Mutter Gottes, unsere Mutter

*Homilie, gehalten am 11. Oktober 1964 (Fest der Mutterschaft Mariens)

Alle Marienfeiertage sind wichtig, denn sie sind Anlässe, die uns die Kirche bietet, damit wir unsere Liebe zur Mutter Gottes mit Werken beweisen. Wenn ich aber unter diesen verschiedenen Feiertagen einen auswählen müßte, so würde ich das heutige Fest nehmen: die göttliche Mutterschaft der allerseligsten Jungfrau.

Dieses Fest führt uns einige der wesentlichen Geheimnisse unseres Glaubens vor Augen: Wir betrachten die Menschwerdung des Wortes, das Werk der drei Personen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Maria, die Tochter Gottes, des Vaters, ist durch die Menschwerdung unseres Herrn in ihrem unbefleckten Schoß die Braut Gottes, des Heiligen Geistes und die Mutter Gottes, des Sohnes.

Als Maria ihr freies Ja zu den ihr vom Schöpfer geoffenbarten Absichten sprach, nahm das Wort Gottes die menschliche Natur an: eine vernünftige Seele und einen Leib, im reinsten Schoß Mariens. Die göttliche und die menschliche Natur vereinigten sich in der einen Person Jesu Christi. Er ist wahrer Gott und, von jener Stunde an, wahrer Mensch; Er ist der Eingeborene des Vaters von Ewigkeit her und, seit jenem Augenblick, da Er Mensch wurde, auch der wahre Sohn Mariens. Deshalb ist Unsere Liebe Frau die Mutter des menschgewordenen Wortes, der zweiten Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die, für immer und unvermischt, die menschliche Natur angenommen hat. Und deshalb dürfen wir an Maria als das höchste Lob jenes Wort richten, welches ihre höchste Würde ausdrückt: Mutter Gottes.

Der Glaube des christlichen Volkes

Das ist immer sicherer Gegenstand des Glaubens gewesen. Gegen die, die ihn leugneten, verkündete das Konzil von Ephesus: Wer nicht bekennt, daß der Emmanuel in Wahrheit Gott und die heilige Jungfrau deshalb Gottesgebärerin ist, weil sie das fleischgewordene, aus Gott entstammende Wort dem Fleische nach geboren hat, der sei ausgeschlossen (Konzil von Ephesus, Can. 1, Denzinger-Schön. 252 (113]).

Die Geschichte hat uns Zeugnisse der Freude unter den Christen wegen jener klaren und eindeutigen Entscheidung überliefert, welche den Glauben aller bestätigte: Das ganze Volk der Stadt Ephesus wartete beharrlich auf die Entscheidung, vom Morgen früh bis spät am Abend. () Als man dann erfuhr, daß der Urheber der Lästerungen abgesetzt worden war, begannen wir alle einstimmig Gott zuverherrlichen und das Konzil zu preisen, weil ja der Feind des Glaubens gestürzt war. Als wir die Kirche verließen, wurden wir mit Fackeln zu unseren Häusern begleitet. Es war Nacht: die ganze Stadt war fröhlich und beleuchtet (Cyrill von Alexandrien, Epistolae, 24 (PG 77, 138]). So schreibt der heilige Cyrill von Alexandrien, und ich gebe zu, daß dieser Ausdruck der Frömmigkeit über sechzehn Jahrhunderte hinweg mich tief beeindruckt.

Gebe Gott, unser Herr, daß in unseren Herzen ein ebensolcher Glaube brennt, damit auch wir in einen Lobgesang des Dankes einstimmen können: denn durch die Auserwählung Mariens als Mutter Jesu Christi, eines Menschen wie wir, läßt die Allerheiligste Dreifaltigkeit jeden von uns unter dem Schutzmantel dieser Mutter geborgen sein. Sie ist Mutter Gottes und unsere Mutter.

Die göttliche Mutterschaft Mariens ist die Wurzel all ihrer Vollkommenheit und Vorzüge. Aus diesem Grund ist sie die unbefleckt Empfangene, die Gnadenvolle, die immerwährende Jungfrau, die mit Leib und Seele in den Himmel Aufgenommene, die, zur Königin der ganzen Schöpfung gekrönt, über allen Engeln und Heiligen thront. Größer als sie ist nur Gott. Weil die heilige Jungfrau die Mutter Gottes ist, hat sie eine gewisse unendliche Würde von dem unendlichen Gut her, das Gott ist (Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 25, a. 6). Eine Gefahr zu übertreiben kann es hier nicht geben. Niemals werden wir tief genug in dieses unaussprechliche Geheimnis eindringen; niemals werden wir unserer heiligen Mutter genug dafür danken können, daß sie uns diese Nähe zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit ermöglicht hat.

