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Es gibt 12 Nummer in «Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer» deren Stichwort lautet Opus Dei  → persönliche Freiheit und Verantwortung.

Sie haben ab und zu gesagt, das Opus Dei sei eine "desorganisierte Organisation". Können Sie unseren Lesern den Sinn dieser Formulierung erklären?

Damit will ich sagen, daß für uns die persönliche apostolische Spontaneität und die freie und verantwortliche, vom Wirken des Heiligen Geistes geleitete Initiative von grundlegender und erstrangiger Bedeutung sind. Das ist uns wichtiger als durchstrukturierte Organisation, taktische Weisungen und Pläne von oben.

Ein Mindestmaß an Organisation besteht selbstverständlich: Es gibt eine zentrale Leitung mit Sitz in Rom, die immer kollegial ist, und in den einzelnen Ländern ebenfalls kollegial handelnde Leitungsorgane, an deren Spitze ein Consiliarius2 steht. Aber die gesamte Tätigkeit dieser Organe beschränkt sich praktisch darauf, den Mitgliedern des Werkes die notwendige geistliche Hilfe für ihr religiöses Leben sowie eine angemessene geistliche, theologische und menschliche Formung zu vermitteln. Dann aber gilt der Spruch: Enten ins Wasser!, den ich gern benutze: Christen, heiligt alle Wege der Menschen, denn alle sind gezeichnet von den Spuren Gottes.

An diesem Punkt hat die Vereinigung als solche ihre Aufgabe beendet, das heißt jene Tätigkeit, um deretwillen sich die Mitglieder des Opus Dei dem Werk anschließen. Sie braucht keine weitere Anweisung mehr zu geben, noch soll und darf sie das tun; denn hier beginnt das freie, eigenverantwortliche, persönliche Wirken jedes einzelnen Mitglieds. Jeder einzelne handelt mit apostolischer Spontaneität und absoluter persönlicher Freiheit und bildet sich, angesichts der konkreten Entscheidungen, die er zu treffen hat, vor seinem Gewissen sein unabhängiges, eigenständiges Urteil. Und indem er seine Berufsarbeit, sei sie nun intellektueller oder handwerklicher Art, zu heiligen sucht, bemüht er sich, nach der christlichen Vollkommenheit zu streben und in seiner Umgebung ein christliches Zeugnis zu geben. Wenn ein jeder in seinem weltlichen Lebensbereich und in den zeitlichen Angelegenheiten autonom seine persönlichen Entscheidungen trifft, ergeben sich selbstverständlich Unterschiede in den Ansichten, Handlungsweisen und Entscheidungen der verschiedenen Mitglieder, mit einem Wort: es resultiert jene gesegnete Desorganisation, ein gerechter und notwendiger Pluralismus, der für das Opus Dei ein Wesensmerkmal guten Geistes darstellt und mir immer als die einzig rechte und angemessene Auffassung vom Laienapostolat erschienen ist.

Diese desorganisierte Organisation zeigt sich sogar in den korporativen apostolischen Einrichtungen, die das Opus Dei mit der Absicht gründet, auch als Vereinigung christliche Lösungen für die drängenden Probleme der Gesellschaft in den verschiedenen Ländern anzubieten. Solche Tätigkeiten und Unternehmungen des Opus Dei haben immer eine unmittelbar apostolische Zielsetzung, das heißt, es handelt sich um Bildungs- oder sonstige Wohlfahrtseinrichtungen. Da aber unsere Arbeitsweise gerade darin besteht, von der Basis ausgehende Initiativen anzuregen, und da zudem die Umstände, Erfordernisse und Möglichkeiten in jedem Land und jedem sozialen Milieu anders geartet sind, überläßt es die zentrale Leitung des Werkes den Leitungsorganen in den einzelnen Ländern, die praktisch über eine absolute Autonomie verfügen, in eigener Verantwortung diejenigen konkreten apostolischen Unternehmungen zu organisieren und zu fördern, die ihnen angebracht erscheinen: Hochschulen oder Studentenheime, Sanitätsstationen oder Landwirtschaftsschulen. Als logisches Ergebnis haben wir ein buntes und abwechslungsreiches, eben organisiert desorganisiertes Mosaik von Tätigkeiten.

Welche Unterschiede bestehen zwischen der Form, in der das Opus Dei als Vereinigung seine Aufgabe erfüllt, und der Art und Weise, in der die Mitglieder des Opus Dei als einzelne arbeiten? Was spricht zum Beispiel dafür, daß bestimmte Einrichtungen (etwa eine höhere Schule oder ein Tagungszentrum) von der Vereinigung betreut, andere hingegen (beispielsweise ein Verlag oder eine Firma) von Einzelpersonen betrieben werden?

Die Haupttätigkeit des Opus Dei besteht darin, seinen Mitgliedern und allen Menschen, die es wünschen, die notwendigen geistlichen Mittel an die Hand zu geben, damit sie als gute Christen inmitten der Welt leben können. Es macht sie vertraut mit der Lehre Christi und mit der Verkündigung der Kirche und verleiht ihnen eine Geisteshaltung, die sie dazu führt, aus Liebe zu Gott und im Dienste aller Menschen gut und wirksam zu arbeiten. Mit einem Wort, es geht darum, mit dem Christsein Ernst zu machen: mit allen in Aufgeschlossenheit zusammenzuleben, die legitime Freiheit aller zu achten und mit dafür zu sorgen, daß unsere Welt gerechter wird.

