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Die Schule des Gebetes

Ihr werdet mit der Hilfe Gottes noch viele andere Aspekte entdeckt haben in der Art, wie Maria der Gnade entspricht, und jede Beobachtung für sich ist schon eine Aufforderung, sie zum Vorbild zu nehmen: ihre Reinheit, ihre Demut, ihre Stärke, ihre Großherzigkeit, ihre Treue… Ich möchte jetzt von einem Zug im Leben Mariens sprechen, der alles andere einschließt, denn er ist der Nährboden des geistlichen Fortschritts: das Gebetsleben.

Wenn die Gnade wirksam werden soll, die uns unsere Mutter am heutigen Tage bringt, und wenn wir in jedem Augenblick den Eingebungen des Heiligen Geistes, des Hirten unserer Seele, folgen wollen, dann müssen wir uns ernsthaft aufgefordert fühlen, von uns aus den Umgang mit Gott zu suchen. Wir dürfen uns nicht in der Anonymität verbergen; entweder ist das innere Leben eine persönliche Begegnung mit Gott, oder es gibt kein inneres Leben. Oberflächlichkeit ist nicht Sache des Christen. In unserem asketischen Leben der Routine Einlaß gewähren, würde soviel bedeuten, wie der kontemplativen Seele den Totenschein ausstellen. Gott sucht uns einzeln; und jeder muß Ihm einzeln antworten: Hier bin ich, Herr, denn Du hast mich gerufen (1 Sam 3,5).

Beten, wie wir alle wissen, ist Sprechen mit Gott; aber vielleicht mag jemand fragen: Sprechen wovon? - Wovon sonst als von den Dingen Gottes und den Dingen, die uns jeden Tag beschäftigen. Von der Geburt Jesu, von seinem Wandern durch diese Welt, von seinem Leben im verborgenen und seiner Predigt, von seinen Wundern, von seinem erlösenden Leiden, seinem Kreuz und seiner Auferstehung. Und in der Gegenwart des einen und dreifaltigen Gottes wenden wir uns an Maria als unsere Mittlerin, und an jenen Heiligen als unseren Fürsprecher, den ich so sehr verehre, Josef, unseren Vater und Herrn, und so sprechen wir von unserer täglichen Arbeit, von der Familie, den Freunden und Bekannten, von großen Plänen und kleinen Engherzigkeiten.

Der Stoff meines Gebetes ist der Stoff meines Lebens. Ich jedenfalls halte es so. Und wenn ich mich sehe, wie ich bin, entsteht ganz von selbst der feste Vorsatz, mich zu ändern, mich zu bessern, der Liebe Gottes gegenüber fügsamer zu sein. Und neben diesem aufrichtigen, konkreten Vorsatz darf nicht die drängende, vertrauensvolle Bitte fehlen, der Heilige Geist möge uns nicht verlassen, denn Du, Herr, bist meine Stärke (Ps 42,2).

Wir sind normale Christen; wir sind in sehr verschiedenen Berufen tätig, unsere ganze Arbeit verläuft in normalen, alltäglichen Bahnen, in einem vorhersehbaren Rhythmus. Die Tage scheinen alle gleich, vielleicht sogar gleich eintönig… Und doch, dieses scheinbare Einerlei des Alltags hat einen göttlichen Wert; Gott interessiert es, denn Christus will Fleisch werden in unserem Tun, Er will selbst das unscheinbarste Tun von innen heraus beleben.

Dies ist eine Wirklichkeit des Glaubens, klar und eindeutig; nicht ein billiger Trost für jene, deren Name nicht in das goldene Buch der Geschichte eingehen wird. Christus interessiert diese Arbeit, die wir zu verrichten haben und wenn es tausendmal dieselbe ist - im Büro, in der Fabrik, in der Werkstatt, in der Schule, auf dem Felde, sei sie geistig oder körperlich: Ebenso interessiert Ihn das verborgene Opfer, welches darin besteht, die Galle der eigenen Verbitterung nicht über die anderen auszugießen.

Denkt in eurem Gebet noch einmal über diese Anregungen nach und nehmt sie zum Anlaß, Jesus zu sagen, daß ihr Ihn anbetet. So werdet ihr kontemplativ leben mitten in der Welt, im Lärm der Straße, überall. Dies ist das erste Kapitel in der Schule des Umgangs mit Jesus Christus. In dieser Schule ist Maria die beste Lehrmeisterin, denn immer hat die Mutter Gottes diese gläubige Haltung, diese übernatürliche Sicht der Dinge, bei allem, was um sie herum geschah, bewahrt: Sie bewahrte alle diese Dinge und erwog sie in ihrem Herzen (Lk 2,51).

Flehen wir heute zu Maria, sie möge uns beschaulich machen, sie möge uns lehren, den beständigen Ruf des Herrn vor der Tür unseres Herzens zu verstehen. Bitten wir sie: Du, unsere Mutter, du hast Jesus in die Welt gebracht, der uns die Liebe Gottes, unseres Vaters, offenbart; hilf uns, Ihn zu erkennen mitten in den Dingen und Aufgaben des Alltags; rüttle unseren Verstand und unseren Willen auf, damit wir die Stimme Gottes hören und dem Antrieb der Gnade folgen können.

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