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Aus dieser Sicht muß in euch die Überzeugung erwachsen, daß der aufrichtige Wunsch, dem Herrn von nahem zu folgen und Gott und allen Menschen wirklich zu dienen, die ungeschmälerte Loslösung vom eigenen Ich erfordert: von den Gaben des Intellekts, von der Gesundheit, der Ehre, von noblen Ambitionen, von Erfolgen und Triumphen.

Ja, auch jene guten Anliegen schließe ich hier ein - denn so weit muß deine Entschlossenheit reichen -, die aus dem Wunsch hervorgehen, nur die Ehre Gottes zu suchen und Ihn in allem zu preisen. Bei solchen Anliegen soll unser Wille klar und bestimmt reagieren: Herr, ich möchte dies oder jenes, aber nur, wenn es Dir gefällt, wozu sonst nützte es mir? Wir versetzen so dem Egoismus und der Eitelkeit, die sich in unser aller Herz einschleichen, den Todesstoß und gewinnen auf diesem Weg den wahren Frieden der Seele; denn in dem Maße, da sie sich loslöst, birgt sie sich immer inniger und stärker in Gottes Armen.

Um Christus ähnlich zu werden, muß das Herz ganz frei von Anhänglichkeiten sein. Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und so folge er mir. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Denn was nutzt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber dabei seine Seele verliert? (Mt 16,24-26)Dazu sagt der heilige Gregor: Es genügt nicht, von den Dingen losgelöst zu leben, wenn wir uns außerdem nicht von uns selbst loslösten. Aber () wohin werden wir uns dann außerhalb von uns wenden? Und wer wird verzichten, wenn dies bedeutet, zu entsagen?

Wisset aber: Eine ist unsere Lage als wegen der Sünde Gefallene, und eine andere als von Gott Gebildete. Nach einer bestimmten Verfassung sind wir erschaffen worden, in einer anderen Verfassung befinden wir uns, durch uns selbst verursacht. Entsagen wir also dem, was wir durch unsere Sünden geworden sind, und verbleiben wir so, wie wir durch die Gnade verfaßt sind. Jener, der als Hochmütiger geboren, zu einem Demütigen wird, indem er sich zu Christus bekehrt, hat sich bereits selbst überwunden; jener, der ein Wollüstiger war und sich zu einem Leben der Enthaltsamkeit bekehrt, hat dem entsagt, was er früher war; jener, der geizig war und nicht mehr begehrt, sondern beginnt, mit seinem Eigenen freigebig zu sein, statt daß er sich fremdes Eigentum aneignet, hat sich gewiß selbst überwunden (Gregor der Große, Homiliae in Evangelia, 32, 2 (PL 76, 1233]).

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