Maria, Ursache unserer Freude

*Homilie, gehalten am 15. August 1961, Mariä Himmelfahrt

Assumpta est Maria in coelum, gaudent angeli (Antiphon der Vesper von Mariä Himmelfahrt). Gott hat Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Freude herrscht bei den Engeln und bei den Menschen. Woher mag sie kommen, diese innere Freude, daß es scheint, als weite sich uns das Herz und erfülle sich die Seele mit Frieden? Wir freuen uns, weil wir die Verherrlichung unserer Mutter feiern, und es ist nur natürlich, daß wir, ihre Kinder, uns besonders freuen, wenn wir sehen, wie die Allerheiligste Dreifaltigkeit sie ehrt.

Christus, ihr göttlicher Sohn, unser Bruder, hat sie uns auf GoIgotha zur Mutter gegeben, als Er zu Johannes sagte: Siehe da, deine Mutter (Joh 19,27). Und zusammen mit dem geliebten Jünger haben auch wir sie in jenem Augenblick äußerster Trostlosigkeit zur Mutter erhalten. Maria nahm uns in ihren Schmerz auf, als sich die Prophezeiung erfüllte: Deine Seele wird ein Schwert durchdringen (Lk 2,35). Wir alle sind ihre Kinder; sie ist Mutter der gesamten Menschheit. Und jetzt gedenkt die Menschheit des einzigartigen Ereignisses ihrer Aufnahme: Maria fährt in den Himmel auf, Tochter Gottes des Vaters, Mutter Gottes des Sohnes, Braut Gottes des Heiligen Geistes. Nur Gott ist größer als sie.

Geheimnis der Liebe

Es ist ein Geheimnis der Liebe. Die menschliche Vernunft muß hier versagen. Allein der Glaube ist imstande zu verdeutlichen, wie ein Geschöpf zu einer so großen Würde erhoben wurde: Zentrum der Liebe zu sein, in der alles Wohlgefallen der Dreieinigkeit zusammenfließt. Wir wissen, daß wir vor einem göttlichen Geheimnis stehen. Aber da es um unsere Mutter geht, möchten wir gerade hier mehr begreifen - wenn man so sagen darf - als bei anderen Wahrheiten unseres Glaubens.

Was hätten wir getan, wenn wir uns unsere Mutter hätten auswählen können? Ich denke, wir hätten die Mutter gewählt, die wir haben, und wir hätten sie mit allen erdenklichen Vorzügen ausgestattet. Genau das tat Christus: Er ist der Allmächtige, der Allweise und die Güte selbst (Deus caritas est [Gott ist die Liebe, 1 Joh 4, 8]), und so hat seine Macht all sein Wollen Wirklichkeit werden lassen.

Hören wir, wie schon die frühen Christen so dachten: Es war angemessen - schreibt der heilige Johannes Damaszenus - daß diejenige, die bei der Geburt ihre Jungfräulichkeit unversehrt bewahrt hatte, ihren Leib auch nach dem Tode vor jeglicher Verderbnis bewahren würde. Es war angemessen, daß diejenige, die in ihrem Schoß den Kind gewordenen Schöpfer getragen hatte, in den göttlichen Wohnungen ihren Aufenthalt nehmen sollte. Es war angemessen, daß die Braut Gottes in das Haus des Himmels eintreten sollte. Es war angemessen, daß jene, die ihren Sohn am Kreuz gesehen und in ihrem Herzen den Schmerz empfangen hatte, von dem sie bei der Geburt frei geblieben war, Ihn auch zur Rechten des Vaters sitzend schauen sollte. Es war angemessen, daß die Mutter Gottes alles das besitzen sollte, was ihres Sohnes ist, und daß sie von allen Geschöpfen als Mutter und Magd Gottes geehrt werden sollte (Johannes Damaszenus, Homilia II in dormitionem B. V. Mariae, 14 [PG 96, 742]).

