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Es gibt 3 Nummer in «Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer» deren Stichwort lautet Einheit → familiär.

Ein beständiger häuslicher Friede gehört zu den wesentlichen Gütern der Familie. Unglücklicherweise kommt es aber nicht selten vor, daß sich eine Familie verschiedener politischer oder sozialer Ansichten wegen entzweit. Wie kann man diese Konflikte Ihrer Meinung nach überwinden?

Hier gibt es nur eine einzige Antwort: miteinander auskommen, einander verstehen, einander verzeihen. Die Tatsache, daß irgend jemand anders denkt als ich, gibt mir keineswegs das Recht, ihm gegenüber eine feindselige oder auch nur eine kalte und gleichgültige Haltung einzunehmen; und das schon gar nicht, wenn es sich um Dinge handelt, über die man sehr wohl verschiedener Meinung sein kann. Mein christlicher Glaube fordert von mir, die Nächstenliebe allen Menschen gegenüber zu leben, auch gegenüber denen, die nicht die Gnade haben, an Christus zu glauben. Um wieviel mehr muß die Nächstenliebe dann in den Meinungsverschiedenheiten über relative Fragen das Verhältnis zwischen Menschen bestimmen, die das gleiche Blut und die gleiche Glaubensüberzeugung eint. Darüber hinaus ist der liebevolle Umgang miteinander ein gutes Mittel, um in diesen Fragen, in denen keiner behaupten kann, allein die ganze Wahrheit zu besitzen, von den anderen zu lernen, und außerdem können immer auch die anderen, wenn sie wollen, von denen etwas lernen, mit denen sie zusammenleben.

Weder vom christlichen noch vom allgemein menschlichen Standpunkt aus ist es zu verstehen, daß eine Familie sich wegen solcher Meinungsverschiedenheiten entzweit. Wenn man wirklich den hohen Wert der Freiheit ganz begriffen hat und dieses Geschenk Gottes leidenschaftlich liebt, dann liebt man auch den Pluralismus, den die Freiheit mit sich bringt.

Als Beispiel kann ich vielleicht erwähnen, wie diese Haltung im Opus Dei gelebt wird, das ja eine große, durch dasselbe geistliche Ziel geeinte Familie darstellt. In allem, was nicht Glaubensgegenstand ist, denkt und handelt jeder im Werk, wie er will, in vollkommener persönlicher Freiheit und Eigenverantwortung. Der Pluralismus, der sich logisch und soziologisch aus dieser Haltung ergibt, ist für das Werk nicht nur kein Problem, sondern ein Ausdruck guten Geistes. Gerade weil der Pluralismus nicht gefürchtet, sondern als eine legitime Folge der persönlichen Freiheit geliebt wird, sind die verschiedenen Meinungen unter den Mitgliedern des Opus Dei kein Hindernis für gegenseitiges Verstehen im Geiste feinfühliger Nächstenliebe. Immer wieder kommen wir auf das gleiche Thema zurück: Freiheit und Liebe. Und das ist logisch, denn das einzig Ausschlaggebende ist, in der Freiheit zu leben, die Christus uns erworben, und die Liebe zu verwirklichen, die er uns als neues Gebot hinterlassen hat.

Ich möchte beim Thema der Familie bleiben und näher auf die Erziehung der Kinder und ihr Verhältnis zu den Eltern eingehen. Die Wandlungen, die die Familie heute durchmacht, erschweren nicht selten das gegenseitige Verständnis und führen zum sogenannten Generationenkonflikt. Wie kann man diese Schwierigkeit überwinden?

Das Problem ist nicht neu, wenn es sich auch heute wegen der überstürzten Entwicklung unserer Gesellschaft häufiger und mit größerer Schärfe stellen mag. Es ist selbstverständlich und durchaus natürlich, daß Jugendliche und Erwachsene die Dinge auf verschiedene Weise sehen; das ist immer so gewesen. Überraschend wäre es, wenn ein Heranwachsender genauso denken würde wie ein erwachsener Mensch. Wir alle haben gegen die Erwachsenen aufbegehrt, als wir begannen, unabhängig zu denken. Und alle haben wir im Laufe der Jahre begriffen, daß unsere Eltern in vielen Fragen, die sie aus ihrer Erfahrung und ihrer Liebe zu uns heraus beurteilten, recht hatten. Deshalb ist es an erster Stelle Sache der Eltern, die ja auch einmal ähnliches erlebt haben, mit Anpassungsfähigkeit und heiterer Gelassenheit das Verständnis füreinander zu erleichtern und mit intelligenter Liebe mögliche Konflikte zu vermeiden.