Jeder im Werk verdient sich seinen Lebensunterhalt und dient der Gesellschaft in dem Beruf, den er schon hatte, bevor er zum Opus Dei kam, und den er auch ausüben würde, wenn er nicht dem Opus Dei angehörte. So sind die einen Bergarbeiter, andere lehren in Schulen oder Universitäten, wieder andere sind Kaufleute oder Hausfrauen oder Sekretärinnen oder Bauern. Es gibt keine rechtschaffene menschliche Tätigkeit, die ein Mitglied des Opus Dei nicht ausüben könnte. Wer zum Beispiel vor seiner Zugehörigkeit zum Werk in einem Verlagshaus oder in einem Handelsgeschäft arbeitete, tut das hernach genauso. Und wenn jemand im Rahmen dieser seiner Arbeit oder weil er sich einer anderen zuwenden will, eine neue Stelle sucht oder etwa beschließt, mit Berufskollegen zusammen ein Unternehmen zu gründen, so ist das eine Angelegenheit, in der er selbst frei zu entscheiden hat; und für die Folgen seiner Entscheidung und die Ergebnisse seiner Arbeit hat er selbst einzustehen und sie persönlich zu verantworten.

Für die ganze Tätigkeit der Leiter des Opus Dei ist die sorgsame Achtung der beruflichen Freiheit der Mitglieder von derartig grundlegender Bedeutung, daß die Existenz des Werkes selbst davon abhängt; für alle ist es daher eine Selbstverständlichkeit, diesem lebenswichtigen Wesenszug unseres Geistes mit absoluter Treue zu entsprechen. Jeder kann beruflich überall dort arbeiten, wo er auch arbeiten würde, wenn er nicht vom Opus Dei wäre. Mit der beruflichen Arbeit eines einzelnen Mitgliedes haben weder das Opus Dei als solches noch die anderen Mitglieder etwas zu tun. Wozu die Mitglieder des Opus Dei sich verpflichten, wenn sie sich dem Werk anschließen, ist dies: keine Anstrengung zu scheuen, um in ihrer Arbeit und durch ihre Arbeit die christliche Vollkommenheit zu suchen und sich immer deutlicher bewußt zu werden, daß das Leben eines Christen Dienst an den Menschen sein muß.

Wie bereits gesagt, besteht die Hauptaufgabe des Werkes also darin, seinen Mitgliedern und allen Menschen, die es wünschen, christliche Bildung zu vermitteln. Außerdem entwickelt das Opus Dei einige korporative Tätigkeiten und Initiativen; durch sie will es beitragen zur Lösung der anstehenden gesellschaftlichen Probleme, für die der christliche Geist so reiche Möglichkeiten anbietet. Da das Opus Dei ausschließlich geistliche Ziele verfolgt, kann es sich bei diesen korporativen Initiativen nur um solche Tätigkeiten handeln, die eindeutig und unmittelbar einen christlichen Dienst, ein Apostolat darstellen. Absurd wäre die Vorstellung, das Opus Dei als solches könne sich etwa der Kohleförderung oder irgendeiner Art von Wirtschaftsunternehmen widmen. Alle seine korporativen Tätigkeiten haben einen unmittelbar apostolischen Inhalt: so zum Beispiel Fortbildungsschulen für Landarbeiter, ärztliche Hilfsstationen in unterentwickelten Gebieten oder in Entwicklungsländern, Bildungszentren zur sozialen Förderung der Frau. Es handelt sich also um Erziehungs- oder Wohlfahrtseinrichtungen, wie sie in der ganzen Welt von Vereinigungen der verschiedenen religiösen Bekenntnisse betrieben werden. Um solche Aufgaben zu verwirklichen, rechnen wir in erster Linie mit dem persönlichen Einsatz der Mitglieder, die sich gelegentlich diesen Initiativen hauptberuflich widmen. Eine erhebliche Bedeutung kommt aber auch der großzügigen Hilfe vieler anderer, sowohl Christen als auch Nichtchristen, zu. Die einen arbeiten aus religiösen Gründen mit, andere, die vielleicht das apostolische Ziel nicht teilen, sehen ein, daß diese Initiativen, die ohne Unterschied von Rasse, Religion oder Weltanschauung allen offenstehen, dem Wohl der Gesellschaft dienen und daher unterstützungs- und förderungswürdig sind2.

Berechtigt die Tatsache, daß es Mitglieder des Opus Dei in jedem gesellschaftlichen Milieu gibt und daß einige von ihnen in bedeutenden Unternehmen und einflußreichen Gruppen arbeiten oder sie leiten, zu der Annahme, das Opus Dei suche diese Tätigkeiten nach einem bestimmten politischen oder wirtschaftlichen Programm zu koordinieren?

Keinesfalls! Das Opus Dei engagiert sich nicht im geringsten in der Politik. Jedes Engagement für eine ideologische, kulturelle, wirtschaftliche oder politische Tendenz, Gruppierung oder Regierungsform ist ihm absolut fremd. Ich wiederhole: Seine Ziele sind ausschließlich geistlicher und apostolischer Natur. Von seinen Mitgliedern verlangt das Opus Dei nichts anderes, als daß sie sich als Christen verhalten und sich bemühen, ihr Leben nach dem Vorbild des Evangeliums auszurichten. In keiner Weise mischt sich das Opus Dei in die rein zeitlichen Belange ein.

Wenn jemand dies nicht versteht, dann vielleicht deshalb, weil er die persönliche Freiheit nicht begreift oder weil es ihm an Unterscheidungsvermögen fehlt, um die rein geistlichen Ziele, um deretwillen sich die Mitglieder des Opus Dei zusammenschließen, und das weite Feld menschlicher Betätigung - Wirtschaft, Politik, Kultur, Kunst, Philosophie usw. - auseinanderzuhalten. In diesen Bereichen genießen die Mitglieder des Opus Dei völlige Freiheit und arbeiten in eigener Verantwortung. Die Realität der individuellen Freiheit ist den Mitgliedern vom ersten Augenblick an, da sie zum Werk kommen, bekannt. Sollte einmal irgend jemand im Werk versuchen, auf andere Mitglieder Druck auszuüben, um ihnen seine eigene Meinung in politischen Fragen aufzudrängen oder sich ihrer um menschlicher Interessen willen zu bedienen, so würden sich die anderen dagegen auflehnen und ihn sofort ausschließen. Die Achtung vor der Freiheit der Mitglieder ist eine wesentliche Lebensbedingung des Opus Dei selbst. Ohne sie würde niemand zum Werk kommen. Mehr noch: Sollte es einmal - bisher ist es nie geschehen, es geschieht heute nicht, und mit der Hilfe Gottes wird es auch niemals geschehen -, sollte es also einmal zu einer Einmischung des Opus Dei in die Politik oder in irgendeinen anderen Bereich innerweltlicher Betätigung kommen, dann wäre ich selbst der erste Feind des Opus Dei.

