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Es gibt 7 Nummer in «Freunde Gottes » deren Stichwort lautet Verständnis → und Zusammenleben.

Wenn wir das Wort des Herrn betrachten: ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt seien (Joh 17,19), wird uns deutlich, worin unser einziges Ziel besteht: darin, uns zu heiligen; heilig zu werden, um andere zu heiligen. Hier mag sich die Versuchung eines leisen Zweifels melden: Wir, die wir zur Befolgung der göttlichen Aufforderung fest entschlossen sind, seien gar nicht so zahlreich, und außerdem als Werkzeuge gar nicht so wertvoll. Ja, im Vergleich zu der Gesamtheit der Menschen sind wir nur wenige, und als einzelne taugen wir nicht viel. Aber unser Meister sagt uns mit aller Bestimmtheit, daß der Christ Licht, Salz, Sauerteig der Welt ist, und schon ein wenig Sauerteig durchsetzt den ganzen Teig (Gal 5,9). Gerade deshalb habe ich immer wieder gesagt, daß uns alle Menschen interessieren, von Hundert alle Hundert, und keinen einzigen nehmen wir aus, denn wir wissen, daß Christus alle erlöst hat und einige wenige in seinen Dienst nehmen will, damit sie, die selbst nichts sind, sein Heil ausbreiten helfen.

Ein Jünger Christi wird niemals einen Mitmenschen geringschätzig behandeln; er wird den Irrtum beim Namen nennen, aber den Irrenden in Liebe zurechtweisen, sonst könnte er ihm nicht helfen, ihn nicht heiligen. Was not tut, ist Wohlwollen, Verstehen, Entschuldigen, brüderliches Begegnen, und in allem den Rat des heiligen Johannes vom Kreuz beherzigen: Lege Liebe dort hinein, wo es keine Liebe gibt, und du wirst Liebe finden (Vgl. Johannes vom Kreuz, Brief an Maria von der Menschwerdung, 6. 7. 1591). Auch für Dinge, die scheinbar nicht von Belang sind in der beruflichen Arbeit, im Familienleben oder im Umgang mit Bekannten, gilt dies. Uns muß also daran liegen, jede Gelegenheit, sei sie auch noch so alltäglich, wahrzunehmen: und indem wir sie heiligen, heiligen wir uns und heiligen wir jene Menschen, die mit uns die Sorgen des Alltags teilen. So werden wir in unserem Leben die milde, liebenswerte Last eines Miterlösers verspüren.

Christliche Tugend ist anspruchsvoller. Sie drängt uns dazu, dankbar, liebenswürdig, großzügig zu sein; uns in guten wie in schlechten Zeiten als treue, verläßliche Freunde zu zeigen; die Gesetze zu achten und die legitime Obrigkeit zu ehren; gerne umzudenken, wenn wir feststellen, daß unser Urteil falsch war. Vor allem aber werden wir, wenn wir gerecht sind, unsere Aufgaben im Beruf, in der Familie und in der Gesellschaft ernst nehmen, mit selbstverständlichem Einsatz, ohne Prahlerei, in Ausübung der eigenen Rechte, die gleichzeitig Pflichten sind.

Ich glaube nicht an die Gerechtigkeit der Faulenzer, denn ihr dolce far niente - wie man in meinem geliebten Italien sagt - verstößt, manchmal in schwerwiegender Weise, gegen ein grundlegendes Prinzip der Gerechtigkeit: die Arbeit. Wir dürfen nicht vergessen, daß Gott den Menschen erschaffen hat, ut operaretur (Gen 2,15), damit er arbeite; und unsere Mitmenschen in der Familie, in unserem Land, ja die ganze Menschheit, sie alle brauchen unsere Arbeit, eine wirksame Arbeit. Meine Kinder, was für eine armselige Vorstellung von Gerechtigkeit haben all die, die in ihr bloß die Verteilung materieller Güter sehen!