Wir waren Sünder und Feinde Gottes. Die Erlösung befreit uns nicht nur von der Sünde, versöhnt uns nicht nur mit Gott, sondern sie macht uns zu seinen Kindern: Gott schenkt uns eine Mutter, dieselbe, die das Ewige Wort der Menschheit nach empfing. Ist eine größere Verschwendung, ein größeres Maß an Liebe noch möglich? Es verlangte Gott danach, uns zu erlösen. Unter den vielen Möglichkeiten, die seiner unendlichen Weisheit offenstanden, um seinen heiligen Willen zu verwirklichen, wählte Er diejenige, die keinen Zweifel über unsere Rettung und Verherrlichung zuläßt. So wie der erste Adam nicht von einem Mann und einer Frau stammt, sondern von der Erde genommen ist, so nahm der letzte Adam, der die Wunden des ersten heilen sollte, seinen Leib aus dem Schoß der Jungfrau, damit Er dem Fleische nach gleich sei wie das Fleisch derer, die gesündigt hatten (Basilius der Große, Commentarius in Isaiam, 7, 201 (PG 30, 466]).

Mutter der schönen Liebe

Ego quasi vitis fructificaviIch trieb wie ein Weinstock liebliche Sprossen, und meine Blüten tragen prächtige und reiche Frucht (Sir 24,23). Wir haben in der Lesung der heiligen Messe diese Worte gehört. Möge sich eine blühende, innige Marienverehrung in unseren Seelen und in den Seelen aller Christen entfalten und das rückhaltlose Vertrauen zu der hervorbringen, die ständig über uns wacht.

Ich bin die Mutter der schönen Liebe, der Furcht, der Erkenntnis und der heiligen Hoffnung (Sir 24,24). Alles dies sind Lektionen, an die uns die Mutter Gottes heute erinnert. Lektionen einer schönen Liebe, eines sauberen Lebens und eines zartfühlenden und leidenschaftlichen Herzens, damit wir lernen im Dienste der Kirche treu zu sein. Nicht irgendeine beliebige Liebe ist da gemeint, sondern die Liebe schlechthin, die weder Verrat noch Berechnung, noch Vergessen kennt: die schöne Liebe, die vom dreimalheiligen Gott ausgeht und zu Ihm hinführt, zu Ihm, der die Schönheit und die Güte und die Erhabenheit selbst ist.

Aber auch die Furcht wird erwähnt. Ich kann mir keine andere vorstellen als die, daß man sich von der Liebe trennen könnte. Denn Gott will uns ja nicht ängstlich, kleinmütig oder träge in unserer Hingabe, sondern kühn, tapfer und ganz wach. Diese Furcht, die hier erwähnt wird, ruft uns ein anderes Wort der Heiligen Schrift in Erinnerung: Ich suchte, den meine Seele liebt; ihn suchte ich, doch ich fand ihn nicht (Hld 3,1).

Das kann dann geschehen, wenn der Mensch nicht bis auf den Grund begriffen hat, was Gott lieben heißt. Das Herz läßt sich dann von Dingen fortreißen, die nicht zu Gott hinführen, und als Folge davon verlieren wir Ihn aus den Augen. Manchmal ist es vielleicht der Herr selbst, der sich verbirgt. Er allein weiß warum. Er treibt uns an, Ihn mit noch größerem Eifer zu suchen, und wenn wir Ihn wiedergefunden haben, freuen wir uns und rufen: Ich hielt ihn fest und will ihn nicht lassen (Hld 3,4).

