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*Homilie, gehalten am 6. September 1941

Lukas erzählt es uns im siebten Kapitel seines Evangeliums: Ein Pharisäer bat Ihn, bei ihm zu essen. Er ging in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch (Lk 7,36). Da kommt eine Frau, in der ganzen Stadt als Sünderin bekannt, und nähert sich Jesus. Sie will Ihm, der nach dem damaligen Brauch liegend ißt, die Füße waschen: eine ergreifende Geste, denn ihre Tränen sind das Wasser und ihre Haare das Tuch. Sie salbt die Füße des Meisters mit Balsam aus einem kostbaren Alabastergefäß und küßt sie.

Der Pharisäer denkt Böses. Es will nicht in seinen Kopf, daß Jesu Herz so voller Barmherzigkeit sein kann: Wenn Er wirklich ein Prophet wäre, müßte Er wissen, was für eine Frau das ist, sie ist ja eine Sünderin (Lk 7,39). Jesus kennt seine Gedanken, Er erklärt ihm: Siehst du diese Frau? Ich kam in dein Haus, und du gabst mir kein Wasser für die Füße; sie aber hat meine Füße mit ihren Tränen benetztund mit ihren Haaren getrocknet. Du gabst mir keinen Kuß; sie aber hat seit meinem Eintritt unaufhörlich meine Füße geküßt. Du salbtest mein Haupt nicht mit Öl; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt (Lk 7,44-47).

Wir können jetzt nicht bei der Betrachtung des göttlichen Reichtums im barmherzigen Herzen Jesu verweilen, denn wir wollen auf etwas anderes hinaus: Jesus vermißt die Zeichen der Höflichkeit und des Feingefühls, die Ihm der Pharisäer vorenthielt. Christus ist perfectus Deus, perfectus homo (Glaubensbekenntnis Quicumque), ganz Gott, die zweite Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, und ganz Mensch. Er wirkt das Heil, nicht die Zerstörung unserer Natur. Und wir lernen von Ihm, daß es unchristlich ist, den Mitmenschen, ein Geschöpf Gottes, nach seinem Bild und Gleichnis gemacht (Vgl. Gen 1,26), geringzuschätzen.

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