Alle lieben

Als unseren Nächsten, sagt der heilige Leo der Große, sollen wir nicht nur betrachten, der mit uns durch die Bande der Freundschaft oder der Verwandtschaft verknüpft ist, sondern alle Menschen, mit denen uns ja dieselbe Natur verbindet (…) Ein und derselbe Schöpfer hat uns die Seele gegeben. Alle erfreuen wir uns an demselben Himmel und an derselben Luft, an denselben Tagen und an denselben Nächten, und obwohl die einen gut und die anderen böse, die einen gerecht und die anderen ungerecht sind, ist Gott trotzdem zu allen großzügig und gütig (Leo der Große, Sermo, 12, 2 (PL 54, 170]).

Durch die Übung dieses neuen Gebotes gewinnen wir - Kinder Gottes - Form und Gestalt, lernen wir in der Kirche zu dienen und uns nicht bedienen zu lassen (Vgl. Mt 20,28), und finden so die Kraft, alle Menschen auf eine neue Art zu lieben, die als Frucht der Gnade Christi sichtbar wird. Unsere Liebe ist weder Sentimentalität noch bloße Kameradschaft, noch der fragwürdige Eifer, anderen zu helfen, um die eigene Überlegenheit zu genießen. Sie bedeutet vielmehr, den Nächsten anzunehmen und - sagen wir es noch einmal - in jedem Menschen das Bild Gottes zu ehren, darum bemüht, daß auch der andere dieses Bild betrachtet und sich dadurch Christus zuwenden kann.

Alle lieben heißt daher das Apostolat zu allen tragen, heißt tatkräftig und ehrlich - soweit es an uns liegt - den göttlichen Impuls aufnehmen, denn Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1 Tim 2,4).

Wenn wir sogar die Feinde lieben müssen - ich meine jene, die uns für solche halten, denn von mir aus kenne ich keine Feinde -, dann schulden wir erst recht jenen Liebe, die uns bloß fern sind oder die wir nicht so sympathisch finden oder die aufgrund von Sprache, Bildung oder Erziehung uns fremdartig erscheinen.

Und was für eine Liebe ist gemeint? Die Heilige Schrift spricht von dilectio, um zu verdeutlichen, daß es sich nicht nur um eine gefühlsmäßige Zuneigung handelt; das Wort weist vielmehr auf eine feste Entscheidung, auf einen Willensakt hin. Dilectio kommt von electio, "erwählen". Ich würde noch hinzufügen, daß Liebe für einen Christen lieben wollen bedeutet, sich in Christus dazu entschließen, ohne irgendeinen Unterschied das Wohl aller Menschen zu suchen, damit ihnen die beste aller Gaben zuteil wird: Christus kennenzulernen und Ihn innig zu lieben.

Der Herr drängt uns: Tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen und verleumden (Mt 5,44). Es mag wohl sein, daß wir für die, die unsere Nähe zurückweisen würden, menschlich gesehen keine Zuneigung empfinden; aber Jesus verlangt, daß wir ihnen nicht Böses mit Bösem vergelten, daß wir keine Gelegenheit versäumen, ihnen von Herzen, auch wenn es uns schwerfällt, zu dienen, daß wir sie immer wieder in unser Gebet einschließen.

Diese dilectio, diese Liebe, wird noch herzlicher, wenn sie sich auf unsere Brüder im Glauben richtet und insbesondere auf jene, die - weil Gott es so gefügt hat - uns sehr nahe stehen: die Eltern, der Ehemann oder die Ehefrau, die Kinder oder die Geschwister, die Freunde und Kollegen, die Nachbarn. Ohne diese spürbare Herzlichkeit einer reinen und edlen menschlichen Liebe, die auf Gott hingeordnet und in Ihm begründet ist, gäbe es die göttliche Tugend der Liebe nicht.