Das Evangelium der heutigen heiligen Messe schildert uns jene bewegende Episode, da Jesus in Jerusalem zurückbleibt und im Tempel lehrt. Maria und Josef gingen in der Meinung, Er sei bei der Reisegesellschaft, eine Tagereise weit und suchten Ihn bei Verwandten und Bekannten. Aber sie fanden Ihn nicht. Darum kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten Ihn (Lk 2,44-45). Die Mutter Gottes hat in Sorge ihren Sohn gesucht, den sie ohne eigene Schuld verloren hatte, und sie hat die große Freude erfahren, Ihn wiederzufinden: Sie wird uns helfen, damit auch wir umkehren und alles, was nötig ist, in Ordnung bringen, wenn unsere Nachlässigkeiten oder unsere Sünden uns einmal nicht erlauben sollten, Christus wahrzunehmen. So werden auch wir die Freude erfahren, uns an Ihm festzuklammern und Ihm zu sagen, daß wir Ihn nie mehr verlieren wollen.

Maria ist auch Mutter der Erkenntnis, denn an ihrer Hand kann man die wichtigste aller Lektionen lernen: daß nichts lohnt, wenn wir dem Herrn nicht nahe sind; daß alle herrlichen Dinge dieser Erde und alle erfüllten Wünsche unseres Herzens nichts sind, wenn dieses Herz nicht von der Flamme der lebendigen Liebe und vom Licht der heiligen Hoffnung erhellt wird, die uns die unendliche Liebe in der endgültigen Heimat ahnen lassen.

In mir ist die Gnade jedes Weges und jeglicher Wahrheit; in mir ist alle Hoffnung des Lebens und der Tugend (Sir 24,25). Wie weise hat doch die Kirche diese Worte in den Mund unserer Mutter gelegt, damit wir Christen sie nicht vergessen! Sie ist die feste Sicherheit, die Liebe, die einen niemals verläßt, die Zuflucht, die stets offen bleibt, die Hand, deren Zärtlichkeit immer Trost spendet.

Einer der frühen Kirchenväter schreibt, daß wir bemüht sein müssen, vor unserem geistigen Auge und in unserem Gedächtnis eine wohlgeordnete Übersicht des Lebens der Gottesmutter zu behalten (Vgl. Johannes Damaszenus, Homiliae in dormitionem B. V. Mariae, 2, 19 (PG 96, 751]). Wahrscheinlich habt ihr schon oft die üblichen Kompendien über Medizin, Mathematik oder andere Fächer, in denen das Grundwissen für den konkreten, dringlichen Fall enthalten ist, zu Rate gezogen: eine Art Soforthilfe mit den nötigen Anweisungen, damit man keine Fehler macht.

Betrachten wir auch oft in ruhigem, stillem Gebet alles, was wir von unserer Mutter gehört haben. Als Frucht davon werden sich in unsere Seele viele Merksätze einprägen, die es uns ermöglichen, ohne Zögern zu ihr zu eilen, wenn wir nirgendwo sonst noch Halt finden. Aber ist das nicht bloß persönlicher Eigennutz? Gewiß. Nur - weiß eine Mutter nicht, daß die Kinder für gewöhnlich etwas eigennützig sind und daß sie sich oft an sie als letzte Zuflucht wenden? Eine Mutter weiß das, und es macht ihr nichts aus: sie ist eben Mutter, und ihre selbstlose Liebe vermag hinter der Fassade unseres Egoismus doch kindliche Zuneigung und festes Vertrauen zu entdecken.

Weder für mich noch für euch möchte ich die Verehrung der Mutter Gottes auf solch eindringliche Notrufe beschränken. Doch scheint mir, daß wir uns nicht gedemütigt fühlen müssen, sollte es uns einmal so ergehen. Eine Mutter führt ja nicht Buch über die Liebeserweise der Kinder, sie wägt und mißt nicht mit kleinlichen Maßstäben. Eine winzige liebevolle Aufmerksamkeit ist für sie wie Sonnenschein; sie gibt viel mehr, als sie empfängt. Wenn es bei einer guten irdischen Mutter schon so ist, dann stellt euch vor, was wir von unserer Mutter Maria erhoffen dürfen.

