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Wir wollen jetzt bei einigen der vielen Szenen, die uns im Evangelium erhalten sind, etwas verweilen. Beginnen wir mit den Berichten, die uns Jesus im Kreise der Zwölf zeigen. Der Apostel Johannes, in dessen Evangelium die Erfahrung eines ganzen Lebens spürbar wird, berichtet über jene erste Unterhaltung mit dem Zauber, der über den Dingen liegt, die man niemals mehr vergißt: "Meister, wo wohnst Du?" Er antwortete ihnen: "Kommt und seht." Sie gingen mit Ihm und sahen, wo Er wohnte, und blieben jenen Tag bei Ihm (Joh 1,38-39).

Es war ein göttlicher und zugleich menschlicher Dialog, der das Leben des Johannes und des Andreas, des Petrus, Jakobus und so vieler anderer umwandelte, ein Dialog, der die Herzen darauf vorbereitete, das gebietende Wort aufzunehmen, das Jesus am Galiläischen See an sie richtete: Als Er den Galiläischen See entlang wandelte, sah Er, wie zwei Brüder, Simon, der Petrus genannt wird, und sein Bruder Andreas ihr Netz in den See warfen. Sie waren Fischer. Er sprach zu ihnen: "Folget mir! Ich will euch zu Menschenfischern machen." Auf der Stelle verließen sie ihre Netze und folgten Ihm (Mt 4,18-20).

Die nächsten drei Jahre verbringen die Jünger an der Seite Jesu. Er kennt sie, antwortet auf ihre Fragen, zerstreut ihre Zweifel. Er ist der Rabbi, der Lehrer, der mit Autorität spricht, der von Gott gesandte Messias. Aber zugleich ist Er allen zugänglich und nahe. Eines Tages zieht sich Jesus zum Gebet zurück; die Jünger waren in der Nähe, vielleicht schauten sie auf Ihn und versuchten, seine Worte zu erraten. Als Jesus zurückkehrt, bittet Ihn einer seiner Jünger: Domine, doce nos orare, sicut docuit et Ioannes discipulos suos. Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. Da sprach Er zu ihnen: "Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name…" (Lk 11,1-2)

Mit göttlicher Autorität und zugleich mit menschlichem Feingefühl empfängt der Herr die Apostel, die Ihm voll Staunen über die Früchte ihrer ersten Sendung - von den Erstlingen ihres Apostolates berichten: Kommt allein mit an einen einsamen Ort und ruht ein wenig aus (Mk 6,31).

Eine sehr ähnliche Szene wiederholt sich gegen Ende des Erdenlebens Jesu kurz vor der Himmelfahrt: Als bereits der Morgen dämmerte, stand Jesus am Ufer. Aber die Jünger wußten nicht, daß Jesus es war. Da sprach Jesus zu ihnen: "Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen?"Der als Mensch gefragt hat, spricht nun als Gott: "Werft das Netz zur Rechten des Bootes aus, so werdet ihr etwas finden." Sie warfen es aus und vermochten es vor der Menge der Fische nicht mehr heraufzuziehen. Da sagte der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: "Es ist der Herr."

Und Gott erwartet sie am Ufer: Wie sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer angelegt, einen Fisch darauf und Brot dabei. Jesus sprach zu ihnen: "Bringt von den Fischen, die ihr eben gefangen habt." Da stieg Simon Petrus in das Boot und zog das Netz ans Land, gefüllt mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen; und obschon ihrer so viele waren, zerriß das Netz nicht. Dann sprach Jesus zu ihnen: "Kommt zum Frühmahl." Keiner von den Jüngern wagte zu fragen: Wer bist du? Sie wußten ja, daß es der Herr war. Jesus kam nun, nahm das Brot und reichte es ihnen, ebenso auch den Fisch (Joh 21,4-13).

Dieses Feingefühl und diese Liebe bekundet Jesus nicht nur einer kleinen Gruppe von Jüngern, sondern allen gegenüber: den frommen Frauen, den Vertretern des Hohen Rates wie Nikodemus und den Zöllnern wie Zachäus, den Kranken und den Gesunden, den Schriftgelehrten und den Heiden, einzelnen und Menschenmassen.

Das Evangelium berichtet uns, daß Jesus nichts hatte, wohin Er sein Haupt legen konnte, aber es erzählt uns auch, daß Er geliebte und vertraute Freunde besaß, die Ihn in ihr Haus aufnehmen wollten. Und es berichtet auch von seinem Mitleid mit den Kranken, von seinem Schmerz über die Unwissenden und Irrenden, von seinem Unwillen über die Heuchelei. Jesus weint über den Tod des Lazarus, Er gerät in Zorn angesichts der Händler, die den Tempel entweihen, und das Leid der Witwe von Naim geht Ihm zu Herzen.

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