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Es gibt 8 Nummer in «Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer» deren Stichwort lautet Christliches Leben  → inmitten der Welt.

Das Opus Dei spielt eine wichtige Rolle im derzeitigen Entwicklungsprozeß des Laienstandes. Wir möchten Sie deshalb an erster Stelle fragen, welches nach Ihrer Meinung die wichtigsten Merkmale dieses Prozesses sind?

Es ist immer meine Auffassung gewesen, daß das Bewußtsein von der Würde der christlichen Berufung das grundlegende Merkmal im Entwicklungsprozeß des Laienstandes ist. Der Anruf Gottes, das Siegel der Taufe und die Gnade bewirken, daß jeder Christ den Glauben voll und ganz verwirklichen kann und muß. Jeder Christ muß unter den Menschen alter Christus, ipse Christus (ein anderer Christus, Christus selbst) sein. Der Heilige Vater hat es unmißverständlich ausgesprochen: "Wir müssen der Tatsache, daß wir getauft und durch dieses Sakrament dem mystischen Leibe Christi, der Kirche, eingepflanzt sind, ihre volle Bedeutung wiedergeben. (…) Das Christsein, der Empfang der Taufe, darf nicht als etwas Gleichgültiges angesehen werden, das keine besondere Beachtung verdient; es muß tief und beglückend das Bewußtsein des Getauften prägen." (Ecclesiam suam, Teil I).

Welche Aufgabe hat das Opus Dei bisher verwirklicht und welche verwirklicht es heute? In welcher Form arbeiten die Mitglieder mit anderen Vereinigungen auf diesem Gebiet zusammen?

Es steht mir nicht zu, ein historisches Urteil über das abzugeben, was das Opus Dei bisher mit der Gnade Gottes gewirkt hat. Ich möchte nur betonen, daß das ganze Bemühen des Opus Dei dahin geht, das Streben nach Heiligkeit und die Ausübung des Apostolates durch die Christen, die in der Welt leben, zu fördern, gleich welchem Stande oder Beruf sie angehören.

Diese Christen sind durch ihre familiären, freundschaftlichen und beruflichen Bande sowie durch ihr berechtigtes Streben in der Gesellschaft verwurzelt. Um zu dem Verständnis beizutragen, daß ihr Leben, so wie es ist, Anlaß zu einer Begegnung mit Christus, das heißt zu einem Weg der Heiligkeit und des Apostolates werden kann - dazu ist das Werk entstanden. Christus ist in jeder rechtschaffenen menschlichen Tätigkeit zugegen. Das Leben eines einfachen Christen, das manchem gewöhnlich und mittelmäßig vorkommen mag, kann und muß ein heiliges und heiligendes Leben sein.

Mit anderen Worten: Um Christus zu folgen, um der Kirche zu dienen, um den anderen Menschen zu helfen, daß sie ihre ewige Bestimmung erkennen, braucht man nicht die Welt zu verlassen oder sich von ihr zu entfernen. Es ist auch nicht nötig, sich einer kirchlichen Aufgabe zu widmen. Die notwendige und hinreichende Bedingung dafür ist, die Aufgaben, die Gott für jeden einzelnen vorgesehen hat, an der von Ihm gewollten Stelle und in der von Ihm bestimmten Umgebung zu erfüllen.

Da nun die Mehrzahl der Christen von Gott den Auftrag empfängt, die Welt von innen her zu heiligen und dabei in den zeitlichen Gegebenheiten zu verbleiben, hilft das Opus Dei ihnen, diesen göttlichen Auftrag zu entdecken, indem es ihnen zeigt, daß die menschliche Berufung - im Beruf, in der Familie und in der Gesellschaft - der übernatürlichen Berufung nicht entgegensteht, sondern ganz im Gegenteil deren fester Bestandteil ist.

Einzige und ausschließliche Aufgabe des Opus Dei ist die Verbreitung dieser Botschaft des Evangeliums unter allen Menschen, die in der Welt leben und arbeiten, gleich in welcher Umgebung und in welchem Beruf. Allen, die dieses Ideal der Heiligkeit verstehen, gibt das Werk die geistlichen Mittel und die lehrmäßige, asketische und apostolische Ausbildung, die notwendig sind, um es dann im eigenen Leben zu verwirklichen.

