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Manche Frauen scheuen sich, ihren Verwandten und Freunden die Geburt eines weiteren Kindes mitzuteilen, weil sie schon mehrere Kinder haben. Sie fürchten die Kritik derer, die glauben, daß in der Zeit der "Pille" die kinderreiche Familie altmodisch geworden ist. In der Tat kann es unter den gegenwärtigen Umständen schwer sein, eine Familie mit vielen Kindern zu unterhalten. Wie sehen Sie dieses Problem?

Mein herzlicher Segen gilt den Eltern, die die ihnen von Gott anvertraute Aufgabe freudig entgegennehmen und viele Kinder haben. Ich möchte die Eheleute davon überzeugen, daß sie die Quellen des Lebens nicht versiegen lassen dürfen, sondern mutig und mit übernatürlicher Sicht eine zahlreiche Familie bilden, wenn Gott es so gibt. Wenn ich für die kinderreiche Familie eintrete, meine ich damit nicht den Kinderreichtum als bloße Folge physiologischer Beziehungen, sondern die kinderreiche Familie als Konsequenz wahrhaft gelebter christlicher Tugend. Ich meine die Familie, die einen hohen Sinn von der Würde der Person besitzt und begreift, daß die Aufgabe, Gott Kinder zu schenken, nicht nur darin besteht, sie zu zeugen und zur Welt zu bringen, sondern auch eine langwierige Erziehungsarbeit erfordert. Das physische Leben steht zwar am Anfang, ist aber keineswegs alles.

Es kann konkrete Fälle geben, in denen der Wille Gottes, der sich in den alltäglichen Dingen äußert, gerade darin besteht, daß die Familie klein bleibt. Aber die Theorien, die aus der Geburtenbeschränkung ein Ideal oder eine allgemeine Pflicht zu machen suchen, sind verbrecherisch, antichristlich und unvereinbar mit der Personenwürde des Menschen.

Es hieße die christliche Lehre verfälschen und pervertieren, würde man sich auf einen angeblich nachkonziliaren Geist stützen, um die kinderreiche Familie anzugreifen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat ausdrücklich gelehrt, daß unter den Eheleuten, die die ihnen von Gott anvertraute Aufgabe erfüllen, besonders die hervorzuheben sind, die großherzig und in wohlüberlegtem Einverständnis eine große Kinderzahl annehmen, um sie angemessen zu erziehen (Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 50). Und Papst Paul VI. sagte zum gleichen Thema in einer Ansprache vom 12. Februar 1966: Das kürzlich abgeschlossene Zweite Vatikanische Konzil hat in allen christlichen Eheleuten von neuem den Geist der Großherzigkeit wecken wollen, um das neue Volk Gottes auszubreiten… Sie mögen immer daran denken, daß die Ausbreitung des Reiches Gottes und die Möglichkeit der Kirche, die Menschheit zu durchdringen und ihr die ewige und irdische Rettung zu bringen, auch ihrer Großzügigkeit anvertraut ist.

Das Entscheidende ist nicht die Zahl der Kinder allein; viele oder wenige Kinder sind noch kein Maßstab für die Christlichkeit einer Familie. Das Ausschlaggebende ist vielmehr die Lauterkeit des ehelichen Lebens. Eine Liebe, die wirklich gegenseitig ist, reicht über die Gemeinschaft der Ehegatten hinaus und umfaßt auch die natürliche Frucht dieser Gemeinschaft: die Kinder. Der Egoismus hingegen würdigt diese Liebe zu einer bloßen Befriedigung der Triebe herab und zerstört das Band, das Eltern und Kinder eint. Schwerlich wird sich jemand als echtes Kind seiner Eltern fühlen, wenn er Grund hat zu denken, daß er gegen ihren Willen zur Welt gekommen ist, daß er sein Dasein nicht einer lauteren Liebe, sondern einer Unvorsichtigkeit oder einem Rechenfehler zu verdanken hat.

Die Zahl der Kinder ist nicht allein das Entscheidende, sagte ich. Aber andererseits steht es für mich außer Zweifel, daß die Angriffe, die sich gegen die kinderreiche Familie richten, ihren Ursprung in einem allzu schwachen Glauben haben. Sie sind das Produkt eines Milieus, das unfähig ist, die Großzügigkeit zu begreifen, und das den Egoismus und seine oft mehr als widerlichen Praktiken hinter scheinbar altruistischen Motiven zu verbergen sucht. Paradoxerweise sind es gerade die Länder mit dem höchsten Lebensstandard, in denen man am meisten für die Geburtenkontrolle wirbt und sich darum bemüht, diese Praxis auch auf andere Länder auszudehnen. Vielleicht wären ihre wirtschaftlichen und sozialen Argumente erwägenswert, wenn diese gleichen Argumente sie dazu führen würden, zugunsten bedürftiger Menschen auf einen Teil ihres Überflusses zu verzichten.

Solange das nicht geschieht, fällt es schwer, den Gedanken abzuweisen, daß ihre Beweisführung nicht zuletzt vom Hedonismus, von ehrgeiziger Machtpolitik und demographischem Neokolonialismus bestimmt ist.

Ich übersehe weder die großen Probleme, die die ganze Menschheit bedrängen, noch die konkreten Schwierigkeiten, auf die einzelne Familien stoßen. Das alles beschäftigt mich ständig und geht mir als Christ und Priester sehr zu Herzen. Aber all das berechtigt nicht dazu, die Lösung auf Abwegen zu suchen.

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