei diesem Thema sind, möchte ich euch sagen, dass – bedauerlicherweise – am Geschwätz derjenigen nichts Wahres dran ist, die von unseren Aktivitäten im wirtschaftlichen Bereich reden, denn diese sind so gut wie nicht vorhanden. Es sind die für das Leben und die Entfaltung einer kinderreichen und armen Familie normalen Aktivitäten. Wären sie doch tausendmal mehr!

Alle Gesellschaften welcher Art immer müssen finanzielle Mittel handhaben, um ihre Ziele zu erreichen. Schade, dass sie nicht Recht haben, wenn sie so über uns munkeln! Aber selbst wenn sie Recht hätten, wäre das Werk weiterhin arm, und es wird immer arm sein. Denn es muss auf der ganzen Welt unzählige apostolische Werke unterstützen, die defizitär sind; es muss seine Mitglieder ein Leben lang bilden, und das kostet Geld; es muss sich um die kranken und alten Mitglieder kümmern; und wir werden immer und jeden Tag mehr die gesegnete Last tragen müssen, die alten oder kranken Eltern der Mitglieder des Werkes, die Hilfe für ihren Unterhalt usw. benötigen, finanziell zu unterstützen.

In jedem Fall werden wir diese wirtschaftlichen Aktivitäten, wenn es sie gibt – und es soll sie ehest möglich geben – immer unter Achtung der Gesetze des jeweiligen Landes betreiben, indem wir Abgaben und Steuern zahlen, wie ein vorbildlicher Bürger es tut. Wir wollen nicht von Privilegien leben, denn das ist nicht unsere Art.

Bisweilen gehören diese Lästerzungen irgendeiner offiziellen Gruppe an, die das Geld der Steuerzahler gegen den Willen der Bürger des Landes unter sich verteilt. Gleichzeitig wäre es ihnen am liebsten, dass uns keine Luft zum Atmen bliebe, dass wir kein Recht hätten zu arbeiten und Opfer zu bringen, während wir einen schlichten Lebensstil pflegen, um Werke im Bereich der Wohltätigkeit, der Erziehung, der Kultur und der christlichen Propaganda zu erhalten und zu fördern. Sie sind Feinde der Freiheit – der Freiheit der anderen, versteht sich – und möchten unter den Bürgern Diskriminierungen vornehmen.

Alle Vereinigungen, egal welcher Art sie sind – ob religiös, künstlerisch, sportlich, kulturell usw. –, müssen zwangsläufig über Geld verfügen und es bewegen, um die für die Erfüllung ihrer Ziele notwendigen Mittel zur Hand zu haben. Wer darin etwas Anstößiges sehen will, beweist damit zumindest, dass er töricht ist.

Wenn man über religiöse Vereinigungen spricht, kommen als Beispiele sofort die Bibelgesellschaft oder die Heilsarmee[16] aufs Tapet, die Banken, Versicherungsgesellschaften usw. besitzt. Niemand nimmt daran Anstoß. Sie benötigen diese Mittel, um ihre Propaganda- und Wohltätigkeitswerke umzusetzen. In vielen Staaten werden religiöse Vereinigungen nicht besteuert, abgesehen davon, dass man ihre wirtschaftlichen Aktivitäten nicht kritisiert; wegen der Sozialarbeit, die sie leisten, werden sie von Steuern befreit.

Es ist daher recht und billig, dass uns öffentliche Stellen – auf der ganzen Welt – Darlehen und sogar Unterstützungen gewähren. Wenn das geschieht, erfüllen sie lediglich ihre Pflicht; denn durch unsere öffentliche und soziale Arbeit entlasten wir sie zum Teil von ihren Verpflichtungen. Wenn diese Autoritäten uns auf die gleiche Weise helfen wie anderen kulturellen und gemeinnützigen Institutionen, tun sie nur, was gerecht ist.

[16] „Bibelgesellschaft“, ursprünglich genannt The British and Foreign Bible Society oder kurz The Bible Society, gegründet 1804. Zusammen mit anderen Vereinen bildet sie die United Bible Societies. Ziel dieser Gesellschaften ist es, allen die Bibel zugänglich zu machen. „Heilsarmee“: The Salvation Army ist eine protestantische Gruppierung und Wohltätigkeitsorganisation, gegründet 1865. (Anm. d. Hrsg.)

Dienstgesinnung

Das Opus Dei, operatio Dei, Arbeit Gottes, verlangt von allen seinen Mitgliedern, dass sie arbeiten, denn die Arbeit ist Mittel der Heiligung und des Apostolats. Aus diesem Grund bewundern, lieben und unterstützen auf der ganzen Welt tausende Menschen, Katholiken und Nichtkatholiken, Christen und Nichtchristen, liebevoll unser Werk. Und dafür danken wir dem Herrn.

