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Wenn wir es nicht von Jesus lernen, werden wir nie lieben. Wenn wir dächten wie manch einer, Reinheit und Gottesnähe des Herzens seien gleichbedeutend mit einem Sichfernhalten und Sich-nicht-anstecken-lassen von menschlichen Regungen, dann wäre das Ergebnis nur Stumpfheit gegenüber dem Schmerz anderer. Wir wären dann nur einer offiziellen, trockenen und herzlosen Liebe fähig, nicht aber der wahren Liebe Christi, die echte Zuneigung und menschliche Wärme bedeutet. Dabei rede ich nicht jenen falschen Theorien das Wort, die nichts weiter sind als traurige Ausreden, um die Herzen auf Irrwege zu leiten - sie von Gott zu entfremden -, um sie dem Anlaß zur Sünde und dem Verderben preiszugeben.

Am heutigen Fest sollen wir den Herrn bitten, daß Er uns ein gutes Herz gebe, fähig, auf das Leid anderer mit Mitleid zu antworten und zu verstehen, daß die Qual, die das Menschenleben auf Erden begleitet und oft viele Seelen ängstigt, nur durch die Liebe gelindert werden kann. Alles andere bringt höchstens eine kurze Ablenkung, die dann nur wieder der Bitterkeit und der Verzweiflung weicht.

Wenn wir den anderen helfen wollen, müssen wir sie mit einer Liebe lieben, die - ich sage es noch einmal - Verständnis und Hingabe, Zuneigung und bewußte Demut ist. So begreifen wir, warum der Herr das ganze Gesetz in einem doppelten Gebot, ja eigentlich in einem einzigen Gebot zusammenfassen wollte: aus ganzem Herzen Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten (Vgl. Mt 22,40).

Vielleicht denkt ihr jetzt, daß die Christen - nicht die anderen, sondern wir: du und ich - manchmal die elementaren Anwendungsfälle dieser Pflicht vergessen. Vielleicht denkt ihr an all die Ungerechtigkeit, die nicht wiedergutgemacht wird, an all die Mißstände, die nicht behoben werden, an die Diskriminierung, die sich von Generation zu Generation fortpflanzt, ohne daß man nach Lösungen sucht, die an die Wurzel des Übels gehen.

Ich kann euch keine konkrete Lösung für diese Probleme anbieten, denn das steht mir nicht zu. Aber als Priester Christi ist es meine Pflicht, euch daran zu erinnern, was die Heilige Schrift sagt. Betrachtet das Bild des Gerichtes, das Jesus selbst schildert: Hinweg von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist. Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir nicht zu essen, ich war durstig, und ihr gabt mir nicht zu trinken. Ich war fremd, und ihr nahmt mich nicht auf, nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet, krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht (Mt 25,41-43).

Ein Mensch oder eine Gesellschaft, die auf die Not und die Ungerechtigkeit nicht reagieren und sich nicht bemühen, sie zu lindern, sind nicht Mensch und nicht Gesellschaft nach dem Maße des liebenden Herzens Christi. Unter ständiger Bewahrung eines weiten Freiheitsraumes bei der Ausarbeitung und Anwendung konkreter Lösungen und folglich innerhalb eines selbstverständlichen Pluralismus müssen die Christen in ihrem Eifer übereinstimmen, der Menschheit zu dienen. Sonst wäre ihr Christentum nicht das Wort und das Leben Jesu, sondern eine Maske und ein Betrug.

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