Die Vereinigung betont die Freiheit der Mitglieder, ihre persönlichen Überzeugungen auszudrücken. Man könnte jedoch das Thema von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten: Inwieweit halten Sie das Opus Dei als Vereinigung für moralisch verpflichtet, öffentlich oder privat zu bestimmten weltlichen oder geistlichen Grundfragen Stellung zu nehmen? Gibt es Situationen, in welchen das Opus Dei seinen Einfluß und den Einfluß seiner Mitglieder einsetzen würde, um Prinzipien zu verteidigen, die es für unantastbar hält, wie zum Beispiel in jüngster Zeit die Unterstützung der Gesetzgebung über die Religionsfreiheit in Spanien?

Im Opus Dei wollen wir immer und in allem mit der Kirche Christi solidarisch sein: sentire cum Ecclesia. Wir haben keine andere Lehre als jene, die die Kirche alle Gläubigen lehrt. Das einzig Besondere, das wir besitzen, ist der dem Opus Dei eigene Geist, das heißt eine konkrete Art und Weise, das Evangelium zu leben, indem wir uns in der Welt heiligen und durch den Beruf apostolisch wirken.

Daraus folgt unmittelbar, daß alle Mitglieder des Opus Dei die gleiche Freiheit besitzen wie die übrigen Katholiken, um sich ihre persönlichen Meinungen zu bilden und dementsprechend zu handeln. Deshalb kann und darf das Opus Dei als Vereinigung keine eigene Meinung aussprechen, ja es kann sie nicht einmal haben. Wenn es sich um eine Frage handelt, zu der sich das Lehramt der Kirche klar ausgesprochen hat, dann wird sich jedes einzelne Mitglied des Werkes diese Lehre zu eigen machen. Geht es dagegen um Fragen, über die sich das Lehramt - der Papst und die Bischöfe - nicht geäußert haben, dann wird jedes Mitglied die Meinung vertreten, die es für richtig hält, und sich in seinem Handeln danach richten.

Mit anderen Worten: Das Prinzip, das die Haltung der Leiter des Opus Dei in diesem Punkt bestimmt, ist die Achtung vor der persönlichen Entscheidungsfreiheit in zeitlichen Belangen. Das hat nichts mit Profillosigkeit seitens der Leitung des Werkes zu tun; denn hier kommt es darauf an, daß jeder einzelne sich seiner eigenen Verantwortung stellt und sich aufgerufen weiß, diese Verantwortung nach seinem Gewissen auf sich zu nehmen und in Freiheit zu handeln. Aus diesem Grund ist es widersinnig, das Opus Dei ins Spiel zu bringen, wenn man von Parteien, Gruppierungen, politischen Strömungen oder überhaupt von rein menschlichen Aufgaben oder Unternehmen spricht. Mehr noch, es ist geradezu ungerecht und kommt der Verleumdung nahe, denn es könnte zu der falschen Annahme verleiten, daß die Mitglieder des Werkes irgendeine gemeinsame ideologische Position oder Denkweise hätten, oder ein gemeinsames zeitliches Interesse.

Natürlich sind die Mitglieder katholisch, und zwar Katholiken, die sich bemühen, ihren Glauben konsequent zu leben. Mit diesem Namen kann man sie insgesamt bezeichnen, wenn man will, aber ohne zu vergessen, daß katholisch sein nicht bedeutet, zu einer bestimmten Gruppierung zu gehören, nicht einmal im kulturelIen oder intellektuellen Bereich, und schon gar nicht im Bereich der Politik. Seit dem Anfang des Werkes, und nicht erst seit dem Konzil, haben wir uns bemüht, einen offenen katholischen Geist zu leben: die legitime Freiheit der Gewissen zu verteidigen, allen Menschen, ob katholisch oder nicht, in brüderlicher Liebe zu begegnen und mit allen zusammenzuarbeiten bei der Lösung der vielen Fragen, die die Welt bewegen.

Nehmen wir ein Beispiel. Angesichts des Rassenproblems in den Vereinigten Staaten wird jeder Angehörige des Opus Dei ausgehen von den klaren Aussagen der christlichen Lehre über die Gleichheit aller Menschen und die Ungerechtigkeit jeder Diskriminierung. Ebenso wird er die konkreten Anweisungen der amerikanischen Bischöfe zu diesem Thema aufmerksam verfolgen und beachten. Demnach wird er die legitimen Rechte aller Bürger verteidigen und sich allen ungerechten Situationen oder Vorhaben nach Kräften widersetzen. Außerdem wird er sich stets darüber im klaren sein, daß es für einen Christen nicht genügt, die Rechte der anderen Menschen zu achten, daß er vielmehr in allen Menschen Brüder sehen muß, denen wir aufrichtige Liebe und selbstlosen Dienst schulden. Bei der Ausbildung, die das Opus Dei seinen Mitgliedern gibt, wird man in den Vereinigten Staaten mit besonderem Nachdruck auf diese Grundsätze der christlichen Lehre eingehen, vielleicht mehr als in einem anderen Land, wo sich diese konkrete Frage nicht oder nicht so dringlich stellt. Jedoch wird das Opus Dei niemals eine praktische Lösung für das Problem vorschreiben, ja nicht einmal nahelegen. Die Entscheidung, diesen oder jenen Gesetzentwurf zu unterstützen, sich einer bestimmten Vereinigung anzuschließen oder nicht, an einer bestimmten Kundgebung teilzunehmen oder auch nicht, diese Entscheidungen hat der einzelne selbst zu fällen. Und in der Tat sieht man ja auch überall, wie die Mitglieder nicht gruppenweise, sondern in einem selbstverständlichen Pluralismus handeln.