Mutter der Kirche

Immer wieder suche ich mich mit meiner Vorstellungskraft in die Zeit zurückzuversetzen, da Jesus ganz bei seiner Mutter war: viele Jahre, fast das gesamte irdische Leben unseres Herrn. Ich sehe Ihn als kleines Kind, wie Maria Ihn pflegt, Ihn küßt und sich mit Ihm beschäftigt. Ich sehe Ihn dann unter den liebenden Blicken von Maria und Josef, seinem irdischen Vater, heranwachsen. Wie aufmerksam und mit welchem Zartgefühl müssen sich Maria und der heilige Patriarch um das Kind gekümmert haben. Wieviel müssen sie ständig in aller Stille von Ihm gelernt haben. Ihre Seelen wurden der Seele des Sohnes, der Mensch und Gott ist, immer ähnlicher. Deshalb kennt Maria - und nach ihr Josef - die Regungen des Herzens Jesu wie sonst niemand; und deshalb sind Maria und Josef der beste Weg - ich möchte sogar sagen: der einzige -, um zu unserem Heiland zu gelangen.

Der heilige Ambrosius schreibt: In jeder Seele sei Marias Seele, daß sie den Herrn preise; in jeder sei der Geist Mariens, daß er frohlocke in Gott. Und der heilige Kirchenvater verbindet diese Worte mit Gedanken, die auf den ersten Blick gewagt erscheinen, aber für das Leben eines Christen einen klaren geistlichen Sinn enthalten: Gibt es auch nur eine leibliche Mutter Christi, so ist doch in der Ordnung des Glaubens Christus die Frucht aller (Ambrosius, Expositio Evangelii secundum Lucam, 2, 26 (PL 15, 1561]).

Wenn wir mit Maria gleichförmig werden und ihre Tugenden nachahmen, werden wir dazu beitragen, daß Christus durch die Gnade in die Seele vieler Menschen hineingeboren wird, die dann durch das Wirken des Heiligen Geistes mit Ihm eins sein werden. Die Ausrichtung an Maria läßt uns irgendwie an ihrer geistigen Mutterschaft Anteil haben; und dies geschieht, wie bei ihr selbst, ganz im stillen, unbemerkt und ohne viele Worte, durch das Zeugnis eines bedingungslos konsequenten christlichen Verhaltens und durch die großzügige Erneuerung eines fiat- es geschehe! -, das die Verbundenheit mit Gott ständig aufrechterhält.

Ein guter Christ, voll Liebe zur Mutter Gottes, aber theologisch nicht sehr geschult, erzählte mir einmal eine Geschichte, die ich euch jetzt weitergeben möchte, weil sie in ihrer Naivität bei einem wenig gebildeten Menschen verständlich ist.

Ich muß mir Luft machen, sagte er: Verstehen Sie bitte, daß heute manche Dinge geschehen, die einen richtig traurig stimmen können. Während des gegenwärtigen Konzils und auch in der Vorbereitungszeit darauf wurde vorgeschlagen, das Thema der Mutter Gottes in die Beratungen aufzunehmen, einfach so: das Thema. Sprechen Kinder so? Ist das der Glaube, den die Christen stets bekannt haben? Seit wann ist die Liebe zur Mutter Gottes ein Thema, dasman diskutiert und auf seine Zweckmäßigkeit hin prüft?

Wenn überhaupt etwas im Widerspruch zur Liebe steht, dann das Knausern. Ich geniere mich nicht - sagte er mir weiter -, so deutlich zu sprechen, denn sonst hätte ich das Gefühl, ich beleidigte unsere heilige Mutter. Man hat darüber debattiert, ob es zweckmäßig sei oder nicht, Maria die "Mutter der Kirche" zu nennen - nun, es ist mir zuwider, auf weitere Einzelheiten einzugehen. Denn wieso soll die Mutter Gottes, die deshalb Mutter aller Christen ist, nicht die Mutter der Kirche sein, wenn die Kirche die Gemeinschaft all derer ist, die durch die Taufe ein neues Leben in Christus, dem Sohn Mariens, empfangen haben?

Ich kann mir nicht erklären - so sagte er noch -, woher ein solcher Geiz stammen kann, Unserer Lieben Frau diesen Lobpreis vorenthalten zu wollen. Wie anders ist der Glaube der Kirche! Das Thema der Mutter Gottes… Kommt es Kindern in den Sinn, aus der Liebe zur eigenen Mutter ein Thema zu machen? Sie lieben sie ganz einfach. Und sie lieben sie sehr, wenn sie gute Kinder sind. Von einem Thema - oder von einem Schema - sprechen nur Fremde, jene, die sich kühl an die Formulierung eines Problems geben. So weit die Worte jenes einfachen und herzlichen Menschen: offen und fromm, wenn auch nicht gerecht.

