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Es gibt 4 Nummer in «Christus begegnen » deren Stichwort lautet Achtung der Person.

Recht auf Privatleben

Wenden wir uns wieder der Heilung des Blindgeborenen zu. Christus hat den Jüngern geantwortet, daß jenes Unglück nicht die Folge der Sünde ist, sondern der Anlaß, daß sich die Macht Gottes erweise. Und mit verblüffender Einfachheit beschließt Er, daß der Blinde sehe.

Für diesen Menschen beginnt nun aber mit seinem Glück auch seine Qual. Sie werden ihn nicht in Ruhe lassen. Da sind zunächst die Nachbarn und die ihn vordem als Bettler gesehen hatten (Joh 9,8). Das Evangelium berichtet nichts darüber, daß sie sich gefreut hätten, sondern nur, daß sie es nicht zu glauben vermochten, obwohl der Geheilte immer wieder bekräftigte, der Blinde von früher und der Sehende von jetzt seien ein und dieselbe Person, er selbst. Sie lassen ihm keine Zeit, sich über sein Glück zu freuen, sondern führen ihn zu den Pharisäern, die ihn wiederum fragen, wie er sehend geworden sei. Er muß es erneut erzählen: Er strich mir einen Teig auf die Augen, ich wusch mich und kann nun sehen (Joh 9,15).

Aber die Pharisäer wollen beweisen, daß das Geschehene - eine Wohltat und ein großes Wunder - gar nicht geschehen ist. Einige verstecken ihre Voreingenommenheit hinter kleinlichen, heuchlerischen Argumenten: Er habe ja an einem Sabbat geheilt, und da man am Sabbat nicht arbeiten darf, bestreiten sie das Wunder. Andere beginnen mit dem, was man heute eine Umfrage nennen würde, sie gehen zu den Eltern des Blindgeborenen: Ist das euer Sohn, der blind geboren wurde, wie er sagt? Wie kommt es, daß er nun sieht? (Joh 9,19) Die Angst vor den Mächtigen läßt die Eltern eine Antwort geben, die allen Erfordernissen einer wissenschaftlichen Methodik genügt: Wir wissen, das ist unser Sohn, der blind geboren wurde. Wie er aber sehend geworden ist, wissen wir nicht und ebensowenig wissen wir, wer ihm die Augen geöffnet hat. Fragt ihn selbst. Er ist alt genug und kann selbst Auskunft über sich geben (Joh 9,20-21).

Die Veranstalter dieser Umfrage können nicht glauben, weil sie nicht glauben wollen: Nun ließen sie den Mann, der blind gewesen war, nochmals rufen und sagten zu ihm: Wir wissen, daß dieser Mensch - Jesus Christus - ein Sünder ist (Joh 9,24).

Mit wenigen Worten zeichnet der Bericht beim heiligen Johannes den Modellfall eines ungeheueren Attentats auf ein Grundrecht, das jedem Menschen von Natur aus zusteht: das Recht, geachtet zu werden.

Das Thema ist nach wie vor aktuell. Es wäre nicht schwer, in der heutigen Zeit auf Fälle solcher aggressiven Neugierde zu verweisen, die zu einem krankhaften Herumschnüffeln im Privatleben anderer Menschen führt. Ein Mindestmaß an Gerechtigkeitssinn verlangt selbst beim Erforschen eines mutmaßlichen Vergehens Bedachtsamkeit und Zurückhaltung, damit eine bloße Möglichkeit nicht gleich als Tatsache hingestellt wird. Und wenn etwas nicht nur kein Vergehen, sondern womöglich sogar etwas Gutes ist, dann wird man nicht umhin können, die krankhafte Sucht, es zu verbreiten, als pervers zu bezeichnen.

Gegenüber den Geschäftemachern mit der Verdächtigung, die einen regelrechten Handel mit der Intimsphäre zu treiben scheinen, tut es not, die Würde des einzelnen, sein Recht auf Privatleben zu verteidigen. Diese Verteidigung ist Sache aller rechtschaffenen Menschen, seien sie nun Christen oder nicht, denn es steht ein gemeinsamer Wert auf dem Spiel: der legitime Wille, der zu sein, der man ist; sich nicht der Schaustellung auszuliefern, sondern die Freuden, Sorgen und Schmerzen nicht über den Kreis der Familie hinausdringen zu lassen; vor allem aber ohne Spektakel Gutes zu tun und aus reiner Liebe dem Bedürftigen zu helfen, ohne die Verpflichtung, den Dienst am Nächsten an die große Glocke zu hängen oder gar das Intimste der eigenen Seele dem argwöhnischen und scheelen Blick von Leuten auszusetzen, denen das innere Leben eines Menschen nicht mehr bedeutet als Anlaß zu Frevel und Spott.