Es gibt unter euch auch einige, die – weil sie sich gut vorbereitet fühlen, um aktiv die öffentlichen Probleme ihres Heimatlandes zu lösen – in völliger Freiheit und in persönlicher Verantwortung in der Politik arbeiten. Ihr seid wenige: der übliche Prozentsatz in der Zivilgesellschaft. Und wie alle anderen Mitglieder des Werkes in ihren zeitlichen Beschäftigungen handelt ihr in diesem Bereich, ohne euch auf euren katholischen Glauben oder eure Zugehörigkeit zum Opus Dei zu berufen und ohne euch der Kirche oder des Werkes zu bedienen, denn ihr wisst, dass ihr weder die Kirche Gottes noch das Werk in weltliche Belange hineinziehen dürft. Bei eurer Arbeit im öffentlichen Leben dürft ihr nicht vergessen, dass wir Katholiken eine Gesellschaft freier Menschen anstreben – alle mit denselben Rechten und denselben Pflichten gegenüber dem Staat –, aber vereint in einer einvernehmlichen und wirksamen Arbeit zugunsten des Gemeinwohls, unter Anwendung der Prinzipien des Evangeliums, die die ständige Quelle der Lehre der Kirche sind.

Ihr habt das volle Recht, diese Berufung zum Politiker zu leben. Wenn irgendein Staat euch Schwierigkeiten macht, müsste er diese auch den Mitgliedern der anderen Vereinigungen von Gläubigen bereiten. Ja, man müsste in richtiger Logik aus demselben Grund – dem Gehorsam, den die Gläubigen den kirchlichen Autoritäten schulden – für alle praktizierenden Katholiken die gleichen Hindernisse aufstellen und ihnen die Fülle ihrer Rechte und Pflichten in der zeitlichen Gesellschaft absprechen. Es ist ungerecht, die praktizierenden Katholiken als Bürger minderer Qualität zu behandeln. Allerdings fehlt es nicht an Beispielen von Diskriminierungen dieser Art in der jüngeren Geschichte.

Wenn ihr euch zum politischen Leben berufen fühlt, dann arbeitet ohne Angst und bedenkt, dass ihr euch einer Unterlassungssünde schuldig macht, wenn ihr es nicht tut. Setzt euch ein mit professioneller Seriosität, indem ihr euch an die technischen Anforderungen dieser Arbeit hält, mit dem Blick auf den christlichen Dienst an allen Menschen eures Landes und im Gedanken an die Eintracht aller Nationen.

Es zeugt von klerikaler Denkweise, wenn in den liturgischen Lobreden auf Regenten, die zur Ehre der Altäre gelangt sind – sie wurden von Personen verfasst, die außerhalb dieser Welt lebten –, diese dafür gepriesen werden, dass sie ihre Reiche mehr durch ihre Frömmigkeit als durch die Ausübung der königlichen Gewalt regiert haben: pietate magis quam imperio, mehr mit Wohlwollen als mit gerechter Herrschaft.

Wenn ihr eure Sendung erfüllt, dann tut es mit Lauterkeit – ohne die übernatürliche Sicht zu verlieren –, aber vermischt nicht das Göttliche mit dem Menschlichen. Tut die Dinge so, wie Menschen sie tun müssen, ohne aus den Augen zu verlieren, dass die Ordnungen der Schöpfung ihre eigenen Prinzipien und Gesetze haben, die man nicht mit engelhaften Posen sprengen darf. Das schlimmste Lob für einen meiner Söhne wäre zu sagen, dass er wie ein Engel ist. Wir sind keine Engel, wir sind Menschen.

Diejenigen unter euch, die ihre Tätigkeit dem öffentlichen Leben gewidmet haben, sollen sich dazu gedrängt fühlen, nicht darauf zu verzichten, unter jeder Art von Regime zu arbeiten[17], auch wenn es nicht von christlichem Geist geprägt ist, es sei denn, dass die ordentliche Hierarchie des Landes den katholischen Bürgern eine andere Richtlinie erteilt. Denn euer Gewissen erlaubt euch nicht, dass euer Land von Nichtkatholiken regiert wird, und selbst unter den für die Religion ungünstigsten Umständen könnt ihr immer verhindern, dass größere Übel geschehen.

Es ist angebracht, dass ihr das Feld nicht räumt, wer auch immer an der Macht ist, und es wäre ungerecht, wenn man euch deswegen als Kollaborateure abstempelt. Meine Kinder, vor allem in Ländern mit einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung wäre es unverständlich, dass es in der Regierung keine praktizierenden und verantwortungsvollen Katholiken gibt – und daher Mitglieder der verschiedenen Vereinigungen von Gläubigen. Wäre es nicht so, dann könnte man sagen, dass diese Katholiken weder praktizierend noch verantwortungsvoll noch katholisch sind oder dass die Kirche in diesem Land verfolgt wird.

Wenn ihr an der Regierungsarbeit beteiligt seid, setzt euch mit aller Kraft dafür ein, dass gerechte Gesetze erlassen werden, die die Bürger befolgen können. Das Gegenteil ist Machtmissbrauch und ein Anschlag auf die Freiheit der Leute. Es werden dadurch auch ihre Gewissen verbildet, denn in solchen Fällen haben sie das perfekte Recht, sich nicht an diese Gesetze zu halten, denn es handelt sich nur dem Namen nach um Gesetze.