Wie sich die Liebe ausdrückt

Mir gefällt das Wort, das der Heilige Geist durch den Propheten Isaias spricht: Discite benefacere (Jes 1,17), lernt Gutes tun. Ich pflege diesen Rat auf die verschiedenen Aspekte unseres inneren Kampfes zu beziehen, denn niemals kann man das christliche Leben als vollendet betrachten: das Wachsen in den Tugenden ist ja Frucht einer wirklichen Arbeit an sich selbst, Tag für Tag.

Im täglichen Leben, wie lernen wir da eigentlich, eine Arbeit zu verrichten? Zuerst fragen wir uns nach dem Ziel, das wir erreichen wollen, und nach den dazu erforderlichen Mittel; dann setzen wir diese Mittel ein, immer wieder, solange, bis wir jene aus eingefleischter Übung resultierende Leichtigkeit in unserem Tun erreichen. Und kaum sind wir soweit, entdecken wir auch schon andere, bis dahin uns unbekannte Aspekte; sie spornen uns an, weiter zu arbeiten und niemals aufzuhören.

Die Liebe zum Nächsten ist Ausdruck der Liebe zu Gott. Wenn wir uns daher bemühen, in dieser Tugend zu wachsen, dürfen wir uns keine Grenzen setzen: Ihn ohne Maß lieben ist das einzige Maß, das dem Herrn gegenüber gilt. Denn einerseits werden wir nie genug für alles danken können, was Er für uns getan hat; und andererseits offenbart sich seine Liebe zu den Geschöpfen eben als ein Übermaß, jenseits aller Berechnungen und Grenzen.

Uns alle, die wir bereit sind, die Seele seinem Wort zu öffnen, lehrt der Herr in der Bergpredigt das göttliche Gebot der Liebe. Gleichsam zusammenfassend, sagt Er am Schluß: Liebet eure Feinde, tut Gutes und leiht, ohne etwas zurückzuerwarten. Dann wird euer Lohn groß sein; denn auch Er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid also barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist (Lk 6,35-36).

Barmherzigkeit ist mehr als bloßes Mitleid: Sie ist Überfluß der Liebe und bringt Überfluß an Gerechtigkeit hervor. Der Barmherzige hat ein Herz, das feinfühlig empfindet und mit einer starken, opferbereiten, großzügigen Liebe antwortet. Paulus preist diese Liebe hoch: Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, die Liebe ist nicht eifersüchtig. Sie prahlt nicht, überhebt sich nicht, sie handelt nicht unschicklich, sucht nicht das Ihre, kennt keine Erbitterung, trägt das Böse nicht nach. Am Unrecht hat sie keinen Gefallen, mit der Wahrheit freut sie sich. Alles erträgt sie, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles duldet sie (1 Kor 13,4-7).

Eine der ersten Ausdrucksformen der Liebe ist die Hinführung der Seele auf die Wege der Demut. Wenn uns in ehrlicher Selbsterkenntnis aufgeht, daß wir nichts sind; wenn wir begreifen, daß das armseligste Geschöpf, hätten wir die Hilfe Gottes nicht, besser wäre als wir; wenn wir uns zu allen Irrtümern und Verirrungen fähig wissen; wenn wir trotz des entschiedenen Kampfes gegen die Untreue die Sünde in uns erfahren - wie werden wir dann noch Böses von den anderen denken können, wie Fanatismus, Intoleranz oder Überheblichkeit in unserem Herzen aufkommen lassen?

Die Demut ist es, die uns sacht und wie selbstverständlich die beste Art des Umgangs mit unseren Mitmenschen lehrt: jeden verstehen, annehmen, entschuldigen; weder Spaltungen herbeiführen noch Schranken aufrichten, sondern - immer! - die Eintracht fördern. Nicht umsonst ist der starke Drang nach Frieden, nach Zusammenhalt und gegenseitiger Achtung der Rechte der Person tief im Menschen verwurzelt; so kann aus Rücksichtnehmen Brüderlichkeit werden, und hierin wird eine Spur des Wertvollsten im Menschen sichtbar: wenn wir alle Kinder Gottes sind, dann ist die Brüderlichkeit weder ein Schlagwort noch eine Utopie, sondern ein wohl schwieriges, aber erreichbares Ziel.