Die Theologen haben sich häufig ähnlich ausgedrückt, um irgendwie diese Gnadenfülle zu erfassen, mit der wir Maria bekleidet sehen, und die sich mit der Aufnahme in den Himmel vollendet. Sie sagen: Es war angemessen, Gott konnte es tun, also tat Er es (Vgl. Johannes Duns Scotus, In III Sententiarum, dist. III, q. 1). Das ist die beste Erklärung dafür, daß der Herr seiner Mutter vom ersten Augenblick ihrer unbefleckten Empfängnis an alle nur erdenklichen Vorzüge gewährte. Sie war frei von der Macht Satans; sie ist schön - tota pulchra! - rein und lauter an Seele und Leib.

Das Geheimnis des stillen Opfers

Aber bedenkt: wohl hat Gott seine Mutter hoch erheben wollen, doch es ist gleichermaßen wahr, daß Maria in ihrem irdischen Leben weder die Erfahrung des Schmerzes noch die Mühsal der Arbeit, noch das Helldunkel des Glaubens erspart geblieben sind. Jene Frau aus dem Volke, die eines Tages in einen Lobruf auf Jesus ausbricht und ruft: Selig der Leib, der dich getragen, und die Brust, die dich genährt hat, erhält vom Herrn zur Antwort: Ja selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen (Lk 11,27-28). Es war das Lob seiner Mutter, ihres aufrichtigen, hingebungsvollen und bis zum Letzten gelebten fiat, es geschehe (Lk 1,38), daß sich nicht in auffälliger Weise kundtat, sondern im verborgenen und stillen Opfer des Alltags.

Wenn wir diese Wahrheiten betrachten, verstehen wir die Logik Gottes ein wenig besser; es wird uns klar, daß der übernatürliche Wert unseres Lebens nicht davon abhängt, ob die großen Taten, die unsere Phantasie sich manchmal ausmalt, Wirklichkeit werden, sondern davon, daß wir den göttlichen Willen treu annehmen und mit ganzer Bereitschaft die kleinen Opfer jeden Tages tragen.

Um göttlich zu sein, um vergöttlicht zu werden, müssen wir zunächst ganz menschlich sein, müssen wir mit dem Blick auf Gott unser gewöhnliches menschliches Dasein leben und das scheinbar Geringe heiligen. So lebte Maria. Sie, die, voll der Gnade, Ziel des göttlichen Wohlgefallens ist, erhaben über die Engel und Heiligen, führte ein normales Leben. Maria ist ein Geschöpf wie wir, mit einem Herzen wie das unsere, fähig zu Jubel und Freude, zu Leid und Tränen. Bevor der Engel Gabriel ihr den Willen Gottes mitteilt, weiß Unsere Liebe Frau nicht, daß sie von aller Ewigkeit her auserwählt worden ist, die Mutter des Messias zu werden. Sie sieht sich selbst voll Niedrigkeit (Vgl. Lk 1, 48): Deshalb erkennt sie später in tiefer Demut, daß an ihr Großes tat der Mächtige (Lk 1, 49).

Die Reinheit, die Demut und die Großherzigkeit Mariens stehen im Gegensatz zu unserer Erbärmlichkeit, zu unserem Egoismus. Wozu sonst sollten wir uns dies vor Augen halten, wenn nicht, um uns angespornt zu fühlen, sie nachzuahmen. Wir sind Geschöpfe Gottes wie sie, und wenn wir uns nur bemühen, treu zu sein, wird der Herr auch in uns Großes vollbringen. Daß wir nur wenig bedeuten, ist kein Hindernis: denn Gott wählt das Geringe aus, damit die Kraft seiner Liebe um so mächtiger aufstrahlt (Vgl. 1 Kor 1,27-29).

Unsere Liebe Frau nachahmen

Unsere Mutter ist darin Vorbild, wie sie der Gnade entspricht. Wenn wir ihr Leben betrachten, wird uns der Herr Klarheit schenken, damit wir unser gewöhnliches Dasein vergöttlichen können. Wir Christen denken oft an die Mutter Gottes: im Laufe des Jahres, wenn wir die Marienfeste feiern, wie auch oft mitten im gewöhnlichen Alltag. Wenn wir diese Gelegenheiten nutzen und uns dabei vorstellen, wie Maria den Aufgaben, die uns beschäftigen, nachgehen würde, so werden wir ständig hinzulernen: und schließlich werden wir ihr ähnlich sein wie Kinder ihrer Mutter.