Achtet die Freiheit aller Bürger und bedenkt, dass alle Mitglieder der Gesellschaft am Gemeinwohl teilhaben sollen. Ermöglicht allen, im Leben aufzusteigen, und erniedrigt nicht die einen, um die anderen zu erhöhen. Eröffnet den Ärmsten Perspektiven für ihre Zukunft: die Sicherheit einer entlohnten und geschützten Arbeit, den Zugang zu Gleichheit in der Bildung, denn das ist gerecht, wird Licht in ihr Leben bringen, ihre Stimmung verändern und ihnen die Suche nach Gott und nach Höherem erleichtern. Meine Kinder, vergesst jedoch nie, dass das traurigste Elend die geistliche Armut ist, der Mangel an religiösem Wissen und an Teilnahme am Leben Christi.

[17] „nicht darauf zu verzichten, unter jeder Art von Regime zu arbeiten“: Escrivá schlägt in solchen Fällen vor, der eigenen beruflichen Berufung zu folgen, solange die katholische Hierarchie nicht etwas anderes verfügt. Was das Opus Dei betrifft, ist der Vorwurf der Kollaboration mit dem Regime des Generals Franco bekannt, der erhoben wurde, seit zwei seiner Mitglieder 1957 in die Regierung eintraten und andere ihnen später folgten. Das spanische Episkopat untersagte die Beteiligung der Katholiken am Franco-Regime nicht, sondern unterstützte sie eher, weil es – auch wenn Franco die politischen Freiheiten nicht anerkannte – die Präsenz der Botschaft des Evangeliums im öffentlichen Leben zu gewährleisten schien. (Anm. d. Hrsg.)

Die Ehe ist ein göttlicher Weg auf Erden

Meine Töchter und Söhne, die ihr Supernumerarier seid! Ich denke jetzt an euer Zuhause, an eure Familien, die aus dem sacramentum magnum73 der Ehe entsprungen sind. In einer Zeit, in der das Werk der Zerstörung der Familien noch andauert, das im vergangenen Jahrhundert durchgeführt wurde, sind wir gekommen, um die Sehnsucht nach Heiligkeit in diese christliche Zelle der Gesellschaft zu tragen.

Euer erstes Apostolat vollzieht sich bei euch zu Hause. Die Bildung, die euch das Werk gibt, führt euch dazu, die Schönheit der Familie zu schätzen, das übernatürliche Werk, das die Gründung eines Heims bedeutet, und die Quelle der Heiligung, die sich in den ehelichen Pflichten verbirgt. Obwohl ihr euch der Größe eurer ehelichen Berufung – jawohl, Berufung! – bewusst seid, empfindet ihr eine besondere Verehrung und eine tiefe Liebe zur vollkommenen Keuschheit, die, wie ihr wisst, höher steht als die Ehe74; deshalb freut ihr euch wirklich, wenn das eine oder andere eurer Kinder, mit der Gnade des Herrn, diesen anderen Weg wählt, der kein Opfer ist: Er ist eine durch Gottes Güte erfolgte Erwählung, ein Grund zu heiligem Stolz, ein freudiger Dienst an allen aus Liebe zu Jesus Christus.

Normalerweise wird die Jugend in den Bildungseinrichtungen, selbst in jenen, die von Ordensleuten betrieben werden, nicht so unterwiesen, dass sie die Würde und die Reinheit der Ehe zu schätzen lernt. Das ist euch nicht unbekannt. Häufig werden in den geistlichen Exerzitien, die man den Schülern der letzten Klassen zu halten pflegt, mehr Argumente geboten, um ihre mögliche Berufung zum Ordensstand zu erwägen als um die Ausrichtung auf die Ehe in Betracht zu ziehen; und von manchen wird das Eheleben vor den Augen der jungen Leute sogar mit Geringschätzung bedacht, sodass sie den Eindruck gewinnen können, dass die Kirche dieses lediglich toleriert.

Im Opus Dei sind wir immer anders vorgegangen. Während wir deutlich gemacht haben, dass die vollkommene Keuschheit wertvoller ist als der Ehestand, haben wir die Ehe als einen göttlichen Weg auf Erden bezeichnet. Mit diesem Grundsatz sind wir nicht schlecht gefahren, denn die Wahrheit ist immer befreiend, und in den jugendlichen Herzen gibt es viel Großzügigkeit, um das Fleisch hinter sich zu lassen, wenn man ihnen die Freiheit gibt, die Liebe zu wählen.

Wir erschrecken nicht über die menschliche Liebe, über die heilige Liebe unserer Eltern, derer sich der Herr bedient hat, um uns das Leben zu schenken. Diese Liebe segne ich mit beiden Händen. Ich lasse nicht zu, dass eines meiner Kinder keine große Liebe zum heiligen Sakrament der Ehe empfindet. Deshalb singen wir ohne Angst die Lieder auf die saubere menschliche Liebe, die auch menschliche Liebeslieder auf das Göttliche [18] sind; und diejenigen von uns, die wir auf diese irdische Liebe aus Liebe verzichtet haben, sind keine alten Junggesellen. Wir haben ein kraftvolles Herz.