Setzen wir nun die Betrachtung dieses Geheimnisses der Gottesmutterschaft Mariens fort in der Stille unseres Gebetes, indem wir aus tiefster Seele bekennen: O Jungfrau und Mutter Gottes! Jener, den das Weltall nicht zu fassen vermag, ist in deinen Schoß eingekehrt und Mensch geworden (Graduale der Messe von der Mutterschaft der allerseligsten Jungfrau Maria).

Die Liturgie der Kirche läßt uns heute beten: Selig derSchoß der Jungfrau Maria, der den Sohn des Ewigen Vaters getragen hat (Antiphon ad Communionem der Messe der allerseligsten Jungfrau Maria). Ein Ruf, alt und neu, menschlich und göttlich. Es ist, als ob wir an den Herrn jenen lobenden Gruß richteten, der mancherorts Sitte ist: Gepriesen sei die Mutter, die dich gebar.

Lehrmeisterin des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe

Maria hat durch ihre Liebe mitgewirkt, damit in der Kirche die Gläubigen geboren würden, als Glieder jenes Hauptes, dessen Mutter sie tatsächlich dem Leibe nach ist (Augustinus, De sancta virginitate, 6 (PL 40, 399]). Als Mutter lehrt sie; aber eben darum ist die Lehre, die sie uns erteilt, gar nicht laut. Es bedarf einer Grundstimmung der Aufmerksamkeit, einer Spur Feingefühl in der Seele, um zu erfassen, was sie uns nicht so sehr mit Worten wie mit Werken mitteilen möchte.

Sie ist Lehrmeisterin des Glaubens. Selig bist du, da du geglaubt hast! (Lk 1,45)Das ist der Gruß ihrer Base Elisabeth, als Maria sie in dem Gebirgsdorf besucht. Wunderbar war der Akt des Glaubens, den Maria verrichtet hatte: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort (Lk 1,38).

Als ihr Sohn geboren wird, bestaunt sie die Großtaten Gottes auf Erden: Engelchöre, Hirten und Große dieser Welt beten das Kind an. Aber danach muß die heilige Familie nach Ägypten fliehen, um den verbrecherischen Plänen des Herodes zu entgehen. Und dann kommt die Zeit des Schweigens: dreißig Jahre eines einfachen, gewöhnlichen Lebens, wie bei jeder anderen Familie in einem kleinen galiläischen Dorf.

Das Evangelium weist uns mit wenigen Worten den Weg, um das Beispiel unserer Mutter zu verstehen: Maria aber bewahrte alle diese Dinge und erwog sie in ihrem Herzen (Lk 2,19). Versuchen wir, sie auch darin nachzuahmen, indem wir den Umgang mit dem Herrn suchen und mit Ihm ein liebendes Gespräch führen über alles, was uns beschäftigt, selbst über winzige Begebenheiten. Vergessen wir nicht, daß sie erwogen, gewertet, mit gläubigen Augen gesehen werden sollen, damit wir in ihnen den Willen Gottes entdecken.

Gehen wir zu Maria, wenn unser Glaube schwach ist. Johannes berichtet, wie nach dem Wunder auf der Hochzeit zu Kana, das Jesus auf Bitten seiner Mutter wirkte, seine Jünger an Ihn glaubten (Joh 2,11). Unsere Mutter tritt immer bei ihrem Sohn für uns ein, damit Er sich uns zuwendet und sich uns so zeigt, daß wir dann bekennen: Du bist der Sohn Gottes.

Maria ist auch Lehrmeisterin der Hoffnung. Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter (Lk 1,48), ruft sie aus. War diese Hoffnung menschlich gesehen überhaupt begründet? Wer war sie für die Männer und Frauen von damals? Die großen Heldinnen des Alten Testaments, wie Judith, Esther und Debora, gewannen schon auf Erden menschlichen Ruhm, sie wurden vom Volk bejubelt und verherrlicht. Für Maria - wie für Jesus - ist der einzige Thron das Kreuz. Was uns an ihrem irdischen Leben bis zu ihrer Aufnahme mit Leib und Seele in den Himmel beeindruckt, ist ihre stille Gegenwart. Der heilige Lukas, der sie gut kannte, bemerkt, daß sie zusammen mit den ersten Jüngern im Gebet verharrte. So vollendet Maria ihre irdischen Tage, sie, die dann für immer von allen Geschöpfen gepriesen werden soll.

