195

Der Glaube des Bartimäus

Diesmal ist es der heilige Markus, der uns von der Heilung eines anderen Blinden berichtet. Als Er mit seinen Jüngern und einer zahlreichen Volksmenge von Jericho aufbrach, saß ein blinder Bettler am Wege, Bartimäus, der Sohn des Timäus (Mk 10,46). Als der Blinde das Lärmen der Menge hörte, fragte er, was das sei. Man sagte ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei. Da entflammte seine Seele so im Glauben an Christus, daß er schrie: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner! (Mk 10,47)

Du, der du am Rande des Weges stehst, am Rande dieses so kurzen Lebensweges; du, dem Licht fehlt; du, der du mehr Gnade benötigst, um ernst entschlossen nach Heiligkeit zu streben - empfindest du nicht auch das Verlangen zu schreien? Drängt es dich nicht ebenfalls zu rufen: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner? Da hast du ein herrliches Stoßgebet - wiederhole es oft!

Ich rate euch, haltet einmal kurz ein und betrachtet, was dem Wunder vorausging. Prägt euch dabei ganz tief folgendes ein: Wie groß ist doch der Unterschied zwischen dem barmherzigen Herzen Jesu und unseren armen Herzen! Dieser Gedanke wird euch stets helfen können, besonders in Zeiten der Prüfung und der Versuchung, und auch, wenn es darum geht, in unbedeutenden Dingen oder bei Anlässen, die unseren ganzen Heroismus fordern, eine großzügige Antwort zu geben.

Viele fuhren Bartimäus an, er solle schweigen (Mk 10,48). So erging es auch dir, als du spürtest, daß Jesus nahe vorüberging. Dein Herzschlag wurde schneller, eine innere Unruhe erfaßte dich, und du begannst zu rufen. Aber die Freunde, die Bequemlichkeit, die Umgebung, alles riet dir: Schweig doch, schrei nicht so! Warum denn Jesus rufen? Laß Ihn doch in Ruhe!

Doch der arme Bartimäus hörte nicht darauf; im Gegenteil, er schrie noch lauter: Sohn Davids, erbarme dich meiner! Der Herr, der ihn vom ersten Augenblick an gehört hatte, ließ ihn in seinem Gebet ausharren. So ist es auch bei dir. Jesus vernimmt den ersten Ruf der Seele, aber Er wartet. Er will uns zu der Überzeugung führen, daß wir Ihn brauchen; Er will, daß wir Ihn bitten, hartnäckig wie jener Blinde am Rande des Weges von Jericho. Hierin sollen wir ihn nachahmen. Wenn Gott die Erhörung hinausschiebt, wenn manche uns vom Beten abhalten wollen, so dürfen wir trotzdem nicht nachlassen (Johannes Chrysostomus, In Matthaeum homiliae, 66, 1 (PG 58, 626]).

Verzeichnis der Schriftstellen
Diesen Punkt in einer anderen Sprache