Doch wie schwer ist es, diesem aggressiven Herumschnüffeln zu entkommen. Die Methoden, jemanden nicht in Ruhe zu lassen, sind zahlreicher geworden; man denke nur an die Möglichkeiten der Technik, aber auch an bestimmte, gängige Argumentationsweisen, gegen die man sich nur schwer wehren kann, will man den guten Ruf nicht verlieren. So setzt man mitunter einfach voraus, daß alle Menschen schlecht handeln, und in einem solchen Denkschema erscheint natürlich die Selbstkritik, der Meaculpismus unvermeidlich. Bewirft sich nun jemand nicht mit einer Fuhre Schlamm, so folgert man daraus, daß er nicht nur ein Übeltäter, sondern auch noch ein arroganter Heuchler ist.

Zuweilen geht man anders vor: Jemand schreibt Verleumdungen und läßt dann verlauten er selbst sei ja bereit, deine Ehrenhaftigkeit anzunehmen, aber andere Menschen vielleicht nicht; sie könnten verbreiten, du seiest ein Gauner: Wollen Sie also bitte beweisen, daß Sie kein Gauner sind? Oder aber sie sagen: Sie haben immer wieder behauptet, Ihr Verhalten sei untadelig, lauter, redlich; würden Sie bitte von neuem prüfen, ob es nicht doch schmutzig, unehrlich und verlogen ist?

Achtung und Liebe

Am Anfang wunderte uns die Einstellung der Jünger Jesu gegenüber dem Blindgeborenen. Ihr Denken war geprägt von jener unglücklichen Geisteshaltung, wie sie das Sprichwort festhält: Denke Böses und du irrst dich nicht. Später, als sie den Meister näher kennengelernt und begriffen haben, was es bedeutet, ein Christ zu sein, lassen sie sich von Verständnis leiten.

Bei jedem Menschen, schreibt der heilige Thomas von Aquin, läßt sich etwas finden, auf Grund dessen ihn die anderen als überlegen betrachten können gemäß den Worten des Apostels: "In Demut erachte jeder den anderen höher als sich selbst" (PhiI 2,3). Und deshalb müssen alle Menschen einander Ehre erweisen (Thomas von Aquin, S. Th), II-II, q. 103, a. 2-3). Die Demut ist jene Tugend, die uns entdecken läßt, daß die Achtung vor einem Menschen - vor seiner Ehre, seinem Glauben, seiner Intimsphäre - nicht bloße Äußerlichkeit ist, sondern erster Erweis der Liebe und der Gerechtigkeit.

Die christliche Nächstenliebe beschränkt sich nicht darauf, dem Bedürftigen in seiner materiellen Not zu helfen; sie zielt zuallererst darauf, jeden einzelnen auf Grund seiner Würde als Mensch und als Kind des Schöpfers zu achten und zu verstehen. Darum verraten die Anschläge auf die Würde der Person - auf ihren guten Ruf, auf ihre Ehre -, daß derjenige, der sie verübt, einige Wahrheiten unseres christlichen Glaubens nicht bekennt oder nicht lebt; auf jeden Fall aber, daß ihm die wahre Gottesliebe fehlt. Die Liebe, mit der wir Gott und den Nächsten lieben, ist ein und dieselbe Tugend, denn Gott selber ist der Grund, warum wir den Nächsten lieben, und im Nächsten lieben wir niemand anderen als Gott (Thomas von Aquin, S. Th), II-II, q. 103, a. 2-3).

Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, aus diesem kurzen Gespräch in der Gegenwart des Herrn einige konkrete Folgerungen zu ziehen. Vor allem sollten wir den Vorsatz fassen, die anderen nicht zu richten, nicht zu beleidigen, nicht einmal durch den Zweifel; das Böse im Überfluß des Guten zu ersticken und überall, wo wir sind, ein loyales Zusammenleben in Frieden und Gerechtigkeit zu fördern.