Welch ein Kontrast zwischen der Hoffnung Mariens und unserer Ungeduld! Oft fordern wir von Gott, Er möge sofort das wenige Gute vergelten, das wir getan haben. Wir stöhnen, kaum daß die erste Schwierigkeit auftaucht. Nicht selten sind wir unfähig, in der Anstrengung auszuharren und die Hoffnung aufrecht zu erhalten. Denn es fehlt uns an Glauben: Selig bist du, da du geglaubt hast, daß in Erfüllung gehen wird, was dir vom Herrn verkündet worden ist! (Lk 1,45)

Maria ist Lehrmeisterin der Liebe. Erinnert euch, was bei der Darstellung Jesu im Tempel geschah. Der greise Simeon spricht zu ihr: Siehe, dieser ist bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen des Widerspruchs. Auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen. So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbarwerden (Lk 2,34-35). Die unermeßliche Liebe Mariens für alle Menschen bewirkt, daß auch in ihr das Wort des Herrn Wirklichkeit wird: Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde (Joh 15,13).

Mit Recht haben die Päpste Maria Miterlöserin genannt: Man kann mit Recht sagen, daß Maria zusammen mit Christus das Menschengeschlecht erlöste: weil sie zusammen mit ihrem leidenden und sterbenden Sohn so sehr gelitten hat und gewissermaßen gestorben ist; und weil sie auf ihre Mutterrechte gegenüber ihrem Sohn zur Erlösung der Menschheit verzichtete und Ihn aufopferte, soweit dies von ihr abhing, um so die göttliche Gerechtigkeit zu besänftigen (Benedikt XV., Brief Inter sodalicia, 22. 3. 1918, AAS 101919, 182). So begreifen wir jenen Umstand in der Passion unseres Herrn besser, den wir nie müde werden zu betrachten: Stabat autem iuxta crucem Iesu mater eius (Joh 19,25), die Mutter Jesu stand bei dem Kreuz ihres Sohnes.

Gewiß habt ihr schon beobachtet, wie manche Mütter mit berechtigtem Stolz an die Seite ihrer Söhne eilen, wenn diese einen Erfolg feiern oder eine öffentliche Ehrung empfangen. Andere Mütter dagegen bleiben auch in solchen Augenblicken im Hintergrund, in schweigender Liebe. So Maria, und Jesus wußte es.

Nun aber, da die Zeit des Ärgernisses, die Stunde des Kreuzesopfers gekommen ist, steht Maria da und hört voller Trauer wie die Vorübergehenden Ihn lästerten, den Kopf schüttelten und sagten: "Du wolltest den TempelGottes niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen. Rette Dich selbst! Wenn Du der Sohn Gottes bist, steig herab vom Kreuz!" (Mt 27,29-30)Unsere Liebe Frau hört die Worte ihres Sohnes und vereinigt sich mit seinem Schmerz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mt 27,46) Was konnte sie tun? Mit der erlösenden Liebe des Sohnes einswerden und dem Vater den unermeßlichen Schmerz darbringen, der wie ein scharfes Schwert ihr reines Herz durchbohrte.

Wieder fühlt sich Jesus durch die lautlose, liebende Gegenwart der Mutter gestärkt. Maria schreit nicht, sie läuft nicht ratlos umher. Stabat - sie steht, steht neben ihrem Sohn. Jesus blickt auf sie herab und wendet dann die Augen zu Johannes. Er sagt: "Frau, da ist dein Sohn". Dann sagt Er zu dem Jünger: "Da ist deine Mutter" (Joh 19,26-27). In Johannes vertraut Christus seiner Mutter alle Menschen an, besonders aber seine Jünger: jene, die an Ihn glauben sollten.

Felix culpa (Praeconium der Osternachtliturgie) singt die Kirche: heilbringende Schuld, die uns einen so erhabenen Retter gebracht hat. Und wir können noch hinzufügen: heilbringende Schuld, die uns Maria zur Mutter gegeben hat. Schon fühlen wir uns sicher, schon ist aller Kummer verscheucht; denn Unsere Liebe Frau, zur Königin des Himmels und der Erde gekrönt, ist vor Gott die allmächtige Fürbitterin. Jesus kann Maria keine Bitte abschlagen, und auch uns nicht, da wir die Kinder seiner Mutter sind.

