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Es gibt 4 Nummer in «Freunde Gottes » deren Stichwort lautet Frömmigkeit → Frömmigkeit und Gotteskindschaft.

*Homilie, gehalten am 5. April 1964 [Weißer Sonntag]

Der Weiße Sonntag ruft mir eine alte, fromme Überlieferung meiner Heimat ins Gedächtnis. Es ist der Tag, an dem die Liturgie uns auffordert, nach der geistlichen Nahrung zu trachten: rationabile, sine dolo lac concupiscite (1 Petr 2,2 (Introitus der heiligen Messe]), verlangt nach der geistigen, lauteren Milch. Früher bestand die Gewohnheit, an diesem Tag die Kommunion zu den Kranken zu bringen - auch zu jenen, die keine schwere Krankheit hatten -, damit sie das Gebot der Osterkommunion erfüllen könnten.

In einigen Großstädten hatte jede Pfarrei ihre eucharistische Prozession. Von meiner Zeit als Student an der Universität her erinnere ich mich - denn es kam nicht selten vor -, daß sich auf der Hauptstraße von Zaragoza drei Züge begegneten, die nur von Männern gebildet waren: Tausende von Männern mit großen brennenden Kerzen in den Händen; aufrechte Leute, die das Allerheiligste Altarssakrament mit einem Glauben begleiteten, der noch massiver war als jene pfundschweren Kerzen, die sie trugen.

Als ich heute Nacht mehrmals wach wurde, habe ich als Stoßgebet jenes Wort gesprochen: quasi modo geniti infantes (Ebd.), wie neugeborene Kinder… Dabei dachte ich mir, daß diese Aufforderung der Kirche sehr passend für uns ist, die wir uns ganz als Kinder Gottes fühlen. Denn wir müssen zwar starkmütig und zuverlässig sein und mit Charakterfestigkeit nachhaltig auf unser Milieu einwirken, aber dabei ist es doch sehr gut, daß wir uns vor Gott als kleine Kinder sehen!

Wir sind Kinder Gottes

Quasi modo geniti infantes, rationabile, sine dolo lac concupiscite (Ebd.). Schreit wie Neugeborene nach der reinen, unverfälschten Milch des Geistes. Sie sind herrlich, diese Worte des heiligen Petrus. Ich kann gut verstehen, daß die Liturgie sie mit dem Ausruf fortsetzt: Exsultate Deo adiutori nostro: iubilate Deo Iacob (Ps 80,2 (Introitus der heiligen Messe]). Preist Gott, unseren Helfer. Preist den Gott Jakobs, der auch uns Herr und Vater ist. Aber heute, in unserem gemeinsamen Gebet, möchte ich nicht das Allerheiligste Altarssakrament betrachten, das immer Gegenstand unseres innigsten Gotteslobes ist; ich möchte, daß wir bei der Gewißheit unserer Gotteskindschaft verweilen und dabei einige der Konsequenzen bedenken, die sich ergeben, wenn man ernsthaft und untadelig den christlichen Glauben leben will.

Aus Gründen, die hier nicht hingehören - Jesus, der vom Tabernakel aus auf uns herabschaut, kennt sie gut - bin ich in meinem Leben zu einem besonders tiefen Bewußtsein der Gotteskindschaft geführt worden. Ich habe das Glück erfahren, mich im Herzen meines Vaters bergen zu dürfen, um von dort aus - auf dem Fundament seiner Liebe und meiner Demütigung - manches zu begradigen, mich zu läutern, dem Herrn zu dienen, alle Menschen zu verstehen und zu entschuldigen.

Deshalb möchte ich jetzt den Nachdruck auf die Notwendigkeit unserer inneren Erneuerung legen: Es ist nötig, daß wir, ihr und ich, diese Schlafschwere aus Schwäche, die uns so leicht überkommt, abschütteln und uns von neuem tiefer und unmittelbarer als Kinder Gottes erkennen.

Das Beispiel Jesu, wie Er das Heilige Land durchzog, kann uns helfen, daß wir von der Wirklichkeit der Gotteskindschaft ganz durchdrungen werden. In der Lesung des heutigen Sonntags heißt es: Wenn wir das Zeugnis von Menschen annehmen, so steht doch das Zeugnis Gottes höher (1 Joh 5,9). Und worin besteht dieses Zeugnis Gottes? Wieder antwortet uns der heilige Johannes: Seht, welche Liebe uns der Vater erwiesen hat: wir heißen Kinder Gottes und wir sind es. (…)Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes (1 Joh 3,1-2).

Ich habe mir Mühe gegeben, mich im Laufe der Jahre immerfort auf diese frohmachende Wirklichkeit zu stützen. Immer ist mein Gebet dasselbe geblieben, nur der Ton war je nach den Umständen etwas verschieden. Immer habe ich zum Herrn gesagt: Herr, Du hast mich hier hingestellt, Du hast mir dies und jenes anvertraut, und ich verlasse mich auf Dich. Ich weiß, daß Du mein Vater bist. Ich habe immer gesehen, daß ein kleines Kind sich seines Vaters sicher ist. Meine priesterliche Erfahrung hat mir bestätigt, daß dieses Sich-den-Händen-Gottes-Überlassen in der Seele eine starke, tiefe und heitere Frömmigkeit wachsen läßt, die dazu führt, daß alles, was man tut, in lauterer Absicht geschieht.