An erster Stelle ist ihre Liebe nachahmenswert. Die Liebe darf es nicht bei Gefühlen bewenden lassen: Sie soll in Worten bestehen, vor allem aber in Werken. Die Mutter Gottes sagte ihr fiat nicht nur, sondern sie verwirklichte diesen festen, unwiderruflichen Entschluß in jedem Augenblick ihres Lebens. So auch wir: wenn die Gottesliebe unser Herz unruhig macht und wir den göttlichen Willen erkannt haben, dann müssen wir uns auch entschließen, treu und loyal zu sein, und diesen Entschluß wirksam werden lassen. Denn nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist (Mt 7,21).

Auch ihre vollendete Art im Natürlichen und Übernatürlichen sollen wir nachahmen. Maria ist in der Heilsgeschichte ein bevorzugtes Geschöpf, denn in ihr ist das Wort Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (Joh 1,14). Sie war feinfühlender Zeuge und blieb unauffällig; es mißfiel ihr, Lob zu empfangen, denn ihr Trachten ging nicht auf eigene Ehre. Maria ist zugegen in den Geheimnissen der Kindheit ihres Sohnes - vielleicht dürfen wir sie normale Geheimnisse nennen -, aber zur Stunde der großen Wunder und der begeisterten Menge ist sie nicht da. Maria ist nicht da, als Christus in Jerusalem - auf einem Esel reitend - als König umjubelt wird. Aber sie erscheint wieder unter dem Kreuz, als alle fliehen. Ihr unauffälliges Verhalten zeigt die Größe, Tiefe und Heiligkeit ihrer Seele.

Versuchen wir von ihr zu lernen, folgen wir ihrem Beispiel im Gehorsam gegenüber Gott, in dieser unauffälligen Verbindung von Dienen und Herrschen. In Maria ist nichts von jener Haltung der törichten Jungfrauen, die zwar gehorchen, aber ohne zu überlegen. Unsere Liebe Frau hört aufmerksam auf das, was Gott will, erwägt, was sie nicht versteht, fragt, was sie nicht weiß. Dann liefert sie sich ganz dem göttlichen Willen aus: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort (Lk 1,38). Seht ihr das Wunderbare? Maria, die Lehrmeisterin unseres Lebens, zeigt uns hier, daß der Gehorsam gegenüber Gott nicht Unterwürfigkeit ist und das Gewissen nicht unterjocht, sondern er bringt uns in unserem Inneren dazu, die Freiheit der Kinder Gottes (Vgl. Röm 8,21) zu entdecken.

Die Schule des Gebetes

Ihr werdet mit der Hilfe Gottes noch viele andere Aspekte entdeckt haben in der Art, wie Maria der Gnade entspricht, und jede Beobachtung für sich ist schon eine Aufforderung, sie zum Vorbild zu nehmen: ihre Reinheit, ihre Demut, ihre Stärke, ihre Großherzigkeit, ihre Treue… Ich möchte jetzt von einem Zug im Leben Mariens sprechen, der alles andere einschließt, denn er ist der Nährboden des geistlichen Fortschritts: das Gebetsleben.

Wenn die Gnade wirksam werden soll, die uns unsere Mutter am heutigen Tage bringt, und wenn wir in jedem Augenblick den Eingebungen des Heiligen Geistes, des Hirten unserer Seele, folgen wollen, dann müssen wir uns ernsthaft aufgefordert fühlen, von uns aus den Umgang mit Gott zu suchen. Wir dürfen uns nicht in der Anonymität verbergen; entweder ist das innere Leben eine persönliche Begegnung mit Gott, oder es gibt kein inneres Leben. Oberflächlichkeit ist nicht Sache des Christen. In unserem asketischen Leben der Routine Einlaß gewähren, würde soviel bedeuten, wie der kontemplativen Seele den Totenschein ausstellen. Gott sucht uns einzeln; und jeder muß Ihm einzeln antworten: Hier bin ich, Herr, denn Du hast mich gerufen (1 Sam 3,5).