Die Mitglieder des Opus Dei handeln nicht gruppenweise, sondern einzeln, in persönlicher Freiheit und Verantwortung. Gerade aus diesem Grunde ist das Werk keine geschlossene Organisation, und es vereinigt in keiner Weise seine Mitglieder, um sie von den anderen Menschen abzukapseln. Die korporativen Werke, übrigens die einzigen Unternehmungen, die das Opus Dei leitet, stehen allen Menschen offen, ohne daß Unterschiede gesellschaftlicher, kultureller oder religiöser Art gemacht würden. Und gerade weil die Mitglieder sich in der Welt heiligen müssen, arbeiten sie mit allen Menschen zusammen, mit denen sie durch ihre Arbeit oder durch ihre Teilnahme am bürgerlichen Leben verbunden sind.

Erscheint es Ihnen demnach wichtig, die Kinder von klein auf zur Frömmigkeit zu erziehen? Sind Sie der Ansicht, daß man in der Familie einige Frömmigkeitsübungen pflegen sollte?

Mir scheint, daß gerade dies der beste Weg ist, um den Kindern eine echt christliche Erziehung mitzugeben. Die Heilige Schrift berichtet uns von den Familien der ersten Christen - Hausgemeinden (1 Kor 16,19) nennt sie der heilige Paulus -, denen das Licht des Evangeliums neuen Auftrieb und neues Leben verlieh.

In jedem christlichen Milieu hat man mit dieser natürlichen und übernatürlichen Einführung in das Leben der Frömmigkeit innerhalb der Familie ausgezeichnete Erfahrungen gemacht. Das Kind lernt, seine erste tiefe Zuneigung Christus zu schenken, es lernt, Gott wie einen Vater und Maria wie eine Mutter zu behandeln; mit einem Wort: es lernt beten, indem es einfach dem Beispiel seiner Eltern folgt. Wenn man das sieht, begreift man, wie wichtig die apostolische Aufgabe der Eltern ist, und wie sehr sie verpflichtet sind, selbst aufrichtig fromm zu sein, damit sie ihren Kindern diese Frömmigkeit nicht nur erklären, sondern vorleben können.

Sie fragen nach den Mitteln? Es gibt einige wenige, wie mir scheint ausgezeichnete, kurze und althergebrachte Frömmigkeitsübungen, die in den christlichen Familien immer gelebt worden sind: das Tischgebet, der gemeinsame Rosenkranz - obgleich heutzutage manche diese bewährte Form der Marienverehrung angreifen -, die persönlichen Morgen- und Abendgebete. Je nach der Gegend werden die Gewohnheiten verschieden sein, aber ich denke, daß die eine oder andere einfach, schlicht und ohne Frömmelei gemeinsam verrichtete Frömmigkeitsübung in jeder Familie ihren Platz haben sollte.

Auf diese Weise werden wir erreichen, Gott nicht als einen Fremden zu betrachten, den man einmal in der Woche, am Sonntag, in der Kirche aufsucht, sondern wir werden lernen, ihn so zu sehen und mit ihm umzugehen, wie es sein soll. Dann findet man ihn auch inmitten der Familie, denn schließlich hat er selbst gesagt: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen (Mt 18,20).

Mit Dankbarkeit und mit dem Stolz eines Kindes kann ich sagen, daß ich auch heute noch morgens und abends laut die Gebete verrichte, die ich als Kind von meiner Mutter lernte. Sie führen mich zu Gott und erinnern mich daran, mit wieviel Liebe man mir bei den ersten Schritten auf meinem Weg als Christ half. Und wenn ich Gott den beginnenden Tag aufopfere oder ihm für den vergangenen danke, bitte ich ihn um die ewige Herrlichkeit derer, die ich besonders liebe, und darum, daß er uns später für immer bei sich vereinen möge.

Bisher haben wir über die Zeit vor der Ehe gesprochen. Gehen wir nun auf einige Probleme der Ehe selbst ein. Welche Ratschläge würden Sie einer verheirateten Frau geben, damit ihre Ehe auch nach vielen Jahren noch glücklich bleibt und sich nicht die Eintönigkeit einschleicht? Vielleicht erscheint diese Frage auf den ersten Blick nicht so wichtig, aber unsere Zeitschrift erhält gerade diesbezüglich viele Zuschriften.

Ich halte diese Frage tatsächlich für sehr wichtig, und deshalb sollte man auch das, was sich als mögliche Lösung anbietet, ernst nehmen, selbst wenn es sich dem Anschein nach nur um Bagatellen handelt.