Nehmen wir uns auch fest vor, niemals traurig zu werden, wenn unser aufrichtiges Verhalten mißdeutet wird; wenn das Gute, das wir uns - immer mit der Hilfe des Herrn - zu tun bemühen, durch eine willkürliche Interpretation unserer Absichten als Verschlagenheit und Heuchelei verketzert wird. Verzeihen wir immer, mit einem Lächeln auf den Lippen. Reden wir deutlich, ohne Groll, wenn wir im Gewissen meinen, daß wir reden sollen. Und legen wir alles in die Hände Gottes, unseres Vaters, indem wir jenes göttliche Schweigen nachahmen - Iesus autem tacebat (Mt 26,63), Jesus aber schwieg -, wenn es sich um Angriffe auf unsere eigene Person handelt, mögen sie noch so brutal und schamlos sein. Bemühen wir uns einzig und allein darum, gute Werke zu tun; Er wird schon dafür sorgen, daß sie leuchten vor den Menschen (Mt 5,16).

Doch betrachten wir weiter, wie wunderbar die Sakramente sind. In der Krankensalbung, wie die Letzte Ölung jetzt heißt, erfahren wir eine liebevolle Wegbereitung für eine Reise, die im Hause des Vaters endet. In der heiligen Eucharistie schließlich - wir könnten sie das Sakrament der verschwenderischen Großzügigkeit Gottes nennen - gewährt Gott uns seine Gnade und schenkt sich uns selbst: Jesus Christus ist in der Eucharistie wirklich gegenwärtig und nicht nur während der heiligen Messe - mit seinem Leib und mit seinem Blut, mit seiner Seele und mit seiner Gottheit.

Ich denke oft an die Verantwortung, die auf den Priestern lastet, diesen göttlichen Gnadenstrom der Sakramente allen Christen zu sichern. Gottes Gnade kommt jeder Seele zu Hilfe. Jedes Geschöpf braucht seinen ganz bestimmten, persönlichen Beistand. Man kann Seelen einfach nicht in Massen abfertigen! Es hieße die Menschenwürde und die Würde der Kinder Gottes verletzen, wollte der Priester nicht auf jeden einzelnen persönlich eingehen im demütigen Wissen darum, daß er nur Werkzeug und Vermittler der Liebe Christi ist: denn jede Seele ist ein herrlicher Schatz, jeder Mensch ist einzigartig und unersetzlich, jeder Mensch ist das ganze Blut Christi wert.

Wir haben vom Kampf gesprochen. Der Kampf jedoch erfordert Training, eine richtige Ernährung und sofortige Medizin bei Krankheit, Verletzungen und Wunden. Die Sakramente, Hauptheilmittel der Kirche, sind kein Luxus. Wer willentlich auf sie verzichtet, ist nicht mehr fähig, auch nur einen Schritt vorwärts zu tun auf dem Weg der Nachfolge Christi. Wir benötigen sie wie das Atmen, wie den Blutkreislauf, wie das Licht, um jederzeit erkennen zu können, was der Herr von uns will.

Die Askese des Christen erfordert Stärke und diese Stärke findet er im Schöpfer. Wir sind das Dunkel, Er ist hellstes Licht. Wir sind die Krankheit, Er die unangreifbare Gesundheit. Wir sind die Dürftigkeit, Er ist der unendliche Reichtum. Wir sind die Schwachheit, Er ist unser Halt, quia tu es, Deus, fortitudo mea (Ps 42,2), denn immer bist Du, mein Gott, unsere Stärke. Nichts auf dieser Welt kann sich dem erlösenden und nie versiegenden Strom des Blutes Christi widersetzen. Aber menschliche Niedrigkeit kann uns den Blick für die Größe Gottes trüben. Allen Gläubigen und besonders jenen, die das Amt haben, das Volk Gottes geistlich zu leiten - ihm zu dienen -, obliegt deshalb die Verantwortung, die Quellen der Gnade nicht versiegen zu lassen und sich nicht des Kreuzes Christi zu schämen.

Der Frieden Christi

Noch etwas möchte ich euch zu bedenken geben: daß wir unverzagt kämpfen müssen, um das Gute zu tun, gerade weil wir wissen, wie schwer es uns Menschen fällt, mit allem Ernst Gerechtigkeit zu üben. Wir sind sehr weit entfernt von einem menschlichen Zusammenleben, das von der Liebe bestimmt ist und nicht von Haß oder Gleichgültigkeit. Aber auch wenn es uns gelingen sollte, eine gerechtere Verteilung der Güter und eine bessere Gesellschaft zu erreichen, würde das Leiden nicht aufgehoben sein, das der Schmerz und die Krankheit, das Unverständnis und die Einsamkeit, der Tod geliebter Menschen und die Erfahrung der eigenen Begrenztheit erzeugen.