Beten, wie wir alle wissen, ist Sprechen mit Gott; aber vielleicht mag jemand fragen: Sprechen wovon? - Wovon sonst als von den Dingen Gottes und den Dingen, die uns jeden Tag beschäftigen. Von der Geburt Jesu, von seinem Wandern durch diese Welt, von seinem Leben im verborgenen und seiner Predigt, von seinen Wundern, von seinem erlösenden Leiden, seinem Kreuz und seiner Auferstehung. Und in der Gegenwart des einen und dreifaltigen Gottes wenden wir uns an Maria als unsere Mittlerin, und an jenen Heiligen als unseren Fürsprecher, den ich so sehr verehre, Josef, unseren Vater und Herrn, und so sprechen wir von unserer täglichen Arbeit, von der Familie, den Freunden und Bekannten, von großen Plänen und kleinen Engherzigkeiten.

Der Stoff meines Gebetes ist der Stoff meines Lebens. Ich jedenfalls halte es so. Und wenn ich mich sehe, wie ich bin, entsteht ganz von selbst der feste Vorsatz, mich zu ändern, mich zu bessern, der Liebe Gottes gegenüber fügsamer zu sein. Und neben diesem aufrichtigen, konkreten Vorsatz darf nicht die drängende, vertrauensvolle Bitte fehlen, der Heilige Geist möge uns nicht verlassen, denn Du, Herr, bist meine Stärke (Ps 42,2).

Wir sind normale Christen; wir sind in sehr verschiedenen Berufen tätig, unsere ganze Arbeit verläuft in normalen, alltäglichen Bahnen, in einem vorhersehbaren Rhythmus. Die Tage scheinen alle gleich, vielleicht sogar gleich eintönig… Und doch, dieses scheinbare Einerlei des Alltags hat einen göttlichen Wert; Gott interessiert es, denn Christus will Fleisch werden in unserem Tun, Er will selbst das unscheinbarste Tun von innen heraus beleben.

Dies ist eine Wirklichkeit des Glaubens, klar und eindeutig; nicht ein billiger Trost für jene, deren Name nicht in das goldene Buch der Geschichte eingehen wird. Christus interessiert diese Arbeit, die wir zu verrichten haben und wenn es tausendmal dieselbe ist - im Büro, in der Fabrik, in der Werkstatt, in der Schule, auf dem Felde, sei sie geistig oder körperlich: Ebenso interessiert Ihn das verborgene Opfer, welches darin besteht, die Galle der eigenen Verbitterung nicht über die anderen auszugießen.

Denkt in eurem Gebet noch einmal über diese Anregungen nach und nehmt sie zum Anlaß, Jesus zu sagen, daß ihr Ihn anbetet. So werdet ihr kontemplativ leben mitten in der Welt, im Lärm der Straße, überall. Dies ist das erste Kapitel in der Schule des Umgangs mit Jesus Christus. In dieser Schule ist Maria die beste Lehrmeisterin, denn immer hat die Mutter Gottes diese gläubige Haltung, diese übernatürliche Sicht der Dinge, bei allem, was um sie herum geschah, bewahrt: Sie bewahrte alle diese Dinge und erwog sie in ihrem Herzen (Lk 2,51).

Flehen wir heute zu Maria, sie möge uns beschaulich machen, sie möge uns lehren, den beständigen Ruf des Herrn vor der Tür unseres Herzens zu verstehen. Bitten wir sie: Du, unsere Mutter, du hast Jesus in die Welt gebracht, der uns die Liebe Gottes, unseres Vaters, offenbart; hilf uns, Ihn zu erkennen mitten in den Dingen und Aufgaben des Alltags; rüttle unseren Verstand und unseren Willen auf, damit wir die Stimme Gottes hören und dem Antrieb der Gnade folgen können.

Lehrmeisterin der Apostel

Aber denkt nicht nur an euch selbst: weitet euer Herz, bis es die ganze Menschheit umfaßt. Denkt zuallererst an diejenigen, die in eurer Nähe sind - Verwandte, Freunde, Kollegen - und fragt euch, wie ihr in ihnen ein tieferes Gespür für die Freundschaft mit unserem Herrn wachrufen könnt. Wenn sie aufrechte, gute Menschen sind, fähig, dem Herrn besonders nahe zu folgen, so empfehlt sie ganz besonders Unserer Lieben Frau. Und betet auch für die vielen Menschen, die ihr nicht kennt, denn wir sind alle an Bord desselben Schiffes.