Gerade diese für uns so lebenswichtige Achtung vor der persönlichen Freiheit erklärt die Tatsache, daß so viele spanische Mitglieder des Opus Dei den Gesetzentwurf über die Religionsfreiheit in ihrem Land, so wie er vor kurzem vorgelegt wurde, befürworten. Selbstverständlich handelt es sich dabei um eine persönliche Stellungnahme, wie auch diejenigen ebenso persönlich Stellung nehmen, die den Gesetzentwurf kritisieren. Aber alle haben aus dem Geist des Opus Dei gelernt, die Freiheit zu lieben und die Menschen aller Bekenntnisse zu verstehen. Das Opus Dei ist die erste katholische Vereinigung, die mit Zustimmung des Heiligen Stuhls seit 1950 auch Nichtkatholiken und Nichtchristen als Mitarbeiter aufnimmt, ohne Unterschiede zu machen; denn unsere Liebe gilt allen.

Es wird Ihnen zweifellos bekannt sein, daß das Opus Dei in manchen Bereichen der öffentlichen Meinung umstritten ist. Darf ich Sie um Ihre Meinung zu diesem Sachverhalt bitten und besonders fragen, was Sie gegenüber Vorwürfen wie dem der "Geheimnistuerei" und des "Verschwörertums", die oft gegen das Opus Dei erhoben werden, sagen?

Alles, was nach Eigenlob klingen könnte, stört mich zutiefst. Aber da Sie dieses Thema nun einmal angesprochen haben, muß ich doch feststellen, daß meines Erachtens das Opus Dei eine der katholischen Organisationen ist, die in der ganzen Welt auf die meisten Freunde zählen können. Millionen von Menschen, darunter auch viele Nichtkatholiken und Nichtchristen, schätzen es und helfen ihm.

Zum anderen ist das Opus Dei eine Organisation geistlicher und apostolischer Ausrichtung. Läßt man diese fundamentale Tatsache außer acht oder weigert man sich, an die Aufrichtigkeit der Mitglieder des Opus Dei, die dies immer wieder betonen, zu glauben, dann ist es unmöglich, ihr Handeln zu verstehen. Und dieses Unvermögen führt dann zu den unwahrscheinlichsten Erklärungsversuchen und zur Erfindung von "Geheimnissen", die niemals existiert haben.

Sie erwähnen den Vorwurf der Geheimnistuerei. Er ist schon alt, und ich könnte Ihnen Schritt für Schritt den historischen Ursprung dieser üblen Nachrede darlegen. Eine mächtige Organisation, die ich lieber nicht nennen möchte - wir lieben sie und haben sie immer geliebt -, gab sich viele Jahre lang der Verfälschung von Tatsachen hin, die sie nicht kannte. Man versteifte sich darauf, uns als Ordensleute zu betrachten, und fragte sich: Warum denken sie nicht alle gleich? Wieso tragen sie kein Habit und kein Abzeichen? Und daraus zogen sie den unsinnigen Schluß, wir seien eine Geheimgesellschaft.

Das ist heute vorbei, und jeder halbwegs Unterrichtete weiß, daß es bei uns keine Geheimnisse gibt, daß wir kein Abzeichen tragen, weil wir keine Ordensleute, sondern gewöhnliche Christen sind, daß wir nicht die gleiche Meinung und den gleichen Standpunkt haben, weil wir in allen zeitlichen Belangen und in allen nicht vom kirchlichen Lehramt entschiedenen theologischen Fragen den größtmöglichen Pluralismus bejahen. Eine bessere Kenntnis der Realitäten und die Überwindung mancher unbegründeter Eifersüchteleien haben schließlich dieses Kapitel trauriger Verleumdung abgeschlossen.

Trotzdem darf man sich nicht wundern, wenn von Zeit zu Zeit jemand die alten Mythen wieder aufleben läßt. Da wir uns bemühen, für Gott zu arbeiten, und daher die persönliche Freiheit aller Menschen verteidigen, werden wir die sektiererischen Gegner dieser Freiheit immer gegen uns haben, aus welchem Lager sie auch stammen mögen. Und besonders aggressiv werden diejenigen sein, die entweder gegen die Religion voreingenommen und ihr feindselig gesinnt sind, oder - noch schlimmer - die von einem fanatischen religiösen Denken beherrscht sind.

Erfreulicherweise weigert sich jedoch die Mehrzahl der Presseorgane, bloß alte und falsche Dinge zu wiederholen. Man sieht ein, daß Unvoreingenommenheit nicht bedeutet, einen "mittleren Weg" zwischen Wirklichkeit und Verleumdung zu finden, sondern sich zu bemühen, die objektive Wahrheit wiederzugeben. Auch die Wahrheit kann Nachricht sein, scheint mir, besonders wenn es sich darum handelt, über die Arbeit so vieler Menschen zu berichten, die sich als Mitglieder oder Mitarbeiter des Opus Dei bemühen, trotz ihrer persönlichen Schwächen - ich habe sie, und es wundert mich nicht, sie auch bei den anderen zu finden - allen Menschen zu dienen. Es ist immer interessant, falsche Mythen abzubauen, und ich halte es für eine ernste Pflicht des Journalisten, sich gründlich zu informieren und auf dem laufenden zu bleiben, auch wenn er dann manchmal frühere Urteile revidieren muß. Ist es denn wirklich so schwer zuzugeben, daß etwas gut, klar und lauter ist, ohne alte, absurde und verbrauchte Entstellungen beizumischen?

Dabei ist es so einfach, sich über das Opus Dei zu informieren. In allen Ländern arbeitet es in aller Öffentlichkeit, mit juristischer Anerkennung der staatlichen und kirchlichen Behörden. Die Namen seiner Leiter und seiner apostolischen Werke sind allgemein bekannt. Wer immer über unser Werk Auskunft erhalten möchte, kann sie sich ohne Schwierigkeiten verschaffen; er braucht sich bloß mit den Leitern in Verbindung zu setzen oder sich an eines unserer korporativen Werke zu wenden. Sie selbst sind ja Zeuge, daß die Leiter des Opus Dei oder die Mitglieder, an die die Journalisten sich wenden, diesen ihre Aufgabe so leicht wie möglich zu machen pflegen, indem sie ihre Fragen beantworten oder ausreichende Dokumentationen zur Verfügung stellen.