Unsere Mutter

Die Kinder, vor allem die kleinen Kinder, erwarten dauernd irgend etwas, das ihre Eltern für sie tun sollen oder tun könnten, und dabei vergessen sie ihre eigenen Pflichten der Kindesliebe. Im allgemeinen sind wir recht eigennützige Kinder. Aber wir sagten schon, daß das einer Mutter nicht viel ausmacht, denn in ihrem Herzen ist die Liebe groß genug, um dem Kind alles zu geben, ohne etwas von ihm zu erwarten.

So ist es auch mit unserer Mutter Maria. Aber heute, am Festtag ihrer göttlichen Mutterschaft, sollten wir in unserer Selbstprüfung genauer sein als sonst. Und wenn wir feststellen, daß es uns an Aufmerksamkeit gegenüber dieser guten Mutter gefehlt hat, sollte uns das Herz wehtun. Ich frage euch, ich frage mich selbst: Wie ehren wir sie?

Ein weiteres Mal kehren wir zur alltäglichen Erfahrung im Umgang mit unserer irdischen Mutter zurück. Wir fragen uns vor allem: Was erwartet eine Mutter von dem Kind, dem sie Fleisch und Blut gegeben hat? Ihr größter Wunsch ist, es in der Nähe zu haben. Wenn die Kinder groß werden und dies nicht mehr möglich ist, wartet die Mutter mit Ungeduld auf Nachricht und empfindet Anteilnahme für alles, was das Kind betrifft, von einer leichten Erkrankung bis hin zu den ganz wichtigen Ereignissen.

Versteht also: In den Augen unserer heiligen Mutter Maria hören wir niemals auf, kleine Kinder zu sein, denn sie öffnet uns den Weg zum Himmelreich, das nur denen, die zu Kindern werden, gegeben wird (Vgl. Mt 19,14). Wir dürfen uns niemals von ihr trennen. Und wie können wir sie ehren? Indem wir Umgang mit ihr haben, mit ihr sprechen, ihr unsere Liebe bezeugen, in unseren Herzen die Szenen ihres irdischen Lebens erwägen, ihr von unseren Kämpfen, unseren Erfolgen und Mißerfolgen erzählen.

So entdecken wir den Sinn der Gebete zur Mutter Gottes, die die Kirche immer gebetet hat, und es ist uns, als sprächen wir diese Gebete zum erstenmal. Was sind das Gegrüßet seist du, Maria und der Engel des Herrn anderes als ein stürmisches Lob ihrer göttlichen Mutterschaft? Wir haben dann den heiligen Rosenkranz, eine wunderbare Frömmigkeitsübung, die ich nie müde werde, allen Christen zu empfehlen: mit dem Verstand und mit dem Herzen vergegenwärtigen wir uns die wunderbaren Geheimnisse im Leben Mariens, die wir als die grundlegenden Geheimnisse unseres Glaubens wiederentdecken.

Im Kirchenjahr gibt es zahlreiche Festtage zu Ehren der Mutter Gottes. Ihrer aller gemeinsamer Grund aber ist die Gottesmutterschaft Mariens; aus ihr geht die Fülle von natürlichen und übernatürlichen Gaben, die ihr die Allerheiligste Dreifaltigkeit gewährt hat, hervor. Es wäre ein Zeichen mangelnder christlicher Bildung und auch ein Zeichen mangelnder kindlicher Liebe, würde jemand befürchten, daß die Marienverehrung die Gott geschuldete Anbetung schmälern könnte. Von unserer Mutter, dem Vorbild der Demut, stammen die Worte: Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter. Großes hat an mir getan der Mächtige. Heilig ist sein Name: Sein Erbarmen währt von Geschlecht zu Geschlecht für die, die Ihn fürchten (Lk 1,48-50).

Geizen wir nicht mit Liebeserweisen an den Festtagen Unserer Lieben Frau, erheben wir öfter als sonst das Herz zu ihr, indem wir sie um das Nötige bitten, ihr für ihre ständige mütterliche Fürsorge danken und ihr die Menschen anempfehlen, die wir lieben. Wenn wir uns aber wirklich wie gute Kinder verhalten wollen, dann werden wir alle Tage gleichermaßen geeignet finden, um unserer Mutter Liebe zu erweisen, nicht anders als Menschen es tun, die sich wirklich lieben.