Seid loyal, seid großherzig. Wir sind alle Teil eines einzigen Leibes, des mystischen Leibes Christi, der heiligen Kirche, zu der viele berufen sind, die mit reinem Herzen nach der Wahrheit suchen. Aus diesem Grunde haben wir die ernste Pflicht, den anderen die Wärme und Tiefe der Liebe Christi kundzutun. Der Christ kann nicht egoistisch sein; wenn er es wäre, würde er seine ureigenste Berufung verraten. Es ist nicht im Sinne Christi, sich damit zu begnügen, die eigene Seele in Frieden zu wiegen - ein falscher Frieden wäre das - und sich nicht um das Wohl der anderen zu kümmern. Wenn wir uns dem eigentlichen Sinn des menschlichen Lebens geöffnet haben - und er ist uns ja durch den Glauben geoffenbart worden -, dann kann uns unser eigenes Bemühen, gut und christlich zu leben, nicht genügen, sondern wir werden alles tun - praktisch und konkret -, damit andere Menschen durch uns Gott näherkommen.

Es gibt ein wirkliches Hindernis für das Apostolat: eine falsche Rücksichtnahme und die Furcht, über Themen des Glaubens zu sprechen, in der Annahme, ein solches Gespräch könnte in bestimmten Kreisen schlecht ankommen, weil die Gefahr besteht, persönliche Empfindlichkeiten zu treffen. Wie oft ist dieser Einwand nur die Maske des Egoismus: Es geht nicht darum, jemanden zu verletzen, im Gegenteil, es geht darum zu dienen. Auch wenn wir persönlich nicht würdig sind, hat uns die Gnade Gottes zu Werkzeugen gemacht, die den andern helfen können, indem wir ihnen die frohe Botschaft bringen von Gott, unserem Retter, dessen Wille es ist, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1 Tim 2,4).

Aber darf man sich auf diese Weise in das Leben der anderen einmischen? Ja, man muß es. Christus hat sich in unser Leben eingemischt, ohne uns um Erlaubnis zu bitten. Genauso tat Er es mit den ersten Jüngern: Als Er am Ufer des Sees von Galiläa entlangging, sah Er, wie Simon und Andreas, der Bruder Simons, ihre Netze in den See auswarfen. Sie waren Fischer. Jesus sprach zu ihnen: "Folget mir! Ich will euch zu Menschenfischern machen!" (Mk 1,16-17) Jeder behält die Freiheit - eine falsch verstandene Freiheit -, Gott mit einem Nein zu antworten, wie jener reiche junge Mann im Evangelium des heiligen Lukas (Vgl. Lk 18,23). Aber der Herr und wir - indem wir seinem Gehet hin und lehret (Vgl. Mk 16,15) gehorchen - haben das Recht und die Pflicht, von Gott zu reden, von diesem großen Thema der Menschen; denn die Sehnsucht nach Gott ist das Tiefste, was aus einem menschlichen Herzen hervorgeht.

Heilige Maria, Regina apostolorum, Königin aller, die sich danach sehnen, die Liebe deines Sohnes bekannt zu machen: bitte du, die so gut unsere Erbärmlichkeit versteht, um Vergebung für unser Leben: für das, was in uns hätte Glut sein können und nur Asche war; für das Licht, das nicht mehr leuchtet; für das Salz, das schal geworden ist. Mutter Gottes, du allmächtige Fürsprecherin: gib uns mit der Vergebung die Kraft eines Lebens ganz aus dem Glauben und aus der Liebe, damit wir den anderen den Glauben an Christus bringen können.

Nur ein Weg: persönliche Heiligkeit

Der beste Weg, um die apostolische Kühnheit und den Drang, allen Menschen zu dienen, niemals zu verlieren, ist die Fülle eines Lebens aus dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe; mit einem Wort: die Heiligkeit. Ich finde kein anderes Rezept als dieses: persönliche Heiligkeit.