Weder ich noch sonst jemand im Opus Dei kann erwarten, daß jedermann uns versteht oder unser geistliches Ideal teilt. Ich liebe die Freiheit und bin sehr dafür, daß jeder seinen eigenen Weg geht. Aber andererseits ist es auch selbstverständlich, daß wir auf unserem Grundrecht bestehen, respektiert zu werden.

Hat die Tatsache, daß verschiedene Mitglieder des Werkes im öffentlichen Leben des Landes mitwirken, das Opus Dei in Spanien nicht in gewissem Maße politisiert? Werden nicht auf diese Weise das Werk und die Kirche selbst kompromittiert?

Das ist weder in Spanien noch sonstwo der Fall. Ich wiederhole, daß jedes Mitglied des Opus Dei seine Tätigkeit in voller Freiheit und in persönlicher Verantwortung ausübt. Keiner von ihnen kompromittiert die Kirche oder das Werk; denn keiner stützt sich bei seiner eigenen Arbeit auf die Kirche oder auf das Werk. Menschen, die über Apostolat und geistliches Leben in militärischen Kategorien denken, werden leicht dazu neigen, in der freien und persönlichen Arbeit der Christen eine kollektive Handlungsweise zu sehen. Lassen Sie mich aber noch einmal sagen, was ich seit 1928 ständig wiederholt habe: Die Verschiedenheit der Meinungen und des Verhaltens im weltlichen Bereich und auch auf jenen Gebieten der Theologie, die der freien Diskussion überlassen sind, stellt für das Werk kein Problem dar. Diese Verschiedenheit unter den Mitgliedern des Werkes gibt es nun einmal, und es wird sie immer geben. Denn sie ist ein Zeichen des guten Geistes, der vernünftigen Gesinnung und des Respekts vor der berechtigten Meinung eines jeden.

Inwieweit kann man von einer wirtschaftlichen oder politischen Ausrichtung des Opus Dei in Spanien sprechen? Und könnten Sie diese, falls es sie gibt, näher bestimmen?

Das Opus Dei hat keinerlei wirtschaftliche oder politische Ausrichtung, weder in Spanien noch anderswo. Im Geiste Christi verteidigen seine Mitglieder allerdings stets die persönliche Freiheit und die Rechte aller Menschen: auf Leben und Arbeit, auf Fürsorge bei Krankheit und im Alter, auf die Gründung einer Familie, auf Kinder und auf eine ihren Fähigkeiten und Anlagen entsprechende Erziehung, und schließlich das Recht darauf, als Mensch und Staatsbürger ernstgenommen zu werden. Aber das Werk weist sie in keine bestimmte Richtung, weder im wirtschaftlichen noch im politischen, noch im kulturellen Bereich. jedes Mitglied besitzt volle Freiheit, in diesen Fragen nach eigenem Ermessen zu entscheiden und zu handeln. In allen zeitlichen Belangen sind die Mitglieder des Werkes vollkommen frei. Im Opus Dei gibt es Platz für Menschen aller politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Auffassungen, die ein christliches Gewissen vertreten kann.

Ich spreche niemals über Politik. Meine Aufgabe als Priester ist ausschließlich geistlicher Art. Im übrigen bestünde für die Mitglieder des Opus Dei, auch wenn ich einmal eine Meinung zu einem rein zeitlichen Problem äußern sollte, keinerlei Verpflichtung, sich ihr anzuschließen.

Die Leiter des Werkes dürfen niemals den anderen Mitgliedern politische oder berufliche Richtlinien geben. Sollte dennoch einmal ein Mitglied des Werkes so etwas versuchen oder sich anderer Mitglieder für rein menschliche Ziele bedienen wollen, so würde dieses Mitglied sofort ausgeschlossen, weil sich die anderen mit Recht dagegen wehren würden.

Ich habe nie einen Angehörigen des Opus Dei gefragt, für welche Partei oder für welche politische Überzeugung er eintritt, und werde auch nie danach fragen, denn das schiene mir wie ein Anschlag auf seine legitime persönliche Freiheit. Und diese Haltung wird von allen, die im Opus Dei Leitungsaufgaben haben, geteilt. Ich weiß, daß es unter den Mitgliedern des Opus Dei, sowohl in Spanien wie in jedem anderen Land, tatsächlich eine bunte Vielfalt von Meinungen gibt. Ich habe nichts dagegen. Ich respektiere sie alle und ich werde immer die Überzeugung eines jeden achten, der bestrebt ist, nach seinem Gewissen zu handeln. Dieser Pluralismus ist für das Werk kein Problem. Er ist vielmehr ein Zeichen des guten Geistes und stellt die legitime Freiheit jedes einzelnen unter Beweis.

Wenn die Behauptung der Mitglieder stimmt, daß das Opus Dei eine ausschließlich religiöse Vereinigung ist und daher jedes Mitglied seine persönlichen Überzeugungen frei vertreten kann, wie erklären Sie dann die weitverbreitete Meinung, das Opus Dei sei eine monolithische Organisation mit sehr präzisen Vorstellungen in zeitlichen Belangen?

Mir scheint, so weit verbreitet ist diese Meinung gar nicht. Zahlreiche angesehene Blätter der Weltpresse haben den Pluralismus der Mitglieder des Werkes anerkannt. Es stimmt freilich, daß manche Leute die irrtümliche Meinung, die Sie erwähnen, verbreitet haben. Möglicherweise haben dabei einige von ihnen, aus verschiedenen Gründen, wider ihr besseres Wissen gehandelt. In vielen anderen Fällen mag die Unkenntnis, die vielleicht aus mangelhafter Information herrührt, daran schuld sein. Wenn umfassende Information fehlt, ist es nicht verwunderlich, daß manch einer, dessen Interesse nicht so weit reicht, sich durch persönlichen Kontakt mit dem Opus Dei besser zu informieren, dem Werk als Ganzem die privaten Ansichten einzelner Mitglieder zuschreibt. In der Tat wird niemand, der über die spanischen Verhältnisse halbwegs unterrichtet ist, das Vorhandensein eines echten Pluralismus unter den Mitgliedern des Werkes übersehen können. Wahrscheinlich könnten Sie selbst viele Beispiele anführen.