[18] „menschliche Liebeslieder auf das Göttliche“: Anspielung auf das poetische Werk des heiligen Johannes vom Kreuz (1542-1591), der einige unsterbliche Gesänge „auf das Göttliche“, also Liebeslieder im geistlichen Sinn, schrieb, so wie andere Renaissanceschriftsteller menschliche Liebeslieder verfassten. (Anm. d. Hrsg.)

Zu euch, meine Töchter und Söhne, die ihr von Gott berufen worden seid, eine Familie zu gründen, sage ich, dass ihr euch gern haben und euch immer die begeisterte Liebe bewahren sollt, die ihr als Verlobte füreinander empfandet. Es hat einen armseligen Begriff von der Ehe – die doch ein Ideal und eine Berufung ist –, wer denkt, dass die Freude endet, sobald die Schwierigkeiten und Entbehrungen, die das Leben mit sich bringt, beginnen.

Gerade dann gewinnt die Liebe an Kraft, gerade dann wird sie stärker als der Tod: fortis est ut mors dilectio75. Die Sturzbäche der Sorgen und Widrigkeiten sind nicht imstande, die wahre Liebe zu ersticken. Das großmütig geteilte Opfer verbindet euch noch mehr – aquae multae non potuerunt extinguere caritatem76 –, und die vielen physischen oder moralischen Herausforderungen werden eure Zuneigung nicht auslöschen können.

Eure Ehe wird gewöhnlich sehr fruchtbar sein. Und wenn Gott euch keine Kinder schenkt, werdet ihr eure Energien mit größerer Intensität dem Apostolat widmen, das euch eine herrliche geistliche Fruchtbarkeit verleihen wird. Der Herr pflegt die christlichen Familien mit einer Krone von Kindern zu segnen, wie ich euch oft gesagt habe. Nehmt sie immer mit Freude und Dankbarkeit an, denn sie sind Geschenk und Segen Gottes und ein Beweis seines Vertrauens.

Die Zeugungsfähigkeit ist wie eine Teilhabe an der Schöpfermacht Gottes, so wie die Intelligenz gleichsam ein Lichtfunke des göttlichen Verstandes ist. Bringt die Quellen des Lebens nicht zum Versiegen. Habt keine Angst! Kriminell – und weder christlich noch menschlich – sind die Theorien, die versuchen, die Notwendigkeit der Geburtenbegrenzung mit falschen wirtschaftlichen, sozialen oder wissenschaftlichen Gründen zu rechtfertigen, die sich bei genauerer Analyse als unhaltbar erweisen. Sie sind Feigheit, meine Kinder, Feigheit und der Versuch, zu rechtfertigen, was sich nicht rechtfertigen lässt.

Es ist bedauerlich, dass diese Ideen oft aus einer Kasuistik stammen, die von Priestern und Ordensleuten entwickelt wird, die sich unvorsichtigerweise dort einmischen, wo niemand sie ruft, dabei manchmal eine morbide Neugier zeigen und – unter anderem – wenig Liebe zur Kirche beweisen, denn der Herr wollte das Sakrament der Ehe als Mittel für das Wachstum und die Ausbreitung seines Mystischen Leibes einsetzen.

Zweifelt nicht daran, dass ein Rückgang der Kinderzahl in den christlichen Familien zum Rückgang der Priesterberufungen und der Seelen führen würde, die ihr ganzes Leben dem Dienst Jesu Christi widmen wollen. Ich habe eine ganze Reihe von Ehepaaren gesehen, denen Gott nur ein einziges Kind geschenkt hat und die so großzügig waren, es Gott darzubringen. Aber nicht viele handeln so. In den kinderreichen Familien ist es leichter, die Größe der göttlichen Berufung zu verstehen, und es gibt dort Berufungen zu allen Ständen und Wegen.

Seid großzügig und spürt die Freude und die Stärke der kinderreichen Familien. Die Ehepaare, die keine Kinder haben wollen, bringe ich zum Erröten: Wenn ihr keine Kinder haben wollt, so lebt enthaltsam! Ich denke, und das sage ich aufrichtig, dass es nicht christlich ist, den Eheleuten zu empfehlen[19], in den Zeiten enthaltsam zu sein, in denen die Natur der Frau die Möglichkeit zur Fortpflanzung gegeben hat.

Im einen oder anderen konkreten Fall wird man das, immer im Einvernehmen mit dem Arzt und dem Priester, erlauben können oder sogar erlauben müssen. Aber es kann nicht als allgemeine Regel empfohlen werden. Mit sehr kräftigen Worten[20] habe ich euch gesagt, dass viele von uns hingehen und auf das Grab unserer Eltern spucken würden, wenn wir wüssten, dass wir gegen ihren Willen auf die Welt gekommen und nicht die Frucht ihrer reinen Liebe sind. Gott sei Dank dürfen wir im Allgemeinen dem Herrn dafür danken, in einer christlichen Familie geboren worden zu sein, der wir – zum großen Teil – unsere Berufung verdanken.