Heute feiern wir in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche den Triumph der Mutter, Tochter und Braut Gottes. Und so wie wir uns am dritten Tage nach dem Tod des Herrn über seine Auferstehung freuten, so freuen wir uns jetzt darüber, daß Maria, nachdem sie Jesus von Bethlehem bis unter das Kreuz begleitet hat, ganz bei Ihm ist, mit Leib und Seele, und die Freude der ewigen Herrlichkeit genießt. Dies ist der geheimnisvolle Heilsplan Gottes: Unsere Liebe Frau, die zur vollen Teilhabe am Werk unserer Erlösung bestimmt wurde, sollte ihrem Sohn immer ganz nahe folgen: in der Armut von Bethlehem, im verborgenen Leben gewöhnlicher Arbeit in Nazareth, im Offenbarwerden der Göttlichkeit zu Kana in Galiläa, in der Schmach des Leidens und im göttlichen Opfer am Kreuz, in der ewigen Seligkeit des Himmels.

Dies alles geht uns unmittelbar an, denn dieser übernatürliche Weg muß auch unser Weg sein. Maria zeigt uns, daß dies ein gangbarer, ein sicherer Pfad ist. Sie ist uns vorausgegangen auf den Spuren der Nachfolge Christi, und die Verherrlichung unserer Mutter ist die feste Hoffnung auf unser eigenes Heil; darum nennen wir sie spes nostra und causa nostrae laetitiae, unsere Hoffnung und Ursache unserer Freude.

Wir dürfen niemals die Zuversicht verlieren, daß wir einmal heilig werden, daß wir der Einladung Gottes folgen und beharrlich sind bis ans Ende. Gott, der in uns das Werk der Heiligung begonnen hat, wird es auch vollenden (Vgl. Phil 1,6). Denn wenn der Herr für uns ist, wer ist gegen uns? Der seines eigenen Sohnes nicht schonte, sondern für uns alle Ihn hingab, wie sollte Er mit Ihm uns nicht auch alles schenken? (Röm 8,31-32)

An diesem Fest lädt alles zur Freude ein. Die sichere Hoffnung auf unsere persönliche Heiligung ist eine Gabe Gottes; aber der Mensch darf nicht untätig bleiben. Erinnert euch an die Worte Christi: Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich, und so folge er mir (Lk 9,23). Seht ihr? Täglich das Kreuz. Nulla dies sine cruce! Kein Tag ohne Kreuz; kein Tag, an dem wir nicht das Kreuz des Herrn tragen, an dem wir nicht sein Joch auf uns nehmen. Aus diesem Grunde möchte ich es nicht unterlassen, euch daran zu erinnern, daß die Freude der Auferstehung dem Leid des Kreuzes entspringt.

Habt nun aber keine Furcht, denn der Herr selbst hat uns gesagt: Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht (Mt 11,28-30). Kommt, - so schreibt der heilige Johannes Chrysostomus - nicht um Rechenschaft abzulegen, sondern um von euren Sünden befreit zu werden; kommt, denn ich habe eure Ehre, die ihr mir erweisen könnt, nicht nötig: eure Rettung habe ich nötig… Fürchtet euch nicht, wenn ihr von Joch hört, denn es ist sanft; fürchtet euch nicht, wenn ich von Bürde spreche, denn sie ist leicht (Johannes Chrysostomus, In Matthaeum homiliae, 37,2 [PG 57,414]).

Der Weg unserer persönlichen Heiligung führt Tag für Tag über das Kreuz. Doch trostlos ist dieser Weg nicht, denn Christus selbst hilft uns, und bei Ihm kann es keine Traurigkeit geben. In laetitia, nulla dies sine cruce! pflege ich oft zu sagen: die Seele von Freude durchdrungen, keinen Tag ohne Kreuz.

Die christliche Freude

Greifen wir noch einmal das Thema auf, das uns heute die Kirche vor Augen führt: Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgefahren, die Engel jubeln! Ich denke auch an den Jubel des heiligen Josef, ihres keuschen Gemahls, der sie im Paradies erwartet hat. Aber kehren wir auf die Erde zurück. Der Glaube versichert uns, daß unser Leben auf der Erde eine Zeit der Pilgerschaft ist, eine Reise, auf der Opfer, Leid und Entbehrungen nicht fehlen werden. Immer aber soll die Freude ihr Kontrapunkt sein.