Den Spöttern, den Skeptikern, den Gleichgültigen und denen, die sich von der eigenen Feigheit bestimmen lassen, müssen wir Christen zeigen, daß eine solche Liebe möglich ist. Das mag bisweilen recht schwierig sein, denn der Mensch wurde frei erschaffen und er hat es in der Hand, sich in sinnloser Verbitterung gegen Gott aufzulehnen - aber möglich ist es; und nicht nur möglich, es ist eine notwendige Folge der Liebe Gottes und der Liebe zu Gott. Wenn du und ich wollen, dann will Christus auch. Und dann erkennen wir tiefer, wie fruchtbar der Schmerz, das Opfer und die uneigennützige Hingabe im täglichen Umgang miteinander sind.

Der einzige Weg

Wir wissen längst, daß die Tugend der Nächstenliebe, die die Mitte des christlichen Lebens ausmacht, nichts zu tun hat mit jenen Karikaturen von ihr, die man uns bisweilen aufschwatzen möchte. Warum ist es aber notwendig, immer wieder über sie zu predigen? Ist das bloß eine Pflichtübung? Handelt es sich um eine Lehre, die man nur selten in eine konkrete Tat umsetzen kann?

Ein Blick in unsere Umgebung könnte uns zu der Annahme führen, die Tugend der Liebe sei nur eine Illusion. Aber ein tieferer Blick mit übernatürlicher Perspektive wird dir die Ursache zeigen, weshalb jene Tugend oft so unfruchtbar dahinkümmert: weil der innige und beständige Umgang mit Jesus Christus, das Du-zu-Du-Verhältnis mit dem Herrn fehlt und weil die Seele das Wirken des Heiligen Geistes in ihr, jenes Geistes, dessen erste Frucht gerade die Liebe ist, verkennt.

Unter Hinweis auf den Rat des Apostels - Einer trage des anderen Last: so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen (Gal 6,2) - bemerkt ein Kirchenvater: Wenn wir Christus lieben, wird es uns leichtfallen, die Schwäche der anderen zu ertragen, auch die Schwäche dessen, den wir noch nicht lieben, weil er keine guten Werke aufzuweisen hat (Augustinus, De diversis quaestionibus, 83, 71, 7 (PL 40, 83]).

Dies ist der ansteigende Weg des Wachsens in der Liebe. Es wäre ein Irrtum zu meinen, wir müßten uns zuerst in Werken der Humanität und der sozialen Hilfe einüben und dabei die Liebe zu Gott ausklammern. Vernachlässigen wir nicht Christus wegen der Sorge um den kranken Nächsten, denn um Christi willen müssen wir den Kranken lieben (Augustinus, Ebd.).

Blickt immerfort auf Christus, seht, wie Er, ohne sein Gottsein preiszugeben, sich erniedrigte und Knechtsgestalt annahm (Vgl. Phil 2,6-7), um uns dienen zu können; denn nur von dieser Perspektive her eröffnen sich uns die Zielsetzungen, die wirklich der Mühe wert sind. Liebe sucht die Vereinigung, das Einswerden mit dem Geliebten; wenn wir uns mit Christus vereinigen, werden wir ganz und gar von dem Drang erfüllt werden, sein Leben der Hingabe, der unermeßlichen Liebe und des Opfers bis zum Tod nachzuahmen. Christus stellt uns vor die fundamentale Entscheidung: entweder die eigene Existenz in Egoismus und Einsamkeit verkümmern zu lassen, oder sich mit ganzem Herzen einem Leben des Dienstes zu verschreiben.