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Es gibt 3 Nummer in «Freunde Gottes » deren Stichwort lautet Tugenden → tägliches und heroisches Tun.

Und wieder muß ich an eine Begebenheit denken, die lange zurückliegt. Eines Tages ging ich in die Kathedrale von Valencia, um dort zu beten. Als ich am Grab des Seligen Ridaura vorbeikam, erzählte man mir von diesem Priester, daß er auf die Frage nach seinem Alter - er war schon sehr alt - immer die gleiche, sehr bestimmte Antwort gab: wenige Jahre, und um deutlich zu machen, was er meinte, fügte er hinzu: Nur die Jahre, die ich im Dienste Gottes verbracht habe, zählen. Bei vielen von euch kann man noch an den Fingern einer Hand die Jahre zählen, die seit dem Tag vergangen sind, an dem ihr euch entschlossen habt, ganz Gott zu gehören und Ihm inmitten der Welt, in eurem Milieu und durch eure berufliche Arbeit dienen zu wollen. Es ist auch nicht so wichtig; wichtig ist nur, daß in uns diese Gewißheit gleichsam eingebrannt ist: die Aufforderung zur Heiligkeit, die Christus an alle Menschen ohne Ausnahme richtet, verlangt von einem jeden die Sorge um das eigene innere Leben und die tägliche Einübung in die christlichen Tugenden. Der Herr fordert nicht einen durchschnittlichen, überdurchschnittlichen oder außerordentlichen Einsatz, sondern eine Entschlossenheit, die bis zum wirklich Heroischen gehen muß.

In der Tat ist dies ein hohes Ziel, ein steiler Weg. Aber vergeßt nicht, daß niemand schon von Geburt an heilig ist: der Heilige wird, er wird im ständigen Zusammenspiel von göttlicher Gnade und menschlichem Mitwirken. Ein christlicher Schriftsteller der ersten Jahrhunderte bemerkt zu der Vereinigung mit Gott: Alles, was sich entwickelt, ist zuerst klein. Indem es immer wieder Nahrung zu sich nimmt, wächst es stetig und wird groß (Markus, Eremit, De lege spirituali, 172 (PG 65, 926]). Deshalb: Willst du konsequent als Christ leben - und ich weiß, daß du das willst, auch wenn Siege und die stetige Ausrichtung unseres armseligen Leibes auf das Höhere hin dir oft so schwer fallen -, dann mußt du mit größter Sorgfalt auf die kleinsten Dinge achten, denn die Heiligkeit, die der Herr von dir will, ist nur zu erlangen durch das Ernstnehmen der Arbeit und der alltäglichen, meistens unscheinbaren Pflichten, aus Liebe zu Gott.

Ich will euch nicht verheimlichen, daß ich leide, wenn ich tadeln oder eine Entscheidung treffen muß, die Schmerz bereiten wird. Ich bin nicht sentimental, und doch leide ich: vorher, währenddessen und danach. Mich tröstet der Gedanke, daß nur Tiere nicht weinen, während wir Menschen, Kinder Gottes, weinen können. Es ist mir also klar, daß auch ihr manchmal leiden werdet, wenn ihr eure Pflicht treu erfüllen wollt. Wohl ist es bequemer, dem Leid immer und in allem mit dem Vorwand auszuweichen, man wolle den Nächsten nicht betrüben; doch das ist ein Irrweg, den man oft aus Feigheit vor dem eigenen Schmerz einschlägt, da tadeln zu müssen für gewöhnlich nicht angenehm ist. Denkt aber immer daran, meine Kinder, daß die Hölle voller verschlossener Münder ist.

Einige von euch sind Ärzte. Verzeiht mir, wenn ich es wage, wieder ein Beispiel aus der Medizin zu nehmen; es mag nicht ganz genau stimmen, aber als asketische Überlegung ist es recht brauchbar. Wer eine Wunde heilen will, wird sie zuerst gründlich säubern, auch ihr weiteres Umfeld. Natürlich weiß der Arzt, daß das wehtut, aber er weiß auch, daß alles später noch schlimmer wird, wenn er es unterläßt. So desinfiziert er also die Wunde: es schmerzt, es brennt, aber nur auf diesem Weg kann Ärgeres verhindert werden.

Wenn schon die körperliche Gesundheit auch bei kleinen Abschürfungen solche Maßnahmen verlangt, um wieviel mehr wird es dann da nötig sein, wo es um das Heil der Seele, um die eigentliche Mitte im Leben eines Menschen geht. Wie gründlich wird man dann reinigen, abtragen, desinfizieren, leiden müssen! Die Klugheit gebietet dies, und die Scheu vor solcher Pflicht wäre nicht nur Nachlässigkeit, sondern auch ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit und gegen den Starkmut.

Seid überzeugt, ein Christ, der vor Gott und den Menschen recht handeln will, hat - mindestens im Ansatz - alle Tugenden nötig. Ja, aber meine eigenen Schwächen, Vater? werdet ihr fragen. Und ich antworte: Kann etwa ein kranker Arzt nicht heilen? Kann er nicht die richtige Medizin verschreiben, selbst wenn seine eigene Krankheit chronisch ist? Natürlich kann er das, es genügt schon, daß er das nötige Wissen besitzt und es mit dem gleichen Einsatz nutzt, mit dem er seine eigene Krankheit bekämpft.