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Es gibt 5 Nummer in «Freunde Gottes » deren Stichwort lautet Maß.

Du fragst mich vielleicht: Und weshalb sollte ich mich anstrengen? Nicht ich, sondern der heilige Paulus antwortet dir: Die Liebe Christi drängt uns (2 Kor 5,14). Ein Menschenleben reicht nicht, um den Radius deiner Liebe ganz auszuschreiten. Seit den ersten Anfängen des Opus Dei ist es mein großes Anliegen gewesen, großmütigen Menschen, die bereit waren, den Ruf Christi in Taten umzusetzen, zuzurufen: Daran sollenalle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt (Joh 13,35). Gerade daran werden sie uns erkennen, denn die Liebe ist der Ausgangspunkt für jede Tätigkeit eines Christen.

Er, die Reinheit selbst, sagt nicht, daß man seine Jünger an der Reinheit ihres Lebens erkennen wird. Er, der Selbstgenügsame, der nicht einmal einen Stein hat, darauf Er sein Haupt legen könnte (Vgl. Mt 8,20), und der tagelang in der Einsamkeit fastet (Vgl. Mt 4,2), sagt seinen Aposteln nicht: Sie werden euch als meine Auserwählten erkennen, weil ihr keine Schlemmer und Trinker seid.

Das reine Leben Jesu Christi - so war es damals und so wird es immer sein - war wie eine Ohrfeige für die damalige Gesellschaft, verfault, wie so oft die unsrige. Seine Genügsamkeit war wie ein Peitschenschlag für die, die ständig tafelten und sich dann selbst zum Erbrechen brachten, um weiter tafeln zu können - gemäß den Worten des Paulus, daß ihr Gott der Bauch ist (Vgl. Phil 3,19).

Hören wir nochmals die Mahnung des heiligen Paulus: So steht denn fest, meine lieben Brüder! Laßt euch nicht wankend machen und seid allezeit voll Eifer im Werk des Herrn! Ihr wißt ja, daß eure Mühe im Herrn nicht vergeblich ist (1 Kor 15,58). Begreift ihr nun, wie viele Tugenden, alle ineinandergewoben, wirksam werden, wenn wir mit dem Willen arbeiten, die Arbeit zu heiligen: Starkmut läßt uns bei unserer Aufgabe ausharren und bewirkt, daß wir vor den selbstverständlich nicht ausbleibenden Schwierigkeiten nicht kapitulieren; Zucht und Maß machen uns fähig, uns vorbehaltlos einzusetzen und Bequemlichkeit und Egoismus zu überwinden; Gerechtigkeit läßt uns auf die Pflichten gegen Gott, gegen die Gesellschaft, gegen die eigene Familie und gegen die Berufskollegen achten; die Tugend der Klugheit ist es, die uns in jedem konkreten Fall die richtige Entscheidung treffen und sie zügig verwirklichen läßt… Und all das - nochmals sei es gesagt - aus Liebe und mit dem lebendigen Gespür dafür, daß wir für die Früchte und für die apostolischen Auswirkungen unserer Arbeit verantwortlich sind.

In Werken besteht die Liebe und nicht in schönen Reden, sagt ein spanisches Sprichwort. Und ich denke, es ist, deutlich genug.

Herr, gewähre uns Deine Gnade. Öffne uns die Tür zur Werkstatt von Nazareth, damit wir dich dort zu betrachten lernen, und neben Dir Maria, Deine heilige Mutter, und Josef, den heiligen Patriarchen, den ich so sehr liebe und verehre, damit wir von euch Dreien das Leben einer heiligen Arbeit lernen. Bewege so unsere armen Herzen, damit wir in der Arbeit des Alltags Dich suchen und Dir begegnen, in dieser Arbeit, die wir nach Deinem Willen in Werk Gottes, in ein Werk der Liebe verwandeln.

Die Früchte des Maßhaltens

Maßhalten heißt Herr über sich selbst sein. Nicht alles, was wir leibhaft oder seelisch empfinden, darf uns in einem ungezügelten Strom fortreißen; ich muß wissen, daß ich nicht alles darf, was ich kann. Wohl ist es bequemer, sich von den sogenannten natürlichen Trieben fortschwemmen zu lassen, aber am Ende des Weges steht nur das traurige Alleinsein mit dem eigenen Elend.

Wieviele wollen ihrem Bauch, ihren Augen, ihren Händen nichts versagen und weigern sich, auch nur hinzuhören, wenn man zu ihnen von Reinheit spricht. Die Zeugungskraft - eine Gabe Gottes zur Teilnahme an seiner Schöpfermacht und in sich erhaben - mißbrauchen sie als ein bloßes Werkzeug im Dienste ihrer Ichsucht.

Doch ich rede nicht gern über die Unreinheit. Ich will vielmehr die Früchte der Mäßigung betrachten und den Menschen als wahren Menschen sehen, das heißt: unbeeindruckt von wertlosem Geglitzer und nicht verhext von ihm wie eine Elster. Ein solcher Mensch kann auf das verzichten, was seiner Seele schadet, und er weiß, daß er damit nur scheinbar ein Opfer bringt: denn ein Leben in Opfergeist befreit ihn von vielen Fesseln und läßt ihn im Innersten seines Herzens die ganze Liebe Gottes auskosten.