Das Beispiel Jesu Christi

Quasi modo geniti infantes…, nach Art der kleinen Kinder. Mit Freude habe ich überall diese Denkweise von kleinen Kindern Gottes zu verbreiten gesucht. Im Lichte dieser Denkweise erscheinen uns die Worte, die wir auch in den liturgischen Texten der heutigen Messe finden, besonders erfrischend: Alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt (1 Joh 5,4), beseitigt die Hindernisse, läßt uns im gewaltigen Kampf um den Frieden der Seelen und der menschlichen Gesellschaft siegen.

Unsere Weisheit und unsere Stärke liegen gerade im Bewußtsein, daß wir klein und in den Augen Gottes ein Nichts sind; aber gleichzeitig ist Gott selbst es, der will, daß wir mit unerschütterlichem Vertrauen tätig sind und Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, verkündigen; und dies trotz unserer eigenen Fehler und Armseligkeiten, immer vorausgesetzt, daß es nicht an Kampf fehlt, der zu ihrer Überwindung führen soll.

Ihr wißt, daß ich oft den Rat der Heiligen Schrift wiederhole: Discite benefacere (Jes 1,17), lernet Gutes tun; denn es ist wirklich so: wir müssen lernen und lehren, wie man Gutes tut. Das muß bei uns beginnen, indem wir alles daransetzen zu entdecken, welches Gut für uns, für unsere Freunde, für alle Menschen erstrebenswert ist. Ich kenne keinen besseren Weg zur Betrachtung der Größe Gottes als diesen, der von der unsagbar einfachen Erkenntnis ausgeht, daß Er unser Vater ist und wir seine Kinder sind.

Frömmigkeit, Kindschaft

Die Frömmigkeit, die aus der Gotteskindschaft stammt, ist eine zutiefst in der Seele verwurzelte Haltung, die schließlich das ganze Dasein eines Menschen erfaßt; sie ist gegenwärtig in jedem Gedanken, in jedem Wunsch, in jeder Gemütsregung. Habt ihr nicht bemerkt, wie in einer Familie die Kinder, wenn auch unbewußt, die Eltern nachahmen und ihre Gebärden, Gewohnheiten und Verhaltensweisen übernehmen?

Im Verhalten eines guten Kindes Gottes geschieht etwas ganz Ähnliches. Auch hier gelangt man zu einer wunderbaren Vergöttlichung, ohne zu wissen, wie und auf welchem Weg. Sie hilft uns, alle Ereignisse aus der übernatürlichen Perspektive des Glaubens her zu beurteilen. Man liebt dann alle Menschen so, wie unser Vater im Himmel sie liebt, und - das ist wohl das wichtigste - in der Seele entsteht ein neuer Schwung im täglichen Bemühen um die Nähe Gottes. Unsere Armseligkeiten zählen dann nicht mehr - ich möchte es noch einmal betonen -, denn wir werfen uns in die liebenden Arme Gottes, die uns aufnehmen.

Vielleicht ist euch schon aufgefallen, wie groß der Unterschied zwischen dem Sturz eines Kindes und dem Sturz eines Erwachsenen ist. Für ein Kind bedeutet ein Sturz in den meisten Fällen nicht viel, es fällt ja so oft hin. Wenn es losweinen möchte, sagt ihm sein Vater: Männer weinen nicht! Das Kind gibt sich dann Mühe, seinem Vater zu gefallen, und alles ist gut.

Wie ist es aber, wenn ein Erwachsener das Gleichgewicht verliert und plötzlich am Boden liegt? Fühlte man nicht Mitleid, so fände man das nur komisch, einen Anlaß zum Lachen. Hinzukommt, daß der Sturz eines Erwachsenen unter Umständen ernste Folgen nach sich zieht, oder bei einem älteren Menschen einen unheilbaren Bruch verursacht. Es ist gut für uns, im inneren Leben quasi modo geniti infantes zu sein: wie diese kleinen Kinder, die - man könnte meinen, sie seien aus Gummi - lachend fallen und sogleich wieder aufstehen und weiter herumtollen und außerdem, wenn es nötig ist, von ihren Eltern getröstet werden.

Versuchen wir, uns wie sie zu verhalten, dann werden die Schläge und Mißerfolge - die übrigens unvermeidlich sind - uns niemals verbittern. Wir werden mit Schmerz, aber nicht entmutigt reagieren, ja, wir werden sogar lächeln; denn ein solches Lächeln ist wie das klare Wasser, das aus der Freude entspringt, uns als Kinder des unfaßbar großen, weisen, barmherzigen Gottes, unseres Vaters, zu wissen. Im Verlauf meiner Jahre im Dienste des Herrn habe ich gelernt, wie ein kleiner Sohn Gottes zu sein. Und auch euch bitte ich darum, daß ihr quasi modo geniti infantes seid: Kinder, die nach dem Wort Gottes, nach dem Brot Gottes, nach der Nahrung Gottes, nach der Stärke Gottes verlangen, um uns dann wie reife Christen zu verhalten.