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Der heilige Thomas von Aquin unterscheidet im guten Wirken des Verstandes, das wir Klugheit nennen, drei Momente: sich beraten lassen, recht urteilen und entscheiden (Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 47, a. 8). Der erste Akt der Klugheit besteht in der Erkenntnis der eigenen Grenzen, in der Tugend der Demut also. Wir sehen ein, daß wir uns in dieser oder jener Frage nicht ganz auskennen oder daß wir manche Umstände, die für die Urteilsfindung wichtig sind, nur ungenügend abschätzen können. Deshalb gehen wir zu einem Ratgeber, und zwar nicht zu einem beliebigen, sondern zu dem, der mit uns die Fähigkeit und den aufrichtigen Wunsch teilt, Gott zu lieben und Ihm treu zu folgen. Es genügt nicht einfach, daß wir uns einen Rat holen, sondern wir müssen auch darauf achten, daß der gesuchte Ratgeber uneigennützig handelt und Geradheit besitzt.

Dann kommt der Augenblick des Urteilens, denn die Klugheit verlangt oft rasches, rechtzeitiges Entscheiden. Zuweilen mag es klug sein, mit der Entscheidung bis zu einer vollständigen Urteilsbildung zu warten, doch in anderen Fällen - besonders dann, wenn es um das Wohl anderer Menschen geht - wäre es sehr unklug, nicht sofort mit der Verwirklichung des als richtig Erkannten zu beginnen.

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