Ich rate den Eltern immer, sich die Freundschaft ihrer Kinder zu gewinnen. Die für die Erziehung notwendige elterliche Autorität ist durchaus vereinbar mit einer echten Freundschaft, die verlangt, daß man sich auch mit den Kindern auf eine Ebene zu stellen vermag. Auch wenn sie scheinbar noch so rebellisch und eigenwillig sind, sehnen sich die Kinder im Grunde immer nach einem offenen, brüderlichen Verhältnis zu ihren Eltern. Der Schlüssel dazu liegt im gegenseitigen Vertrauen. Es setzt voraus, daß die Eltern ihre Kinder in einem Klima der Offenheit zu erziehen wissen und ihnen gegenüber niemals den Eindruck des Mißtrauens erwecken, daß sie den Kindern Freiheit lassen und sie lehren, ihre Freiheit eigenverantwortlich zu gebrauchen. Es ist besser, die Eltern lassen sich einmal hintergehen, als daß sie Mißtrauen zeigen. Die Kinder gestehen sich selbst beschämt ein, das Vertrauen ihrer Eltern mißbraucht zu haben, und bessern ihr Verhalten. Läßt man ihnen dagegen keine Freiheit, und spüren sie, daß man ihnen mißtraut, bedeutet das für sie einen ständigen Anreiz zur Unaufrichtigkeit.

Diese elterliche Freundschaft, die sich mit den Kindern auf eine Ebene zu stellen weiß und eine vertrauensvolle Aussprache über ihre kleinen Nöte erleichtert, ermöglicht außerdem - und das scheint mir von großer Bedeutung zu sein -, daß es die Eltern selbst sind, die ihren Kindern schrittweise den Ursprung des Lebens erklären, indem sie sich ihrer Mentalität und ihrer Auffassungsgabe anpassen und behutsam dem jeweiligen natürlichen Wissensdrang zuvorkommen. Man muß unbedingt vermeiden, daß die Kinder den Bereich des Geschlechtlichen wie durch einen Schleier der Bosheit gewahren, weil sie in etwas so Edles und Heiliges durch die schmutzige Bemerkung eines Freundes oder einer Freundin eingeführt worden sind. Hier bietet sich den Eltern eine wichtige Möglichkeit, um das freundschaftliche Vertrauensverhältnis zu ihren Kindern zu festigen und eine Entfremdung beim Erwachen des sittlichen Bewußtseins zu verhindern.

Die Eltern müssen versuchen, sich ein jugendliches Herz zu bewahren; dann wird es ihnen leichter fallen, die echten Anliegen, aber auch die Extravaganzen der jungen Leute mit Sympathie aufzunehmen. Das Leben ändert sich, und es gibt viel Neues, das uns vielleicht nicht zusagt. Möglicherweise ist es auch gar nicht besser als das Althergebrachte. Aber das heißt nicht, daß es schlecht ist; es handelt sich einfach um den Ausdruck eines anderen Lebensstils und besitzt keine weiterreichende Bedeutung. Oftmals entstehen Konflikte nur, weil man Kleinigkeiten allzu tragisch nimmt, die sich mit etwas Weitblick und Sinn für Humor leicht hätten überwinden lassen.

Aber nicht alles hängt von den Eltern ab. Auch die Kinder haben das ihre beizutragen. Die Jugend ist immer fähig gewesen, sich für hohe Ideale, für alles Große und Echte zu begeistern. Man sollte ihr helfen, die schlichte, unter alltäglicher Selbstverständlichkeit verborgene Größe im Leben ihrer Eltern entdecken zu lernen, und ihr - ohne lästig zu fallen - die Augen dafür öffnen, daß das Wohl der Familie ihren Eltern nicht selten heroische Hingabe und Selbstverleugnung abverlangt. Die Kinder müssen auch lernen, die Lage nicht zu dramatisieren und nicht die Unverstandenen zu spielen. Schließlich dürfen sie nicht vergessen, daß sie immer in der Schuld ihrer Eltern stehen werden und daß sie zumindest mit Verehrung und kindlicher, dankbarer Liebe antworten müßten.

Aber seien wir ehrlich, die Einigkeit in der Familie ist der Normalfall. Sicher kommt es zu Reibereien und Auseinandersetzungen, aber das ist selbstverständlich und gibt sogar gewissermaßen unserem Alltag die Würze. Diese Belanglosigkeiten verschwinden mit der Zeit, und übrig bleibt das einzig Dauerhafte: eine echte, ungeheuchelte, aufopferungsvolle Liebe, die dazu führt, sich umeinander zu kümmern, die kleinen Sorgen der anderen zu bemerken und sie auf feinfühlige Art zu lösen. Und gerade weil das alles nichts Außergewöhnliches ist, verstehen die meisten Menschen sehr gut, warum ich - schon seit den zwanziger Jahren - das vierte Gebot "das liebenswerteste Gebot" zu nennen pflege.