Vielleicht meint jemand unter euch, der Alltag und das Hin und Her eines gewöhnlichen Lebens ließen kaum zu, daß man mit dem Herzen stets bei einem so reinen Geschöpf wie der Mutter Gottes verweile. Bitte, denkt ein wenig darüber nach. Was suchen wir in all unserem Tun, auch wenn wir es uns nicht immer ganz bewußt machen? Wenn wir, von der Liebe Gottes angetrieben, in lauterer Absicht arbeiten, dann suchen wir das Gute, das Reine, das, was dem Gewissen Frieden und der Seele Freude gibt. Daß auch Fehler vorkommen? Gewiß, aber gerade dann, wenn wir unsere Fehler einsehen, gewahren wir unser Ziel nur um so deutlicher: ein Glück, das nicht flüchtig, sondern tief und heiter, menschlich und übernatürlich ist.

Auf Erden hat ein einziges Geschöpf dieses Glück erreicht, das Meisterwerk Gottes: Maria, unsere heiligste Mutter. Sie lebt und beschützt uns. Sie ist mit Leib und Seele beim Vater, beim Sohn und beim Heiligen Geist: sie, dieselbe, die in Palästina geboren wurde, die sich von Kindheit an dem Herrn weihte, die Botschaft des Erzengels Gabriel empfing, unseren Heiland gebar und bei Ihm unter dem Kreuze stand.

In ihr werden die großen Ideale Wirklichkeit, aber wir dürfen darum nicht denken, ihre Erhabenheit und Größe mache sie zu einer unnahbaren, fernen Gestalt. Sie ist voll der Gnade, der Inbegriff aller Vollkommenheit, und sie ist Mutter. Mächtig vor Gott, erlangt sie für uns das, was wir erbitten, denn als Mutter will sie es uns gewähren. Und als Mutter begreift und versteht sie auch unsere Schwäche; sie ermutigt uns, sie entschuldigt uns, sie bereitet uns den Weg, sie kommt uns immer zu Hilfe, auch da, wo Hilfe unmöglich erscheint.

Wie wüchsen in uns die übernatürlichen Tugenden, wenn es uns gelänge, wirklich Umgang mit ihr zu haben, mit Maria, mit unserer Mutter! Richten wir doch im Laufe des Tages kurze Gebete, Stoßgebete an sie, mit dem Herzen, ohne Worte. Die christliche Frömmigkeit hat viele solcher zärtlichen Anrufungen in der Lauretanischen Litanei zusammengefaßt, die im Anschluß an den Rosenkranz gebetet wird. Aber jedem steht es frei, diese Anrufungen um weitere zu vermehren und neue zu finden, die wir vielleicht - aus einer Zurückhaltung heraus, die sie versteht und gutheißt - nicht laut zu sprechen wagen.

Zum Schluß möchte ich dir noch raten, daß du deine persönliche Erfahrung mit der mütterlichen Liebe Mariens suchst, falls es noch nicht so ist. Es genügt nicht zu wissen, daß sie Mutter ist; es genügt auch nicht, sie nur als solche zu betrachten und in diesem Sinne von ihr zu sprechen. Sie ist deine Mutter, du bist ihr Sohn. Sie liebt dich, als ob du ihr einziger Sohn auf dieser Welt wärest. Dein Umgang mit ihr darf davon ausgehen; erzähle ihr alles, was dich bewegt, verehre sie, liebe sie. Keiner kann es für dich tun, wenn du es nicht tust, und keiner kann es besser für dich tun als du selbst.

Ich versichere dir, daß du auf diesem Wege sofort die ganze Liebe Jesu Christi finden wirst. Du wirst dann erfahren, daß du in der unergründlichen Lebensfülle Gottes des Vaters, Gottes des Sohnes und Gottes des Heiligen Geistes verweilst. Du wirst Kraft finden, um den Willen Gottes vollkommen zu erfüllen. Das Verlangen danach, allen Menschen zu dienen, wird in dir wachsen. Du wirst dann der Christ sein, von dem du manchmal träumst: reich an Werken der Liebe und Gerechtigkeit, freudig und stark, voller Verständnis für die anderen und mit strenger Forderung an dich selbst.

Das und nichts anderes ist die Spannkraft unseres Glaubens. Gehen wir zu Maria, und sie wird uns mit sicherem und beständigem Schritt begleiten.

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