Damit die ursprüngliche eheliche Liebe erhalten bleibt, muß die Frau sich bemühen, ihren Mann Tag für Tag von neuem für sich zu gewinnen; und das gleiche gilt für den Ehemann gegenüber seiner Frau. Die Liebe muß jeden Tag neu erobert werden, und sie wird erobert mit Opfer, mit einem Lächeln und auch mit einer guten Dosis einfühlsamer Klugheit. Wen kann es wundern, daß der Ehemann am Ende die Geduld verliert, wenn er erschöpft von der Arbeit nach Hause kommt und die Frau pausenlos auf ihn einzureden beginnt, um ihm haarklein alles zu erzählen, was ihrer Meinung nach schiefgegangen ist. Die weniger angenehmen Dinge kann man auch für einen günstigeren Augenblick aufsparen, in dem der Ehemann ausgeruht und aufnahmebereiter ist.

Eine weitere Kleinigkeit ist die Pflege der äußeren Erscheinung. Sollte ein Geistlicher das Gegenteil behaupten, so würde ich ihn für einen schlechten Ratgeber halten. Je mehr die Frau, die in der Welt lebt, spürt, daß sie anfängt alt zu werden, um so wichtiger ist es für sie, nicht nur auf die Vertiefung des Gebetslebens zu achten, sondern sich auch - und gerade deswegen - um eine gepflegte äußere Erscheinung zu bemühen, selbstverständlich immer im Einklang mit dem Alter und den persönlichen Gegebenheiten. Je älter die Fassade wird, sage ich manchmal im Scherz, um so dringender bedarf sie des Anstrichs. Das ist ein priesterlicher Rat. Ein altes spanisches Sprichwort sagt: Eine gepflegte Frau hält ihren Mann von fremden Türen ab.

Ja ich wage zu behaupten, daß an einer möglichen Untreue des Ehemannes zu einem großen Teil die eigene Frau schuld ist, weil sie es nicht versteht, ihren Mann jeden Tag von neuem für sich zu gewinnen. Die Aufmerksamkeit der verheirateten Frau muß sich in erster Linie auf ihren Mann und ihre Kinder richten; so wie die des Mannes auf seine Frau und die Kinder. Und das erfordert Zeit und Mühe, damit es richtig angegangen wird und gelingen kann. Nichts, was dieser Aufgabe entgegensteht, kann gut sein.

Von dieser liebenswerten Pflicht entbindet keine Entschuldigung, weder die Arbeit außerhalb des Hauses noch die eigene Frömmigkeit; wenn diese sich nicht mit den Pflichten des Alltags vereinbaren läßt, taugt sie zu nichts und mißfällt Gott. Die Ehefrau muß sich an erster Stelle ihrem Haushalt und ihrer Familie widmen. Ich erinnere mich da an ein Volkslied meiner Heimat, in dem es heißt: Die Frau, der das Essen anbrennt, weil sie zur Kirche geht, ist zwar zur Hälfte ein Engel, doch Teufel zum anderen Teil. Mir scheint sie ganz "Teufel" zu sein.

Im Laufe dieses Interviews haben Sie zu wichtigen Aspekten des menschlichen Lebens und besonders zur Rolle der Frau Stellung genommen und dabei klargestellt, wie sie im Geist des Opus Dei gewertet werden. Könnten Sie uns zum Abschluß sagen, wie man sich eine Mitwirkung der Frau im Leben der Kirche zu denken hat?

Bei der Beantwortung dieser Frage fühle ich mich - entgegen meiner sonstigen Gewohnheit - versucht, polemisch zu werden. Das Wort "Kirche" wird nämlich in diesem Zusammenhang nicht selten mit einem klerikalen Akzent versehen und als Synonym für etwas gebraucht, das dem Klerus und der kirchlichen Hierarchie zugeordnet ist. Und so versteht man unter Teilnahme am Leben der Kirche ausschließlich oder zumindest in erster Linie die Mitarbeit in der Pfarrei, in Vereinigungen, die von der Hierarchie ins Leben gerufen wurden, im aktiven Mitwirken bei liturgischen Feiern und dergleichen.

Wer so denkt, vergißt in der Praxis, auch wenn er es theoretisch noch so laut verkündet, daß Kirche die Ganzheit des Volkes Gottes, die Gemeinschaft aller Christen meint, und daß Kirche deshalb überall dort gegenwärtig ist, wo ein Christ sich darum bemüht, dem Namen Jesu Christi entsprechend zu leben.