Ich erinnere mich, dass einer meiner Söhne, der in einem Land arbeitete, in dem die Theorien über die Geburtenbeschränkung sehr verbreitet waren, jemandem, der ihn zu diesem Thema befragte, im Scherz antwortete: Dann wird es auf der Welt bald nur mehr Schwarze und Katholiken geben.[21] Doch das verstehen die Katholiken in Ländern nicht, in denen sie eine Minderheit sind. Denn sie befassen sich nicht eingehend mit der Tatsache – die eine tiefe theologische Grundlage hat –, dass die christliche Ehe das Mittel ist, das der Herr in seiner ordentlichen Vorsehung dazu bestimmt hat, das Volk Gottes zu mehren.

Hingegen scheinen die Feinde Christi – sie sind offensichtlich klüger – mehr gesunden Menschenverstand zu besitzen. So wird in kommunistisch regierten Ländern den Gesetzen des Lebens und den schöpferischen Energien des Menschen immer mehr Bedeutung zugemessen, um sie dann als bestimmende Faktoren in die ideologischen und politischen Pläne einzubauen.

[19] „dass es nicht christlich ist, den Eheleuten zu empfehlen“: Der heilige Josefmaria zeichnet ein sehr hohes Ideal der ehelichen Berufung, einer Berufung zur Heiligkeit, und er tut es in dem zunehmend permissiven Klima, das sich in den 60er Jahren in der westlichen Gesellschaft breitmacht. Er möchte verhindern, dass die periodische Enthaltsamkeit als eine Art „katholisches Verhütungsmittel“ verstanden wird, das Anwendung finden kann, ohne die medizinischen, menschlichen und geistlichen Aspekte dieser Option jeweils zu berücksichtigen. Im nächsten Absatz wird er sagen, in konkreten Fällen werde man sie „erlauben können oder sogar erlauben müssen“; er empfiehlt aber die Beratung durch Arzt und Priester. Er möchte jenen Menschen helfen, die ihre Ehe christlich und heiligmäßig leben wollen und zugleich Abstände zwischen den Geburten eintreten lassen müssen. Seine Worte spiegeln die pastorale Orientierung und die moralische Praxis wider, wie sie zwischen 1959 und 1966 gängig waren, also zur Zeit, als dieser Brief verfasst bzw. gedruckt wurde. Das lässt sich anhand einer Reihe moraltheologischer Werke belegen, die sich in der persönlichen Bibliothek des heiligen Josefmaria befanden. Diese Lehre wurde durch die Enzyklika Humanae vitae Pauls VI. (1968) klarer gefasst und vervollkommnet. Humanae vitae erwähnt, dass „ernste Gründe“ vorliegen müssen, damit die natürlichen Methoden angewendet werden können, um zwischen den Geburten Abstände eintreten zu lassen (Nr. 16). Zugleich verweist die Enzyklika darauf, dass diese Methoden nicht von der „verantwortlichen Elternschaft“ und den Forderungen der Keuschheit abgekoppelt werden dürfen. Zur Zeit des Erscheinens dieses Briefes war eine theologische Debatte über diese Frage in Gang, und das Lehramt selbst war noch im Begriff, in Fortführung der 1965 von der Konstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils vorgezeichneten Linie seine Position zu präzisieren. Der gegenwärtige Katechismus der Katholischen Kirche gibt in Nr. 2369-2370 die Formulierung von Humanae vitae wider, angereichert durch das Lehramt des hl. Johannes Paul II. (Anm. d. Hrsg.)

[20] „Mit sehr kräftigen Worten“: Erinnern wir uns, dass der heilige Josefmaria für Personen schreibt, die mit seiner offenen Art zu reden, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, vertraut waren. Außerdem verwendet er in seiner Predigt und seinen Schriften immer wieder die Hyperbel, um eine Lehre hervorzuheben, etwa wenn er sagt, er glaube seinen Söhnen mehr als tausend Notaren, die das Gegenteil behaupten, oder er würde, bevor er über jemanden abfällig spricht, sich die Zunge abbeißen und sie ausspucken. Es gibt viele andere Beispiele für solche kraftvolle und einprägsame Formulierungen. Natürlich wollte er nicht, dass diese Hyperbeln wörtlich genommen werden. Wer die Liebe Escrivás zu seinen Eltern in Rechnung stellt und darüber hinaus seine Fähigkeit kennt, zu verzeihen und mit den menschlichen Schwächen Verständnis zu haben, wie sie in seinen Schriften, angefangen mit diesem Brief, zum Ausdruck kommt, könnte nie auf den Gedanken kommen, dass er tun würde, was er hier sagt. Er möchte aber „sehr kräftige Worte“ verwenden, um auf das Drama hinzuweisen, das jene erleben, die entdecken, dass sie ungewünschte Kinder sind. Es handelt sich um ein schweres existentielles und psychologisches Problem, mit dem seit der sexuellen Revolution nach der enormen Verbreitung der Verhütungsmittel und der Abtreibungspraxis gerade unsere Gesellschaft konfrontiert ist und das sich bereits ankündigte, als der heilige Josefmaria diese Worte schrieb. Er möchte klarstellen, dass das Leitbild der Heiligkeit, das er den Verheirateten vorlegt, eine „reine Liebe“ unter den Ehegatten und eine große Liebe zu den Kindern einschließt, ohne Angst vor Nachkommenschaft, wenn Gott sie schicken möchte, außer aus schwerwiegenden Gründen. (Anm. d. Hrsg.)

