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Die Liebe ist nicht unser eigenes Werk, sie strömt in uns ein durch Gottes Gnade: denn Er hat uns zuerst geliebt (1 Joh 4,10). Wir sollten von dieser großartigen Wahrheit ganz eingenommen sein: Wenn wir Gott lieben können, dann deshalb, weil wir von Gott geliebt worden sind (Origines, Commentarii in Epistolam ad Romanos, 4, 9 (PG 14, 997]). Du und ich, wir sind imstande, den anderen mit verschwenderischer Liebe zu begegnen, weil wir durch die Liebe des Vaters zum Glauben geboren wurden. Bittet den Herrn mit Kühnheit um diesen Schatz, um die natürliche Tugend der Liebe, damit ihr sie dann auch bis in die winzigste Kleinigkeit hinein weiterschenken könnt.

Oft haben wir Christen es nicht verstanden, dieser Gabe zu entsprechen; manchmal haben wir sie verwässert, als wäre sie nichts als ein seelenloses, unbeteiligtes Almosengeben; manchmal auch haben wir sie auf eine mehr oder weniger formelhafte Wohltätigkeit verkürzt. Resigniert beklagte eine Kranke diese Verirrung mit den Worten: Ja, hier behandelt man mich mit Nächstenliebe, meine Mutter aber umsorgte mich mit Herzenswärme. Die Liebe, die im Herzen Christi wurzelt, verträgt solche Unterscheidungen nicht.

Um euch diese Wahrheit unverlierbar einzuprägen, habe ich tausendmal dasselbe Bild gebraucht: Wir haben nicht ein Herz, um damit Gott, und ein anderes, um damit die Geschöpfe zu lieben: mit diesem unserem einen armen Herzen aus Fleisch lieben wir menschlich und, wenn sich diese Liebe mit der Liebe Christi vereint, zugleich übernatürlich. Diese, und keine andere, ist die Liebe, die in uns wachsen muß und die uns in den Mitmenschen die Gestalt unseres Herrn erkennen lassen wird.

Verzeichnis der Schriftstellen
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