Damit möchte ich keinesfalls den Wert der Arbeit herabmindern, die die Frau im Leben kirchlicher Organisationen zu leisten vermag; ich halte ihre Mitwirkung im Gegenteil für unentbehrlich. Schließlich habe ich mein ganzes Leben dafür eingesetzt, die christliche Berufung des Laien, die Berufung jener Männer und Frauen, die ein gewöhnliches Leben mitten in der Welt führen, in ihrer ganzen Fülle und Weite zu verteidigen und die theologische und juristische Anerkennung ihres Auftrages in der Kirche zu erreichen.

Ich möchte hier nur darauf aufmerksam machen, daß es Leute gibt, die das Feld dieses Mitwirkens im Leben der Kirche in ungerechtfertigter Weise einschränken; und ebenso möchte ich daran erinnern, daß der gewöhnliche Christ, Mann oder Frau, seine spezifische Aufgabe - auch diejenige, die ihm innerhalb des ekklesialen Ordnungsgefüges zukommt - nur dann zu erfüllen vermag, wenn er sich nicht klerikalisiert, sondern wirklich säkular, welthaft bleibt und als gewöhnlicher Mensch mitten in der Welt lebt und sich den Aufgaben der Welt stellt.

Die Aufgabe der Millionen Christen in der ganzen Welt besteht darin, Christus in alle menschlichen Tätigkeiten hineinzutragen, indem sie mit ihrem Leben davon Zeugnis geben, daß Gott alle Menschen liebt und das Heil aller will. Die beste und die wichtigste Art, am Leben der Kirche Anteil zu nehmen, ist daher, dort ganz Christ zu sein, wo das Leben uns hingestellt hat; das ist zugleich die Vorbedingung für jede andere Form der Mitarbeit.

Mich begeistert der Gedanke an so viele Christen, Männer und Frauen, die in aller Schlichtheit ihr alltägliches Leben führen, und dort - vielleicht sogar, ohne es sich besonders vorgenommen zu haben - mit allen Kräften danach streben, den Willen Gottes zu erfüllen. In diesen Christen das Bewußtsein für die Erhabenheit ihres Lebens zu wecken, ihnen zu zeigen, daß das scheinbar Bedeutungslose einen Wert für die Ewigkeit besitzt, und sie zu lehren, aufmerksamer auf die Stimme Gottes zu horchen, die aus den konkreten Umständen und Ereignissen des Lebens zu ihnen spricht, das ist es, was der Kirche heute dringend nottut, das ist es, wozu Gott sie drängt.

Die Aufgabe des Christen besteht darin, die ganze Welt von innen her zu verchristlichen und so zu zeigen, daß Jesus Christus die ganze Welt erlöst hat. Und an dieser Aufgabe nimmt die Frau sowohl in der Familie als auch in jeder anderen Tätigkeit, die sie ausübt, ihrer Wesensart entsprechend teil.

Das Entscheidende ist, daß die Frau auf Gott hin lebt und wie Maria, die Jungfrau und Mutter, das fiat mihi secundum verbum tuum (Lk 1,38) spricht - mir geschehe nach deinem Wort. Denn davon hängt die Treue zu unserer persönlichen Berufung ab, die uns auf eine einmalige und unverwechselbare Art zu Mitarbeitern des Heilswerkes macht, das Gott in uns und in der ganzen Welt verwirklicht.

Gerade habt ihr die feierliche Lesung von zwei Stellen aus der Heiligen Schrift vernommen, die zum Meßformular des 21. Sonntags nach Pfingsten gehören. Durch das Hören des Wortes Gottes habt ihr euch bereits in den Bereich hineinversetzt, in dem sich meine Worte an euch bewegen möchten. Es sind Worte eines Priesters an eine große Familie von Kindern Gottes in der heiligen Kirche, Worte also, die übernatürlich sein sollen, die von der Größe Gottes und der Größe seines Erbarmens zu den Menschen sprechen und euch auf die eindrucksvolle Eucharistiefeier vorbereiten sollen, die wir heute auf dem Campus der Universität begehen.