[21] „Dann wird es auf der Welt bald nur mehr Schwarze und Katholiken geben“: Das Wort muss im geschichtlichen Kontext der Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre des 20. Jh. in den Vereinigten Staaten verstanden werden, als der Brief geschrieben wurde. Diese Jahre decken sich mit der Intensivierung der Maßnahmen zur Ausbreitung der Geburtenkontrolle in Nordamerika, hinter denen sich für die afroamerikanischen Aktivsten eine rassistische Absicht verbarg. Auch die Katholiken widersetzten sich, wenngleich aus anderen Gründen, diesen Maßnahmen. Der ironische Satz eines Mitglieds des Opus Dei, den Escrivá zitiert, zielt auf die rassistischen und antipäpstlichen Vorurteile einiger Sektoren der Bevölkerung ab, denen die höhere Geburtenrate bei Afroamerikanern und Katholiken ein Dorn im Auge war. Der heilige Josefmaria nützt den Umstand, um den Rassismus ad absurdum zu führen, indem er seine Torheit und die jeder Diskriminierung aus rassischen oder religiösen Motiven aufweist.

Wäre es heutzutage nicht völlig verpönt, müsste man im Zitat das Wort „Neger“ (statt „Schwarze“) verwenden. Mitte der 60er Jahre war es in Amerika normal, einen Afroamerikaner als „negro“ (Mehrzahl „negroes“) zu bezeichnen. Martin Luther King Jr., Malcom X und andere Gegner der Rassentrennung verwendeten ihn mit Natürlichkeit, genauso wie die öffentliche Meinung im Allgemeinen, wie man dem Buch von Robert Penn Warren, Who Speaks for the Negro?, New York, Random House, 1965, entnehmen kann, das mit dem Brief zeitgleich ist und in dem Interviews mit den wichtigsten Vertretern der Bürgerrechtsbewegung gesammelt sind.

1972 fragte ein Afroamerikaner Escrivá, wie man das Apostolat mit den Leuten seiner Rasse fördern könnte (der junge Mann sagte wörtlich „Apostolat mit den Negern“, wobei die Vokabel damals nicht den negativen Beiklang hatte, den sie heute, besonders in anderen Sprachen, besitzt). Der heilige Josefmaria antwortete damals: „Schau, mein Sohn, vor Gott gibt es nicht Schwarze und Weiße. Wir sind alle gleich, wir sind alle gleich! Ich liebe dich aus ganzer Seele, wie ich diesen da und jenen dort liebe, wie ich alle liebe. Man muss die Barriere der Rassen überwinden, denn es gibt keine Barrieren! Wir alle haben dieselbe Farbe: die Farbe der Kinder Gottes“ (Mitschrift aus einem Treffen, 3.4.1972, in Crónica [1972], Band 5, S. 106-107). (Anm. d. Hrsg.)

Ein helles und frohes Zuhause

In euren Häusern, die ich immer als hell und froh bezeichnet habe, werden eure Kinder in den übernatürlichen und menschlichen Tugenden erzogen werden, in einem Klima der Freiheit, des frohen Opfers. Und wie viele Berufungen werden aus diesen Familien, die ich die apostolischen Schulen des Opus Dei genannt habe, zum Werk kommen! Eine der großen und häufigen Freuden meines Lebens besteht darin, ein Gesicht zu sehen, das mich an einen Jungen erinnert, dem ich vor Jahren begegnet bin. Du, frage ich ihn, wie heißt du? Bist du der Sohn des Soundso? Und ich bin glücklich und danke Gott, wenn er es mir bestätigt.

Das Geheimnis des Eheglücks liegt im Alltäglichen: in der verborgenen Freude, die in der Rückkehr nach Hause liegt; in der Erziehung der Kinder; in der Arbeit, an der die ganze Familie mitwirkt; in der Nutzung auch all der Fortschritte, die uns die Zivilisation ermöglicht, um das Zuhause – wo nichts an ein Kloster erinnert, das wäre abnormal – angenehmer, die Erziehung wirksamer und das Leben einfacher zu gestalten.