Vor diesem bedrückenden Bild findet der Christ nur eine einzige, aber entscheidende Antwort: Christus am Kreuz, Gott, der leidet und stirbt; Gott, der sein Herz hingibt für uns, aus Liebe zu allen Menschen von der Lanze durchbohrt. Der Herr verabscheut die Ungerechtigkeit und verurteilt den, der sie tut; aber Er läßt sie zu, weil Er die Freiheit jedes einzelnen achtet. Gott verursacht nicht das Leid der Geschöpfe, aber Er duldet es, weil es nach der Erbsünde zum menschlichen Dasein gehört. Ihm hat es aber gefallen, auf Antrieb seines liebenden Herzens mit dem Kreuz auch unsere Leiden, unsere Trübsal und Angst, unseren Hunger und Durst nach Gerechtigkeit auf sich zu nehmen.

Die christliche Lehre über den Schmerz ist kein billiger Trost. Zuallererst fordert sie die Annahme des Leidens, das tatsächlich vom menschlichen Leben nicht zu trennen ist. Aber dort, wo das Kreuz ist, da ist auch Christus, die Liebe; da ich mich bemüht habe, danach zu leben, sage ich euch jetzt nicht ohne Freude, daß der Schmerz auch in meinem Leben nicht gefehlt hat, und daß ich mehr als einmal nahe daran war zu weinen. Manchmal habe auch ich die wachsende Abscheu vor der Ungerechtigkeit und dem Bösen auskosten müssen sowie das Unbehagen, trotz allen guten Wollens und aller Anstrengungen machtlos dazustehen und nicht helfen zu können.

Wenn ich vom Schmerz spreche, so rede ich nicht von einer Theorie. Ich gebe nicht eine fremde Erfahrung weiter, wenn ich euch jetzt einschärfen möchte, daß ihr, wenn ihr die Härte des Leidens und die Erschütterung der Seele spürt, auf Christus schauen sollt. Das ist das Heilmittel, denn das Bild des GoIgotha verkündet allen Menschen, daß Sorgen und Kummer geheiligt werden müssen, wenn wir eins mit dem Kreuz leben wollen.

Unsere Bedrängnis wird, christlich gelebt, zur Sühne und Wiedergutmachung, zur Teilnahme am Schicksal und am Leben Jesu, denn Er hat freiwillig und aus Liebe zu den Menschen alle nur denkbaren Schmerzen, alle Art von Qualen erfahren wollen. Er wurde arm geboren, Er lebte und starb arm; Er wurde angefeindet, verhöhnt, verschmäht, verleumdet und ungerecht verurteilt; Er wurde verraten und von seinen Jüngern im Stich gelassen; Er bekam die Einsamkeit, die Bitternis der Strafe und des Todes zu spüren. Jetzt noch leidet Christus immerfort in seinen Gliedern, in der ganzen Menschheit, die die Erde bevölkert, und deren Haupt, Erstgeborener und Erlöser Er ist.

Der Schmerz hat einen Platz in den Plänen Gottes: auch wenn es uns schwerfällt, dies zu begreifen, so wie es Christus als Mensch schwerfiel: Vater, wenn du willst, laß diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht mein Wille geschehe, sondern der deine (Lk 22,42). In dieser Spannung zwischen Pein und Hinnahme des Willens des Vaters geht Jesus dem Tod entgegen, gelassen und denen verzeihend, die Ihn kreuzigen.

Gerade diese übernatürliche Annahme des Leidens ist wahrhaft eine Eroberung. Christus besiegt den Tod, indem Er am Kreuze stirbt, Gott läßt aus dem Tod Leben erstehen. Die Haltung eines Kindes Gottes ist nicht die des Sichabfindens mit einem tragischen Geschick, sondern die Freude eines Menschen, der sich des Sieges gewiß ist. Im Namen der siegreichen Liebe Christi müssen wir Christen überall auf der Erde mit unserem Wort und unserem Tun Frieden und Freude säen. Wir müssen kämpfen - den Kampf des Friedens - gegen das Böse, gegen die Ungerechtigkeit, gegen die Sünde, und auf diese Weise verkünden, daß der gegenwärtige Stand des Menschen nicht der endgültige ist, daß die Liebe Gottes, die sich im Herzen Christi zeigt, auch unter den Menschen einen herrlichen geistigen Triumph davontragen wird.