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Seid großzügig und spürt die Freude und die Stärke der kinderreichen Familien. Die Ehepaare, die keine Kinder haben wollen, bringe ich zum Erröten: Wenn ihr keine Kinder haben wollt, so lebt enthaltsam! Ich denke, und das sage ich aufrichtig, dass es nicht christlich ist, den Eheleuten zu empfehlen[19], in den Zeiten enthaltsam zu sein, in denen die Natur der Frau die Möglichkeit zur Fortpflanzung gegeben hat.

Im einen oder anderen konkreten Fall wird man das, immer im Einvernehmen mit dem Arzt und dem Priester, erlauben können oder sogar erlauben müssen. Aber es kann nicht als allgemeine Regel empfohlen werden. Mit sehr kräftigen Worten[20] habe ich euch gesagt, dass viele von uns hingehen und auf das Grab unserer Eltern spucken würden, wenn wir wüssten, dass wir gegen ihren Willen auf die Welt gekommen und nicht die Frucht ihrer reinen Liebe sind. Gott sei Dank dürfen wir im Allgemeinen dem Herrn dafür danken, in einer christlichen Familie geboren worden zu sein, der wir – zum großen Teil – unsere Berufung verdanken.

Ich erinnere mich, dass einer meiner Söhne, der in einem Land arbeitete, in dem die Theorien über die Geburtenbeschränkung sehr verbreitet waren, jemandem, der ihn zu diesem Thema befragte, im Scherz antwortete: Dann wird es auf der Welt bald nur mehr Schwarze und Katholiken geben.[21] Doch das verstehen die Katholiken in Ländern nicht, in denen sie eine Minderheit sind. Denn sie befassen sich nicht eingehend mit der Tatsache – die eine tiefe theologische Grundlage hat –, dass die christliche Ehe das Mittel ist, das der Herr in seiner ordentlichen Vorsehung dazu bestimmt hat, das Volk Gottes zu mehren.

Hingegen scheinen die Feinde Christi – sie sind offensichtlich klüger – mehr gesunden Menschenverstand zu besitzen. So wird in kommunistisch regierten Ländern den Gesetzen des Lebens und den schöpferischen Energien des Menschen immer mehr Bedeutung zugemessen, um sie dann als bestimmende Faktoren in die ideologischen und politischen Pläne einzubauen.

[19] „dass es nicht christlich ist, den Eheleuten zu empfehlen“: Der heilige Josefmaria zeichnet ein sehr hohes Ideal der ehelichen Berufung, einer Berufung zur Heiligkeit, und er tut es in dem zunehmend permissiven Klima, das sich in den 60er Jahren in der westlichen Gesellschaft breitmacht. Er möchte verhindern, dass die periodische Enthaltsamkeit als eine Art „katholisches Verhütungsmittel“ verstanden wird, das Anwendung finden kann, ohne die medizinischen, menschlichen und geistlichen Aspekte dieser Option jeweils zu berücksichtigen. Im nächsten Absatz wird er sagen, in konkreten Fällen werde man sie „erlauben können oder sogar erlauben müssen“; er empfiehlt aber die Beratung durch Arzt und Priester. Er möchte jenen Menschen helfen, die ihre Ehe christlich und heiligmäßig leben wollen und zugleich Abstände zwischen den Geburten eintreten lassen müssen. Seine Worte spiegeln die pastorale Orientierung und die moralische Praxis wider, wie sie zwischen 1959 und 1966 gängig waren, also zur Zeit, als dieser Brief verfasst bzw. gedruckt wurde. Das lässt sich anhand einer Reihe moraltheologischer Werke belegen, die sich in der persönlichen Bibliothek des heiligen Josefmaria befanden. Diese Lehre wurde durch die Enzyklika Humanae vitae Pauls VI. (1968) klarer gefasst und vervollkommnet. Humanae vitae erwähnt, dass „ernste Gründe“ vorliegen müssen, damit die natürlichen Methoden angewendet werden können, um zwischen den Geburten Abstände eintreten zu lassen (Nr. 16). Zugleich verweist die Enzyklika darauf, dass diese Methoden nicht von der „verantwortlichen Elternschaft“ und den Forderungen der Keuschheit abgekoppelt werden dürfen. Zur Zeit des Erscheinens dieses Briefes war eine theologische Debatte über diese Frage in Gang, und das Lehramt selbst war noch im Begriff, in Fortführung der 1965 von der Konstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils vorgezeichneten Linie seine Position zu präzisieren. Der gegenwärtige Katechismus der Katholischen Kirche gibt in Nr. 2369-2370 die Formulierung von Humanae vitae wider, angereichert durch das Lehramt des hl. Johannes Paul II. (Anm. d. Hrsg.)