Dann gewinnt das Leben die Farben wieder, die die Unmäßigkeit verdunkelt hatte: sich um andere kümmern, Eigenes teilen, Aufgeschlossenheit für das Große werden wieder möglich. Durch solches Maßhalten wird die Seele nüchtern, bescheiden und verständnisvoll; leicht und wie selbstverständlich neigt sie zu einer Zurückhaltung, die anziehend ist, weil sie die Herrschaft des Verstandes spüren läßt. Maßhalten bedeutet nicht Einengung, sondern Weite. Die Einengung liegt vielmehr in der Maßlosigkeit, denn da wirft sich das Herz selbst weg, jämmerlich verführt vom erstbesten blechernen Lärm.

Mir fällt da eine Erzählung ein, von einem Klassiker des spanischen Goldenen Jahrhunderts, die einige von euch wahrscheinlich schon bei anderen Betrachtungen gehört haben. Der Autor schildert einen Traum, den er hatte: Vor ihm öffnen sich zwei Wege; der eine ist breit und leicht begehbar, mit zahlreichen Wirtshäusern und einladenden Raststätten. Menschen zu Pferde oder in Kutschen ziehen auf ihm dahin, musizierend und lachend, albern lärmend. Es sind viele, sehr viele. Alle scheinen wie trunken von einem Rausch des Wohlgefühls, einem Rausch, der trügt und rasch verfliegt - denn jene Straße führt zu einem tiefen Abgrund. Das ist der Weg des verweltlichten Menschen, des unverbesserlichen Spießers. Diese Leute tragen eine Freude zur Schau, die sie gar nicht besitzen; unersättlich suchen sie neue Annehmlichkeiten und Vergnügungen. Schmerz, Verzicht und Opfer ängstigen sie. Vom Kreuz Christi wollen sie nichts wissen; das sei etwas für Verrückte. Aber die wirklichen Toren sind sie: Sklaven des Neids, der Schwelgerei, der Sinnlichkeit; am Ende kommen sie mit sich selbst nicht mehr zurecht und merken - wenn auch spät -, daß sie ihr irdisches und ihr ewiges Glück wegen ein paar fader Lappalien verscherzt haben. Der Herr mahnt uns: Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Denn was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber dabei seine Seele verliert? (Mt 16,25-26)

Unser Träumer in der Novelle erblickt noch einen anderen Weg. Der geht in die entgegengesetzte Richtung und ist so schmal und steil, daß man auf ihm nicht reiten kann; zu Fuß klimmen die Wanderer langsam empor; mit heiterer Miene klettern sie über Felsengeröll und überqueren Stellen voller Disteln; hier und dort bleiben Kleidungsfetzen an den Dornen hängen, die manchmal sogar Wunden ins Fleisch reißen. Aber am Ende der Wanderung erwartet sie ein herrlicher Garten, das ewige Glück, der Himmel. Das ist der Weg der heiligmäßigen Menschen, die bereit sind, sich aus Liebe zu Christus zu demütigen und sich für die anderen zu opfern. Hier kennen die Wanderer keine Angst vor dem mühsamen Anstieg; sie tragen in Liebe ihr Kreuz, mag es auch schwer sein, weil sie wissen, daß sie trotz der drückenden Last aufrecht werden weitergehen können, denn ihre Stärke ist Christus.

Betrachten wir andere alltägliche Beispiele. Der heilige Paulus erwähnt sie: Jeder Wettkämpfer übt in allem Enthaltsamkeit. Jene tun es, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Kranz zu gewinnen (1 Kor 9,25). In der Tat, seht euch nur um. Wie viele Opfer nehmen sie auf sich, Männer wie Frauen, mehr oder weniger gern, nur um ihr Äußeres zu pflegen, oder um der Gesundheit willen, oder um zu Ansehen zu gelangen… Und wir? Werden wir angesichts dessen immer noch unfähig sein, auf die unendliche Liebe Gottes, die in der Menschheit so wenig Echo findet, zu reagieren, indem wir das abtöten, was abzutöten ist, damit sich Herz und Geist noch inniger dem Herrn zuwenden?

Das christliche Bewußtsein ist bei vielen Menschen so aus den Fugen geraten, daß sie Worte wie Abtötung und Buße nur in Verbindung mit jenen strengen Fastenübungen und Kasteiungen zu sehen vermögen, von denen einige bewundernswerte Heiligenleben berichten. Wir sind bei dieser Betrachtung von der selbstverständlichen Voraussetzung ausgegangen, daß das Vorbild, das wir in unserem Leben nachahmen sollen, Jesus Christus ist. Gewiß, der Herr hat sich auf das Werk der Verkündigung durch vierzigtägiges Fasten in der Wüste vorbereitet (Vgl. Mt 4,1-11), aber davor und danach lebte Er die Tugend des Maßes mit solcher Natürlichkeit, daß seine Feinde es wagten, Ihn als den Schlemmer und Trinker, den Freund der Zöllner und Sünder (Lk 7,34) zu verleumden.