Betrachtet einen Augenblick diese Tatsache, die ich gerade erwähnt habe. Wir feiern jetzt die heilige Eucharistie, das sakramentale Opfer des Leibes und Blutes des Herrn, jenes Geheimnis des Glaubens, das alle Geheimnisse des Christentums in sich vereint. Wir feiern die heiligste und erhabenste Handlung, die wir Menschen - dank der Gnade Gottes - in diesem Leben zu vollziehen vermögen. Denn wenn wir den Leib und das Blut des Herrn empfangen, dann entledigen wir uns dadurch in gewisser Weise bereits der Fesseln von Raum und Zeit und vereinigen uns mit Gott im Himmel, wo Christus selbst jede Träne unserer Augen trocknen wird, wo der Tod nicht mehr sein wird, noch Trauer, noch Klagen, denn die alte Welt ist ja vergangen (Offb. 21,4).

Diese tiefe und so tröstliche Wahrheit, der eschatologische Sinn der Eucharistie, wie die Theologen zu sagen pflegen, kann jedoch auch mißverstanden werden. Und in der Tat geschieht das immer dann, wenn man versucht, das christliche Leben rein geistig oder, besser gesagt, rein spiritualistisch aufzufassen; als ein Leben, das nur für jene makellosen, außergewöhnlichen Menschen bestimmt ist, die sich nicht mit den niedrigen Dingen dieser Welt einlassen oder sie allenfalls dulden als jenen Gegensatz zum Leben des Geistes, der nun einmal unvermeidlich ist, solange wir noch auf Erden weilen.

Bei einer solchen Sicht der Dinge wird das Gotteshaus zum einzig wahren Standort des christlichen Lebens. Christsein bedeutet dann, zur Kirche zu gehen, an sakralen Zeremonien teilzunehmen und sich in einer kirchlich geprägten Umgebung abzukapseln, in einer isolierten Welt, die sich als Vorhalle des Himmels darstellt, während die gewöhnliche Welt draußen ihre eigenen Wege geht. Die Lehre des Christentums und das Leben der Gnade würden so den mühsamen Gang der menschlichen Geschichte allenfalls streifen, ihm jedoch niemals wirklich begegnen.

Während wir uns an diesem Oktobermorgen darauf vorbereiten, das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung des Herrn zu feiern, wollen wir dieser verfälschten Form des Christentums ein klares Nein entgegensetzen. Achtet für einen Augenblick auf den äußeren Rahmen unserer Eucharistie, unserer Danksagung: Wir befinden uns in einem einzigartigen Gotteshaus: Das Kirchenschiff ist der Campus der Universität, das Altarbild die Universitätsbibliothek, dort stehen die Maschinen zur Errichtung neuer Gebäude, und über uns wölbt sich der Himmel von Navarra…

Bestätigt euch dieses Bild nicht in klarer und unvergeßlicher Weise, daß das alltägliche Leben der wahre Ort eurer christlichen Existenz ist? Dort, unter euren Mitmenschen, in euren Mühen, eurer Arbeit und eurer Liebe, dort ist der eigentliche Ort eurer tagtäglichen Begegnung mit Christus. Dort, inmitten der durch und durch materiellen irdischen Dinge müssen wir uns bemühen, heilig zu werden, indem wir Gott und allen Menschen dienen.

Ich werde nicht müde, diese Lehre der Heiligen Schrift zu wiederholen: Die Welt ist nicht schlecht, denn sie ist aus den Händen Gottes hervorgegangen. Sie ist Gottes Werk, und Gott betrachtete sie und sah, daß sie gut war (Gen 1,7ff. ). Wir Menschen mit unseren Sünden und Treulosigkeiten sind es, die sie schlecht und häßlich machen. Zweifelt nicht daran: Für euch, Männer und Frauen der Welt, steht jede Flucht vor den ehrbaren Wirklichkeiten des alltäglichen Lebens im Gegensatz zum Willen Gottes.

Macht euch in dieser Stunde mit neuer Klarheit bewußt, daß Gott euch aufruft, ihm gerade in den materiellen, weltlichen Aufgaben des menschlichen Lebens und aus ihnen heraus zu dienen. Im Labor, im Operationssaal eines Krankenhauses, in der Kaserne, auf dem Lehrstuhl einer Universität, in der Fabrik, in der Werkstatt, auf dem Acker, im Haushalt, in diesem ganzen, unendlichen Feld der menschlichen Arbeit wartet Gott Tag für Tag auf uns. Seid davon überzeugt: Jede noch so alltägliche Situation birgt etwas Heiliges, etwas Göttliches in sich, und euch ist aufgegeben, das zu entdecken.

