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Heute und gestern

Die Liturgie des Palmsonntag legt den Christen diesen Gesang in den Mund: Weitet euch, ihr Tore, erhebt euch, ihr alten Pforten, daß einziehen kann der König der Herrlichkeit (Antiphon zur Austeilung der Zweige). Wer sich in der Bastion seines Egoismus verschanzt, wird nicht das Schlachtfeld suchen. Wenn er freilich die Tore öffnet und den König des Friedens einläßt, wird er gemeinsam mit Ihm den Kampf aufnehmen gegen alles Erbärmliche, das den Blick trübt und das Gewissen stumpf macht.

Öffnet die alten Pforten. Diese Aufforderung zum Kampf ist nichts Neues im Christentum. Es ist die ewige Wahrheit. Ohne Kampf kein Sieg. Ohne Sieg kein Frieden. Und ohne Frieden ist die Freude des Menschen nur Schein und Trug; sie bleibt unfruchtbar, sie drängt nicht dazu, den Menschen zu helfen, Werke der Liebe zu tun und der Gerechtigkeit, des Verzeihens und Erbarmens, des Dienens vor Gott.

Heute gewinnt man den Eindruck, daß viele, innerhalb wie außerhalb der Kirche, oben wie unten, zu kämpfen aufgehört haben, den persönlichen Krieg gegen das eigene Versagen eingestellt und sich in voller Waffenrüstung der Knechtschaft ausgeliefert haben, die die Seele erniedrigt. Diese Gefahr droht uns Christen immer.

Deshalb tut es not, die Allerheiligste Dreifaltigkeit inständig zu bitten, Sie möge sich unser aller erbarmen. Wenn ich von diesen Dingen spreche, erzittere ich beim Gedanken an die Gerechtigkeit Gottes. Doch ich nehme meine Zuflucht zu seiner Barmherzigkeit und seinem Erbarmen, damit Er nicht auf unsere Sünden schaue, sondern auf die Verdienste Christi und seiner heiligen Mutter - die auch unsere Mutter ist - und auf die Verdienste des heiligen Josef, der Ihm Vater war, und die Verdienste aller Heiligen.

Am heutigen Fest lesen wir in den Meßtexten, daß Gott den Christen bei der Hand nimmt. Wir alle können in dieser Gewißheit leben, wenn wir nur bereit sind zu kämpfen. Jesus, der auf einem armseligen Esel in Jerusalem einzieht, Er, der König des Friedens, hat gesagt: Das Himmelreich erleidet Gewalt, und die Gewalt gebrauchen, reißen es an sich (Mt 11,12). Diese Gewalt ist nicht gegen andere gerichtet. Sie ist die Stärke im Kampf gegen die eigenen Schwächen und Erbärmlichkeiten, der Mut, die persönlichen Treulosigkeiten nicht zu vertuschen, und die Kühnheit, den Glauben auch in feindseliger Umgebung zu bekennen.

Heute wie gestern wird vom Christen erwartet, daß er heroisch lebt. Heroisch, wenn es nötig ist, in den großen Kämpfen. Heroisch - und das wird das Normale sein - in den kleinen, alltäglichen Dingen. Wenn wir ohne Unterlaß kämpfen, aus Liebe und in dem, was scheinbar bedeutungslos ist, dann wird der Herr seinen Kindern zur Seite stehen wie ein liebevoller Hirte: Ich selbst werde meine Schafe weiden, ich selbst lasse sie lagern. Das Verirrte werde ich suchen, das Versprengte heimführen, das Verletzte verbinden, das Kranke stärken… Sie werden auf ihrer Heimatscholle in Sicherheit wohnen und erkennen, daß ich der Herr bin, wenn ich die Stangen ihres Joches zerbreche und sie aus der Gewalt derer befreie, die sie geknechtet haben (Ez 34,15-16; 27)

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