Ihr werdet durch euren Umgang mit den – wenigen – Familien einiger meiner Kinder, die deren Weg der Hingabe im Dienst Gottes nicht wirklich verstehen, auch dazu beitragen, dass sie dem Herrn schließlich danken für dieses unschätzbare Geschenk, dass Er sie berufen hat, Väter und Mütter der Kinder Gottes in seinem Werk zu sein. Niemals hatten sie daran gedacht, dass sich ihre Kinder Gott hingeben würden. Im Gegenteil, sie hatten für sie Pläne geschmiedet, die weitab von dieser Hingabe lagen, die für sie unerwartet kam und ihre oft edlen, aber irdischen Zukunftsvorstellungen mit einem Mal zunichte gemacht hat. Meine nicht mehr kurze Erfahrung lehrt mich jedenfalls, dass die Eltern, die die Berufung ihrer Kinder anfangs nicht mit Freude aufgenommen haben, schließlich einlenken, sich dem Frömmigkeitsleben und der Kirche nähern und zuletzt das Werk lieben.

Trotz der eben angestellten Überlegungen gibt es dank der Gnade Gottes täglich mehr Familien – Eltern, Geschwister und Verwandte –, die auf die Berufung übernatürlich und christlich reagieren. Und sie helfen, bitten um die Aufnahme oder sind wenigstens großartige Mitarbeiter.

Wenn ich mit den Müttern und Vätern meiner Kinder spreche, pflege ich ihnen zu sagen: Eure Sendung als Eltern ist noch nicht zu Ende. Ihr müsst ihnen helfen, heilig zu werden. Und wie? Indem ihr selbst heilig seid. Ihr erfüllt eure Elternpflicht, wenn ihr ihnen und mir helft, dass sie heilig werden. Erlaubt mir, euch zu sagen: Der Stolz und die Krone des Opus Dei seid ihr, die Mütter und Väter. Ihr habt Teile eures Herzens für den Dienst an der Kirche hergegeben.

Kühnheit bei der Erfüllung unserer Sendung

Ich komme zum Schluss, meine geliebten Töchter und Söhne. Ich habe euch in Freiheit geschrieben, um von neuem eure Erinnerung zu wecken 77, obwohl ich euren Eifer kenne, dem Ruf Gottes treu zu sein.

Erfüllt eure Sendung mit Kühnheit, ohne Angst, euch zu engagieren und Farbe zu bekennen, denn die Menschen neigen leicht dazu, sich vor der Ausübung ihrer Freiheit zu fürchten. Sie haben lieber, dass man ihnen für alles vorgefertigte Formeln gibt. Es ist ein Paradox, aber die Menschen fordern oft die Vorschrift ein – unter Verzicht auf ihre Freiheit –, aus Angst, etwas zu wagen.

Das Werk bildet euch, damit ihr mutige Männer und Frauen seid – jeder in seiner Umgebung –, die Initiative haben, die Antrieb haben, die den anderen vorangehen. Ihr müsst dieser Bildung mit eurem Eifer und eurer Anstrengung entsprechen. Ohne diese eure Entschlossenheit wäre die Überfülle an geistlichen Mitteln wertlos. Denkt an jenen Satz, den man früher gerne auf alten Dolchen eingravierte: Auf mich verlass dich nicht, wenn's dir an Mut gebricht.

Seid entschlossen, zäh, hartnäckig, denn es gibt kein Nein, das definitiv ist. Seid allen gegenüber sehr verständnisvoll, und bemüht euch besonders um die Einheit der Katholiken. Wenn ihr einander beißt und verschlingt, dann gebt acht, dass ihr euch nicht gegenseitig umbringt78, schrieb der heilige Paulus. Wir Katholiken sollten einander daher kennen und lieben.

Gebt allen Menschen das Beispiel eurer christlichen Genügsamkeit und eures Opfers. Der Herr hat uns gesagt: Wenn einer mir nachfolgen will, so verleugne er sich selbst.79 Er hat uns spüren lassen, meine Kinder, wie fruchtbar es ist, mit den Füßen zerstampft und zertreten zu werden wie die Traube in der Kelter, um – Wein Christi zu werden!

Bleibt jederzeit gelassen – weder heftig noch hitzig noch aufgeregt. Habt jene Gelassenheit, die die Ausübung der Kardinaltugenden erfordert. Das lebendige Bewusstsein unserer Gotteskindschaft wird euch diese Gelassenheit geben, denn dieser Wesenszug unseres Geistes trat mit dem Werk ins Leben und nahm im Jahre 1931 Gestalt an[22]. In menschlich schwierigen Augenblicken, in denen ich dennoch die Gewissheit des Unmöglichen hatte – das ihr heute als Wirklichkeit vor euch habt –, spürte ich die Regung des Herrn, der in meinem Herzen und auf meinen Lippen mit unwiderstehlicher Kraft diese zarte Anrufung aufbrechen ließ: Abba! Pater! Ich befand mich auf der Straße, in einer Straßenbahn. Die Straße hindert uns nicht in unserem beschaulichen Gespräch; der Lärm der Welt ist für uns ein Ort des Gebetes. Wahrscheinlich habe ich jenes Gebet laut gesprochen, und die Leute mussten mich für verrückt halten: Abba! Pater! Welches Vertrauen, welche Ruhe und welcher Optimismus werden euch erfüllen, inmitten der Schwierigkeiten, wenn ihr euch als Kinder eines Vaters fühlt, der alles weiß und alles kann.