Ein weiterer Grund dürfte in dem unterschwelligen Vorurteil derer zu suchen sein, die im Politischen wie im Religiösen das Monopol einer Einheitspartei verfechten. Wer einer solchen Denkweise verhaftet ist und seine Meinung allen aufzwingen möchte, dem will es schwer in den Kopf, daß andere die Freiheit ihres Gegenübers zu achten wissen. Und so dichten sie dem Werk die monolithische Parteidisziplin ihrer eigenen Gruppen an.

Nehmen wir den konkreten Fall Spaniens. Die wenigen Mitglieder des Opus Dei, die in diesem Land einflußreiche Stellungen innehaben oder überhaupt öffentliche Aufgaben erfüllen, tun es wie die übrigen Mitglieder in anderen Ländern auch, in Freiheit und persönlicher Verantwortung; jeder folgt seinem Gewissen. So erklärt sich, daß sie in ihrer Handlungsweise verschiedene und oft entgegengesetzte Haltungen eingenommen haben.

Außerdem möchte ich anmerken, daß diejenigen, die die Präsenz einiger Mitglieder des Opus Dei in der spanischen Politik als etwas Besonderes herausstellen, die Wirklichkeit bis an die Grenze der Verleumdung entstellen; denn jene Mitglieder des Opus Dei, die im öffentlichen Leben Spaniens wirken, sind auf diesem Gebiet eine Minderheit im Vergleich zur Gesamtheit der dort öffentlich tätigen Katholiken. Fast die gesamte Bevölkerung Spaniens ist katholisch. Daher ist es schon aus statistischer Sicht logisch, daß es Katholiken sind, die am politischen Leben teilnehmen. Darüber hinaus gibt es auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung Spaniens, vom Minister bis zum Bürgermeister, überaus viele Katholiken, die aus den verschiedensten Gläubigenvereinigungen hervorgehen; aus Zweigen der katholischen Aktion, aus der nationalen katholischen Vereinigung der "Propagandistas", deren erster Präsident Kardinal Herrera Oria war, aus den marianischen Kongregationen usw.

Ich möchte mich nicht weiter darüber verbreiten, wohl aber die Gelegenheit benutzen, um noch einmal zu erklären, daß das Opus Dei mit keinem Land, mit keiner Regierung, mit keiner politischen Richtung, mit keiner Ideologie verbunden ist. Seine Mitglieder handeln in weltlichen Angelegenheiten immer mit voller Freiheit und wissen ihre eigene Verantwortung auf sich zu nehmen. Sie lehnen entschieden jeden Versuch ab, sich der Religion zugunsten politischer Zwecke und Parteiinteressen zu bedienen.

Einfache Dinge sind manchmal schwer zu erklären. Darum habe ich mich bei dieser Frage länger aufgehalten. Jedenfalls gehört das erwähnte Gerede der Vergangenheit an. Die Verleumdungen sind seit längerer Zeit völlig entkräftet, niemand glaubt mehr daran. Wir haben vom ersten Augenblick an in aller Offenheit gehandelt, denn es gab wirklich keinen Grund, uns anders zu verhalten. Wir haben mit aller Klarheit das Wesen und die Ziele unseres Apostolates dargelegt, und alle, die es wünschten, konnten die Wirklichkeit kennenlernen. Tatsächlich schätzen viele Menschen - Katholiken und Nichtkatholiken, Christen und Nichtchristen - unsere Arbeit und beteiligen sich an ihr.

Überdies hat die Entwicklung in der Geschichte der Kirche zur Überwindung einer gewissen Art von Klerikalismus geführt, der zur Verzerrung all dessen neigt, was sich auf die Laien bezieht, und sofort Hintergedanken unterstellt. Heute ist es leichter zu verstehen, daß das Opus Dei nichts anderes lebt und lehrt als die göttliche Berufung des gewöhnlichen Christen in einem klarumgrenzten Engagement aus dem Glauben.

Wenn ich einen Satz höre wie: Die Katholiken dringen in alle Gesellschaftsschichten ein, so sehne ich den Augenblick herbei, in dem jeder begreift, daß es sich da um eine klerikale Redewendung handelt. Jedenfalls gilt ein solcher Satz in keiner Weise für das Apostolat des Opus Dei. Die Mitglieder des Werkes haben es nicht nötig, in die weltlichen Gegebenheiten einzudringen, denn als gewöhnliche Bürger waren sie wie alle anderen schon immer darin.

Wenn Gott einen Menschen, der in einer Fabrik oder in einem Krankenhaus oder im Parlament arbeitet, zum Opus Dei ruft, dann bedeutet das, daß dieser Mensch von nun an entschlossen sein wird, die Mittel anzuwenden, um diesen Beruf mit der Gnade Gottes zu heiligen. Es ist nichts anderes als ein Bewußtwerden der Grundforderungen, welche die Botschaft des Evangeliums enthält, im Einklang mit der spezifischen Berufung eines jeden.

Der Gedanke, daß dieses Bewußtwerden ein Verlassen des gewöhnlichen Lebens bedeute, gilt nur für jene, die von Gott zum Ordensleben berufen werden, zum contemptus mundi, zur Verachtung oder Geringschätzung der weltlichen Dinge. Aus diesem Verlassen der Welt aber das Wesen oder die Vollendung des Christentums machen zu wollen ist einfach eine Ungeheuerlichkeit.