Den Studenten und Arbeitern, die ich in den dreißiger Jahren um mich sammelte, pflegte ich zu sagen, sie müßten lernen, das geistliche Leben zu materialisieren. Ich wollte sie damit vor der damals wie heute so häufigen Versuchung bewahren, eine Art Doppelleben zu führen: auf der einen Seite das Innenleben, der Umgang mit Gott, und auf der anderen Seite, säuberlich getrennt davon, das familiäre, berufliche und soziale Leben, ein Leben voll irdischer Kleinigkeiten.

Nein! Es darf kein Doppelleben geben. Wenn wir Christen sein wollen, können wir diese Art von Bewußtseinsspaltung nicht mitmachen; denn es gibt nur ein einziges Leben, welches aus Fleisch und Geist besteht, und dieses einzige Leben muß an Leib und Seele geheiligt und von Gott erfüllt werden, dem unsichtbaren Gott, dem wir in ganz sichtbaren und materiellen Dingen begegnen.

Es gibt keinen anderen Weg. Entweder lernen wir, den Herrn in unserem alltäglichen Leben zu entdecken, oder wir werden ihn niemals finden. Es tut unserer Zeit not, der Materie und den ganz gewöhnlich erscheinenden Situationen ihren edlen, ursprünglichen Sinn zurückzugeben, sie in den Dienst des Reiches Gottes zu stellen und sie dadurch, daß sie zum Mittel und zur Gelegenheit unserer ständigen Begegnung mit Jesus Christus werden, zu vergeistigen.

Diese Lehre der Heiligen Schrift, die, wie ihr wißt, zum Kern der Spiritualität des Opus Dei gehört, muß euch dazu führen, eure Arbeit so vollkommen wie möglich zu verrichten, Gott und eure Mitmenschen gerade dadurch zu lieben, daß ihr in die Kleinigkeiten des Alltags Liebe hineinlegt. So werdet ihr die Spur des Göttlichen entdecken, die in den kleinen Dingen verborgen liegt. Wie treffend sind jene Verse des Dichters: Despacito, y buena letra: / el hacer las cosas bien / importa más que el hacerlas (Wohlgesetzt und ohne Hast; es geht ums Tun, gut getan. A. Machado, "Poesias completas" CL VI. -Proverbios y cantares XXIV. Espasa-Calpe, Madrid 1940).

Ich versichere euch, wenn ein Christ die unbedeutendste Kleinigkeit des Alltags mit Liebe verrichtet, dann erfüllt sich diese Kleinigkeit mit der Größe Gottes. Das ist der Grund, warum ich immer und immer wieder betone, daß die christliche Berufung darin besteht, aus der Prosa des Alltags epische Dichtung zu machen. Himmel und Erde scheinen sich am Horizont zu vereinigen; aber nein, in euren Herzen ist es, wo sie eins werden, wenn ihr heiligmäßig euren Alltag lebt…

Heiligmäßig euren Alltag leben - mit diesen Worten meine ich die ganze Breite eures christlichen Schaffens. Laßt falschen Idealismus, Träume und Phantastereien beiseite, laßt beiseite alles, was ich Blechmystik (S. Anm.) zu nennen pflege: wenn ich doch ledig geblieben wäre, wenn ich doch einen anderen Beruf gewählt hätte, wenn ich doch eine bessere Gesundheit besäße, wenn ich noch jung wäre, wenn ich doch schon alt wäre…! Haltet euch vielmehr nüchtern an die ganz materielle und unmittelbare Wirklichkeit, denn dort ist der Herr: Seht meine Hände und meine Füße; ich bin es, sagt Jesus nach seiner Auferstehung. Rührt mich an und überzeugt euch: Ein Geist hat ja nicht Fleisch und Bein, wie ihr es an mir seht (Lk 24,39).

Wie viele Bereiche eures Lebens werden durch diese Wahrheit erhellt. Denkt zum Beispiel an euer Verhalten als Staatsbürger im öffentlichen Leben. Wer davon überzeugt ist, daß die Welt - und nicht nur das Gotteshaus - der Ort seiner Begegnung mit Christus ist, der liebt diese Welt wirklich; er bemüht sich um eine gute wissenschaftliche und berufliche Ausbildung, bildet sich in voller Freiheit seine eigene Meinung über die Probleme, die ihm begegnen, und trifft dementsprechend auch seine persönlichen Entscheidungen. Als Christ wird er seinen Entscheidungen eine persönliche Besinnung vorausgehen lassen, in der er sich demütig darum bemüht, den Willen Gottes in den kleinen und großen Ereignissen seines Lebens zu erkennen.