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*Homilie, gehalten am 15. August 1961, Mariä Himmelfahrt

Assumpta est Maria in coelum, gaudent angeli (Antiphon der Vesper von Mariä Himmelfahrt). Gott hat Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Freude herrscht bei den Engeln und bei den Menschen. Woher mag sie kommen, diese innere Freude, daß es scheint, als weite sich uns das Herz und erfülle sich die Seele mit Frieden? Wir freuen uns, weil wir die Verherrlichung unserer Mutter feiern, und es ist nur natürlich, daß wir, ihre Kinder, uns besonders freuen, wenn wir sehen, wie die Allerheiligste Dreifaltigkeit sie ehrt.

Christus, ihr göttlicher Sohn, unser Bruder, hat sie uns auf GoIgotha zur Mutter gegeben, als Er zu Johannes sagte: Siehe da, deine Mutter (Joh 19,27). Und zusammen mit dem geliebten Jünger haben auch wir sie in jenem Augenblick äußerster Trostlosigkeit zur Mutter erhalten. Maria nahm uns in ihren Schmerz auf, als sich die Prophezeiung erfüllte: Deine Seele wird ein Schwert durchdringen (Lk 2,35). Wir alle sind ihre Kinder; sie ist Mutter der gesamten Menschheit. Und jetzt gedenkt die Menschheit des einzigartigen Ereignisses ihrer Aufnahme: Maria fährt in den Himmel auf, Tochter Gottes des Vaters, Mutter Gottes des Sohnes, Braut Gottes des Heiligen Geistes. Nur Gott ist größer als sie.

Geheimnis der Liebe

Es ist ein Geheimnis der Liebe. Die menschliche Vernunft muß hier versagen. Allein der Glaube ist imstande zu verdeutlichen, wie ein Geschöpf zu einer so großen Würde erhoben wurde: Zentrum der Liebe zu sein, in der alles Wohlgefallen der Dreieinigkeit zusammenfließt. Wir wissen, daß wir vor einem göttlichen Geheimnis stehen. Aber da es um unsere Mutter geht, möchten wir gerade hier mehr begreifen - wenn man so sagen darf - als bei anderen Wahrheiten unseres Glaubens.

Was hätten wir getan, wenn wir uns unsere Mutter hätten auswählen können? Ich denke, wir hätten die Mutter gewählt, die wir haben, und wir hätten sie mit allen erdenklichen Vorzügen ausgestattet. Genau das tat Christus: Er ist der Allmächtige, der Allweise und die Güte selbst (Deus caritas est [Gott ist die Liebe, 1 Joh 4, 8]), und so hat seine Macht all sein Wollen Wirklichkeit werden lassen.

Hören wir, wie schon die frühen Christen so dachten: Es war angemessen - schreibt der heilige Johannes Damaszenus - daß diejenige, die bei der Geburt ihre Jungfräulichkeit unversehrt bewahrt hatte, ihren Leib auch nach dem Tode vor jeglicher Verderbnis bewahren würde. Es war angemessen, daß diejenige, die in ihrem Schoß den Kind gewordenen Schöpfer getragen hatte, in den göttlichen Wohnungen ihren Aufenthalt nehmen sollte. Es war angemessen, daß die Braut Gottes in das Haus des Himmels eintreten sollte. Es war angemessen, daß jene, die ihren Sohn am Kreuz gesehen und in ihrem Herzen den Schmerz empfangen hatte, von dem sie bei der Geburt frei geblieben war, Ihn auch zur Rechten des Vaters sitzend schauen sollte. Es war angemessen, daß die Mutter Gottes alles das besitzen sollte, was ihres Sohnes ist, und daß sie von allen Geschöpfen als Mutter und Magd Gottes geehrt werden sollte (Johannes Damaszenus, Homilia II in dormitionem B. V. Mariae, 14 [PG 96, 742]).

Die Theologen haben sich häufig ähnlich ausgedrückt, um irgendwie diese Gnadenfülle zu erfassen, mit der wir Maria bekleidet sehen, und die sich mit der Aufnahme in den Himmel vollendet. Sie sagen: Es war angemessen, Gott konnte es tun, also tat Er es (Vgl. Johannes Duns Scotus, In III Sententiarum, dist. III, q. 1). Das ist die beste Erklärung dafür, daß der Herr seiner Mutter vom ersten Augenblick ihrer unbefleckten Empfängnis an alle nur erdenklichen Vorzüge gewährte. Sie war frei von der Macht Satans; sie ist schön - tota pulchra! - rein und lauter an Seele und Leib.

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