Das Opus Dei schleust also seine Mitglieder nicht in dieses oder jenes Milieu ein, denn die Mitglieder - ich wiederhole es - waren schon immer dort; und es ist nicht einzusehen, weshalb sie es verlassen sollten. Außerdem kommen aus allen Gesellschaftsschichten Berufungen zum Opus Dei, die durch die Gnade Gottes und durch das vorher erwähnte Apostolat der Freundschaft und des Vertrauens geweckt werden.

Vielleicht stellt gerade eine solche Einfachheit im Wesen und Handeln des Opus Dei eine Schwierigkeit für jene verschrobenen Leute dar, die offenbar unfähig sind, etwas Geradliniges und Ursprüngliches zu begreifen.

Natürlich wird es immer Leute geben, die das Wesen des Opus Dei nicht verstehen. Das wundert uns nicht. Schon der Herr warnte seine Jünger vor diesen Schwierigkeiten, als er ihnen sagte: non est discipulus super magistrum (Mt 10,24), der Jünger steht nicht über dem Meister. Niemand kann verlangen, daß er von allen Menschen geschätzt wird, aber jeder hat das Recht, als Mensch und als Kind Gottes geachtet zu werden. Leider gibt es Fanatiker, die ihre Ideen den anderen diktatorisch aufzuzwingen suchen. Diese werden nie die Liebe verstehen, die die Mitglieder des Opus Dei für die persönliche Freiheit aller anderen empfinden und natürlich auch für die eigene persönliche Freiheit, die immer mit persönlicher Verantwortung verbunden ist.

Ich erinnere mich an eine dafür bezeichnende Begebenheit. In einer Stadt, deren Namen ich aus Gründen des Taktes nicht nennen möchte, berieten die Stadtväter über die finanzielle Unterstützung einer Bildungsstätte, die von Mitgliedern des Opus Dei geleitet wird. Sie ist, wie alle körperschaftlichen Einrichtungen des Werkes, von offensichtlichem gesellschaftlichem Nutzen. Die Mehrzahl der Ratsmitglieder war für die Unterstützung. Einer von ihnen, ein Sozialist, erwähnte bei der Begründung des Antrages, daß er die Arbeit dieser Einrichtungen aus eigener Anschauung kenne. Er fuhr wörtlich fort: "Die Arbeit dieses Studentenheimes zeichnet sich deshalb besonders aus, weil seine Leiter die persönliche Freiheit des einzelnen hoch schätzen. Es leben dort Studenten aller Religionen und Weltanschauungen zusammen." Die kommunistischen Ratsmitglieder stimmten gegen den Antrag. Einer von ihnen erklärte dem sozialistischen Kollegen seine Entscheidung: "Ich habe dagegen gestimmt, denn wenn Sie recht haben, dann ist dieses Haus eine wirksame Reklame für den Katholizismus."

Wer die Freiheit der anderen nicht achtet oder der Kirche entgegensteht, kann apostolische Arbeit nicht schätzen. Aber selbst in solchen Fällen bin ich als Mensch verpflichtet, jenen anderen zu achten und zu versuchen, ihn zur Wahrheit zu führen; und als Christ bin ich verpflichtet, ihn zu lieben und für ihn zu beten.

Nach der Klärung dieser Frage würde mich jetzt folgendes interessieren: Welche Besonderheiten in der geistlichen Ausbildung der Mitglieder des Werkes bewirken, daß niemand aus materiellen Gründen dem Opus Dei angehört?

Jeder Beweggrund, der nicht rein geistlichen Charakter hat, bleibt deshalb absolut ausgeschlossen, weil das Werk viel verlangt - Loslösung, Opfer, Selbstverleugnung, ununterbrochene Arbeit für die Menschen - und nichts gibt. Ich will damit sagen, das Werk bietet nichts an weltlichen Vorteilen. Dafür vermittelt es um so mehr auf der Ebene des geistlichen Lebens. Es gibt Mittel an die Hand, um im asketischen Kampf zu siegen, es führt die Menschen auf die Wege des Gebetes, es lehrt, sich Christus als Bruder zuzuwenden, Gott in allen Wechselfällen des Lebens zu sehen, sich als Sohn Gottes und daher zur Verbreitung seiner Lehre verpflichtet zu wissen.

Wer nicht auf dem Weg des inneren Lebens vorangeht und nicht versteht, daß es die Mühe lohnt, sich ganz zu verschenken, das eigene Leben im Dienst am Herrn ganz hinzugeben, der kann im Opus Dei nicht beharren. Denn die Heiligkeit ist kein Aushängeschild, sondern eine tiefgreifende Forderung.

Außerdem verfolgt das Opus Dei keine politischen, wirtschaftlichen oder ideologischen Interessen, es entwickelt keine zeitlichen Tätigkeiten. Sein Wirken ist ausschließlich auf die geistliche Ausbildung seiner Mitglieder und auf die apostolischen Werke ausgerichtet, das heißt auf die ständige geistliche Betreuung aller Mitglieder und auf die korporativen apostolischen Werke der Sozialhilfe, der Wohltätigkeit, der Erziehung usw.

Die Mitglieder des Opus Dei tun sich einzig und allein zusammen, um einem klar umrissenen Weg der Heiligkeit zu folgen und um an bestimmten apostolischen Werken mitzuarbeiten. Ihre gegenseitigen Verpflichtungen schließen jede Art zeitlichen Interesses aus, und zwar einfach deshalb, weil auf diesem Gebiete alle Mitglieder des Opus Dei frei sind, so daß jeder seinen eigenen Weg geht mit verschiedenen und manchmal entgegengesetzten Zielen und Interessen.