[20] „Mit sehr kräftigen Worten“: Erinnern wir uns, dass der heilige Josefmaria für Personen schreibt, die mit seiner offenen Art zu reden, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, vertraut waren. Außerdem verwendet er in seiner Predigt und seinen Schriften immer wieder die Hyperbel, um eine Lehre hervorzuheben, etwa wenn er sagt, er glaube seinen Söhnen mehr als tausend Notaren, die das Gegenteil behaupten, oder er würde, bevor er über jemanden abfällig spricht, sich die Zunge abbeißen und sie ausspucken. Es gibt viele andere Beispiele für solche kraftvolle und einprägsame Formulierungen. Natürlich wollte er nicht, dass diese Hyperbeln wörtlich genommen werden. Wer die Liebe Escrivás zu seinen Eltern in Rechnung stellt und darüber hinaus seine Fähigkeit kennt, zu verzeihen und mit den menschlichen Schwächen Verständnis zu haben, wie sie in seinen Schriften, angefangen mit diesem Brief, zum Ausdruck kommt, könnte nie auf den Gedanken kommen, dass er tun würde, was er hier sagt. Er möchte aber „sehr kräftige Worte“ verwenden, um auf das Drama hinzuweisen, das jene erleben, die entdecken, dass sie ungewünschte Kinder sind. Es handelt sich um ein schweres existentielles und psychologisches Problem, mit dem seit der sexuellen Revolution nach der enormen Verbreitung der Verhütungsmittel und der Abtreibungspraxis gerade unsere Gesellschaft konfrontiert ist und das sich bereits ankündigte, als der heilige Josefmaria diese Worte schrieb. Er möchte klarstellen, dass das Leitbild der Heiligkeit, das er den Verheirateten vorlegt, eine „reine Liebe“ unter den Ehegatten und eine große Liebe zu den Kindern einschließt, ohne Angst vor Nachkommenschaft, wenn Gott sie schicken möchte, außer aus schwerwiegenden Gründen. (Anm. d. Hrsg.)

[21] „Dann wird es auf der Welt bald nur mehr Schwarze und Katholiken geben“: Das Wort muss im geschichtlichen Kontext der Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre des 20. Jh. in den Vereinigten Staaten verstanden werden, als der Brief geschrieben wurde. Diese Jahre decken sich mit der Intensivierung der Maßnahmen zur Ausbreitung der Geburtenkontrolle in Nordamerika, hinter denen sich für die afroamerikanischen Aktivsten eine rassistische Absicht verbarg. Auch die Katholiken widersetzten sich, wenngleich aus anderen Gründen, diesen Maßnahmen. Der ironische Satz eines Mitglieds des Opus Dei, den Escrivá zitiert, zielt auf die rassistischen und antipäpstlichen Vorurteile einiger Sektoren der Bevölkerung ab, denen die höhere Geburtenrate bei Afroamerikanern und Katholiken ein Dorn im Auge war. Der heilige Josefmaria nützt den Umstand, um den Rassismus ad absurdum zu führen, indem er seine Torheit und die jeder Diskriminierung aus rassischen oder religiösen Motiven aufweist.

Wäre es heutzutage nicht völlig verpönt, müsste man im Zitat das Wort „Neger“ (statt „Schwarze“) verwenden. Mitte der 60er Jahre war es in Amerika normal, einen Afroamerikaner als „negro“ (Mehrzahl „negroes“) zu bezeichnen. Martin Luther King Jr., Malcom X und andere Gegner der Rassentrennung verwendeten ihn mit Natürlichkeit, genauso wie die öffentliche Meinung im Allgemeinen, wie man dem Buch von Robert Penn Warren, Who Speaks for the Negro?, New York, Random House, 1965, entnehmen kann, das mit dem Brief zeitgleich ist und in dem Interviews mit den wichtigsten Vertretern der Bürgerrechtsbewegung gesammelt sind.

1972 fragte ein Afroamerikaner Escrivá, wie man das Apostolat mit den Leuten seiner Rasse fördern könnte (der junge Mann sagte wörtlich „Apostolat mit den Negern“, wobei die Vokabel damals nicht den negativen Beiklang hatte, den sie heute, besonders in anderen Sprachen, besitzt). Der heilige Josefmaria antwortete damals: „Schau, mein Sohn, vor Gott gibt es nicht Schwarze und Weiße. Wir sind alle gleich, wir sind alle gleich! Ich liebe dich aus ganzer Seele, wie ich diesen da und jenen dort liebe, wie ich alle liebe. Man muss die Barriere der Rassen überwinden, denn es gibt keine Barrieren! Wir alle haben dieselbe Farbe: die Farbe der Kinder Gottes“ (Mitschrift aus einem Treffen, 3.4.1972, in Crónica [1972], Band 5, S. 106-107). (Anm. d. Hrsg.)

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