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Wenn wir wahrhaftig sind, werden wir auch gerecht sein. Gerne würde ich über die Gerechtigkeit ausführlicher sprechen, aber ich muß mich jetzt darauf beschränken, nur einige wenige Züge hervorzuheben, ohne das Ziel unserer Überlegungen aus dem Auge zu verlieren: nämlich auf dem festen Fundament der natürlichen Tugenden ein wirkliches, echtes Leben aus dem Glauben aufzubauen. Gerechtigkeit heißt, jedem das Seine zu geben, aber mir scheint, daß dies nicht genügt. Soviel einer auch verdienen mag, immer muß man ihm noch mehr geben, denn jede Seele ist ein Meisterwerk Gottes.

Der schönste Ausdruck der Liebe besteht darin, sich in der Gerechtigkeit großzügig zu übertreffen - oft unauffällig, aber im Himmel wie auf Erden fruchtbar. Denn wenn auch die Mitte oder das rechte Maß Merkmale sittlicher Tugend sind, dürfen wir diese Begriffe doch nicht so mißverstehen, als ob damit die gewöhnliche Mittelmäßigkeit, das Sichzufriedengeben mit der Hälfte des Erreichbaren gemeint wäre. Die Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig ist vielmehr ein Gipfel, den die Klugheit uns als das Optimum erkennen läßt. Ebensowenig gibt es ja Mittelmäßigkeit bei den göttlichen Tugenden: man kann nicht zuviel glauben, zuviel hoffen, zuviel lieben. Es ist gerade die grenzenlose Liebe zu Gott, die sich über unsere Mitmenschen in einem Strom der Großzügigkeit, des Verständnisses und der Nächstenliebe ergießen soll.

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