Als Folge der ausschließlich auf das Übernatürliche gerichteten Ziele ist der Geist des Werkes ein Geist der Freiheit und der Liebe zur persönlichen Freiheit aller. Weil diese Liebe zur Freiheit aufrichtig ist und nicht nur Theorie, lieben wir auch die notwendige Folge der Freiheit, den Pluralismus. Im Opus Dei wird der Pluralismus gewollt und geliebt, nicht bloß toleriert und auf keinen Fall behindert. Wenn ich mir so ansehe, wie verschieden die Einstellungen und Ansichten der Mitglieder des Werkes in politischen, wirtschaftlichen, sozialen, künstlerischen und anderen Fragen sind, dann ist dieses Panorama für mich eine wahre Freude, weil sich darin zeigt, daß vor Gott alles seinen richtigen Weg nimmt. Einheit im Religiösen und Vielfalt im Weltlichen sind dann vereinbar, wenn weder Fanatismus noch Intoleranz herrschen, und vor allem, wenn man aus dem Glauben lebt und wenn man weiß, daß uns Menschen nicht allein gegenseitige Zuneigung oder gemeinsame Vorteile verbinden, sondern auch das Wirken des einen Geistes, der uns zu Brüdern Christi macht und uns so zu Gott, unserem Vater, führt.

Ein echter Christ kommt nie auf den Gedanken, daß die Einheit im Glauben, die Treue zum Lehramt und zur Überlieferung der Kirche und das Bestreben, allen Menschen die Heilsbotschaft Christi zu bringen, im Widerspruch zu den vielen unterschiedlichen Haltungen in den Dingen stehen könnten, die Gott, wie man so sagt, der freien Diskussion der Menschen überlassen hat. Mehr noch, ein wahrer Christ ist sich vollkommen darüber im klaren, daß diese Vielfalt Teil des göttlichen Planes, daß sie von Gott gewollt ist, der seine Gaben und sein Licht austeilt, wie er will. Der Christ soll die anderen Menschen lieben und deshalb seinen Auffassungen entgegengesetzte Ansichten achten und brüderlich mit jenen Menschen zusammenleben, die anders denken als er.

Gerade weil die Mitglieder des Werkes sich diesen Geist zueigen gemacht haben, ist es unvorstellbar, daß jemand daran denken könnte, seine Zugehörigkeit zum Werk für irgendwelche persönlichen Vorteile auszunutzen oder anderen seine politischen oder kulturellen Auffassungen aufzudrängen; die anderen Mitglieder würden dies gar nicht erst dulden. Entweder würde der Betreffende seine Haltung ändern oder aber er müßte das Werk verlassen. In diesem Punkt darf niemand im Werk je die geringste Abweichung zulassen, denn hier geht es um die Verteidigung nicht nur der eigenen Freiheit, sondern auch des übernatürlichen Charakters einer Aufgabe, der man in Hingabe dient. Deshalb halte ich dafür, daß persönliche Freiheit und persönliche Verantwortung die beste Garantie für die übernatürliche Ausrichtung des Werkes Gottes sind.

Einem Christen wird es jedoch niemals einfallen zu glauben oder gar zu sagen, daß er sich vom Gotteshaus zur Welt herabläßt, um dort die Kirche zu repräsentieren, oder daß seine Ansichten die einzig katholischen Lösungen für die entsprechenden Probleme darstellen. So etwas darf nicht sein! Das wäre Klerikalismus, offizieller Katholizismus, oder wie ihr es sonst nennen wollt. In jedem Fall würde so der wahren Natur der Dinge Gewalt angetan. Eure Aufgabe ist es, überall eine echte Laienmentalität zu verbreiten, aus der sich drei Schlußfolgerungen ergeben:

* man muß anständig genug sein, um die eigene Verantwortung auf sich zu nehmen;

* man muß christlich genug sein, um auch jene Brüder im Glauben zu respektieren, die in Fragen, die der freien Meinung überlassen sind, andere Ansichten vertreten als man selbst;

* und man muß katholisch genug sein, um sich der Kirche nicht für eigene Zwecke zu bedienen und sie nicht in rein menschliche Gruppeninteressen hineinzuziehen.

Es versteht sich von selbst, daß sich diese Vorstellungen von einem heiligmäßig gelebten Alltag kaum verwirklichen lassen, wenn man nicht im Besitz jener vollen Freiheit ist, die dem Menschen - auch nach der Lehre der Kirche - aufgrund seiner Würde als Ebenbild Gottes zusteht. Die persönliche Freiheit - wenn ich von Freiheit spreche, meine ich natürlich immer eine verantwortungsbewußte Freiheit - besitzt eine wesenhafte Bedeutung für das christliche Leben.

Versteht also meine Worte als das, was sie sind: als Aufforderung, tagtäglich und nicht nur in besonderen Notsituationen eure Rechte auszuüben, ehrlich eure staatsbürgerlichen Pflichten in Politik, Wirtschaft, Universität und Beruf zu erfüllen und mutig die Folgen eurer persönlichen Entscheidungen sowie die Bürde der euch zustehenden Autonomie auf euch zu nehmen. Diese christliche Laienmentalität wird euch dazu befähigen, jede Form von Intoleranz und Fanatismus zu meiden; oder positiv ausgedrückt: sie wird euch helfen, in Frieden mit all euren Mitbürgern zusammenzuleben und das friedliche Zusammenleben in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zu fördern.

Anmerkungen
2

Es sei an die Einleitung zu diesem Buch erinnert: Einige Antworten, die sich auf juristische und organisatorische Aspekte beziehen, konnten noch nicht die Begrifflichkeit benutzen, die die Errichtung als Personalprälatur im Jahre 1982 mit sich brachte.

Anmerkungen
2

Wie Msgr. Escrivá aufzeigt, entwickeln die Mitglieder des Opus Dei diese körperschaftlichen Tätigkeiten und Initiativen rein apostolischen Charakters zusammen mit anderen Personen. Die Prälatur Opus Dei ist ausschließlich für die religiöse und geistliche Betreuung verantwortlich; sie hat weder Eigentumsrechte an diesen Initiativen noch an den entsprechenden Vermögenswerten. Die Mitglieder des Opus Dei, die in diesen Einrichtungen arbeiten, tun dies in persönlicher Freiheit und Verantwortung und in Übereinstimmung mit den Gesetzen des jeweiligen Landes; sie erwerben dieselbe staatliche Anerkennung wie ähnliche Aktivitäten anderer Bürger.

Verzeichnis der Schriftstellen