Meine Kinder, ich ermahne euch, dass ihr weitermacht (…) und dass ihr euch bemüht, ein ruhiges Leben zu führen, euch um eure Aufgaben zu kümmern und mit euren Händen zu arbeiten, wie wir euch aufgetragen haben, damit ihr vor den Augen der Außenstehenden ein rechtschaffenes Leben führt und keine Not leidet. Und der Friede Christi herrsche in euren Herzen.80

[22] „und nahm im Jahre 1931 Gestalt an“: Auf dieses Ereignis hat der Gründer verschiedentlich Bezug genommen. Er betrachtete es als ein wichtiges von Gott geschenktes Licht (vgl. Andrés Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Band 1, Köln, Adamas, 2001, S. 366-371). (Anm. d. Hrsg.)

Es segnet euch von ganzem Herzen euer Vater.

Rom, 9. Januar 1959

Anmerkungen
1

Vgl. Lk 12,49.

2

Vgl. Kol 2,14.

3

1 Kor 6,20; vgl. 1 Petr 1,18-19.

4

Röm 8,31-32.38-39.

Anmerkungen
5

Vgl. Gal 3,28; Kol 3,11.

6

Vgl. Lk 14,15-24.

7

Kol 1,24.

8

Ps 145(144),21.

Anmerkungen
9

Vgl. Joh 18,36.

10

Vgl. Mt 13,24-30.

11

Vgl. Offb 21,1-2.

12

Offb 17,14.

13

2 Thess 2,3-4; vgl. Offb 13,1-17.

Anmerkungen
14

Mk 10,32.

15

Vgl. Lk 12,50.

16

Mk 10,39.

17

Mk 10,38.

18

Jud 19.

19

1 Kor 2,14.

Anmerkungen
20

Offb 21,6.

21

Hebr 13,8.

Anmerkungen
22

Jes 10,21-22.

23

Jes 24,13.

24

Röm 11,5.

Anmerkungen
25

Lk 12,49; 1 Sam 3,9.

26

Mk 8,2.

27

Lk 4,40.

28

Vgl. Gen 27,27.

Anmerkungen
29

Lk 23,50-51.

30

Mk 15,43; Joh 19,39.

Anmerkungen
31

1 Kor 7,20-24.

Anmerkungen
32

Eph 5,8-9.

33

Joh 11,39.

Anmerkungen
34

Phil 4,8.

35

Kol 3,17.

36

Gal 5,24.

37

Phil 3,18

38

Vgl. Joh 12,24.

39

Phil 3,19-21.

Anmerkungen
40

Vgl. Ps 20(19),8.

41

Mt 24,28.

Anmerkungen
42

Phil 4,22.

43

Vgl. Phlm 8-12; Eph 6,5f; Kol 3,22-25; 1 Tim 6,1-2; 1 Petr 2,18f.

44

Tertullian, Apologetikum, 37.

Anmerkungen
45

Röm 14,19.

46

Röm 12,17-18.

47

Lk 16,8.

Anmerkungen
48

Röm 13,11.

49

Mt 10,34.

Anmerkungen
50

1 Petr 3,15.

Anmerkungen
51

2 Kor 5,14.

52

Röm 12,11.

53

Vgl. Eph 5,15-16.

54

Gal 6,10.

55

Ps 2,8.

Anmerkungen
56

1 Thess 5,14.

57

2 Thess 3,11.

58

2 Thess 3,12.

Anmerkungen
59

Jdt 8,9-13.

60

Apg 5,12.

Anmerkungen
61

Vgl. Mt 22,21.

Anmerkungen
62

Joh 8,32.

Anmerkungen
63

Vgl. Mt 22,15-22; Mk 12,13-17; Lk 20,20-26; Röm 13,1-7.

64

Apg 16,37.

65

Apg 22,25-28; vgl. ebd. 25,11.

Anmerkungen
66

2 Petr 1,10.

Anmerkungen
67

Röm 10,14.

Anmerkungen
68

2 Tim 4,2.

69

Joh 18,37.

70

Eph 4,25.

Anmerkungen
71

Kol 4,5-6.

Anmerkungen
72

Gregor der Große, In Evangelium homiliae, 24.

Anmerkungen
73

Eph 5,32.

74

Vgl. Mt 19,11f; 1 Kor 7,25-40; Konzil von Trient, Sitzung 24, Kan. 10.

Anmerkungen
75

Hld 8,6.

76

Hld 8,7.

Anmerkungen
77

Röm 15,15.

78

Gal 5,15.

Anmerkungen
79

Mt 16,24.

80

1 Thess 4,10-12; Kol 3,15.

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