Dienet dem Herrn in Freuden (Ps 99,2). Es gibt keine andere Weise, Ihm zu dienen. Den fröhlichen Geber liebt Gott (2 Kor 9,7), den, der sich in einem freudigen Opfer ganz hingibt, denn es gibt keinen Grund zur Trauer.

Vielleicht werdet ihr dies für einen übertriebenen Optimismus halten, denn jeder Mensch kennt seine Unzulänglichkeiten und sein Versagen, jeder erfährt Leid, Müdigkeit, Undankbarkeit, vielleicht auch Haß. Wieso sollten wir Christen, die wir den anderen gleich sind, von diesen Gegebenheiten des Menschseins ausgenommen sein?

Es wäre naiv, wollte man die immer wiederkehrende Gegenwart des Leidens und der Entmutigung, der Trauer und der Einsamkeit während unserer Pilgerschaft auf der Erde leugnen. Durch den Glauben haben wir mit Sicherheit erkannt, daß dies alles kein Werk des Zufalls ist, und daß die Bestimmung des Geschöpfes kein Zuschreiten auf die Vernichtung seines Strebens nach Glück ist. Der Glaube lehrt uns, daß alles einen gottgewollten Sinn hat, denn alles gehört zum innersten Kern der Berufung, die uns ins Haus des Vaters führt. Dieses übernatürliche Verständnis des irdischen Daseins eines Christen will nicht die vielfältigen Zusammenhänge im Leben des Menschen verharmlosen, sie gibt vielmehr dem Menschen die Sicherheit, daß diese Vielfalt vom Nerv der Liebe Gottes durchzogen wird, von einem starken und unzerstörbaren Band, welches das Leben auf der Erde mit dem Leben in der endgültigen Heimat verbindet.

Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel führt uns die Wirklichkeit dieser freudigen Hoffnung vor Augen. Noch sind wir unterwegs, aber unsere Mutter ist uns vorausgegangen und weist uns das Ziel des Weges. Sie sagt uns immer wieder, daß es möglich ist, dorthin zu gelangen, und daß wir auch wirklich ankommen werden, wenn wir treu sind. Denn die Mutter Gottes ist nicht nur unser Vorbild: sie ist die Hilfe der Christen. Und sie kann und will es uns nicht abschlagen, sich mit mütterlicher Fürsorge um ihre Kinder zu kümmern, wenn wir nur darum bitten: Monstra te esse Matrem (Hymnus Ave maris stella).

Die Freude ist ein christliches Gut. Einzig bei der Beleidigung Gottes schwindet sie: denn die Sünde ist die Folge des Egoismus, und der Egoismus ist die Ursache der Traurigkeit. Aber selbst dann bleibt die Freude noch in einem Winkel der Seele, denn es steht fest, daß Gott und seine Mutter niemals die Menschen vergessen. Wenn wir umkehren, wenn aus unserem Herzen ein Reueakt aufsteigt, wenn wir uns im heiligen Sakrament der Buße reinigen, dann kommt Gott uns entgegen und verzeiht uns; und es gibt keine Traurigkeit mehr: da ist es angebracht, fröhlich zu sein; denn dieser dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden (Lk 15,32).

Mit diesen Worten schließt das Gleichnis vom verlorenen Sohn, das wir immer wieder betrachten sollten: Siehe, der Vater kommt dir entgegen; er wird sich zu dir herabbeugen, er wird dir einen Kuß geben, als Unterpfand seiner Liebe und Zärtlichkeit; er wird befehlen, daß man dir ein Kleid, einen Ring und Schuhe reicht. Noch fürchtest du einen Tadel, er aber gibt dir einen Kuß; du hast Angst vor einem zornigen Wort, und er bereitet dir ein Gastmahl (Ambrosius, Expositio Evangelii secundum Lucam, 7 [PL 15, 1540]).

Die Liebe Gottes ist unauslotbar. Wenn Er so mit dem verfährt, der Ihn beleidigt hat, was wird Er dann tun, um seine Mutter zu ehren, die Unbefleckte, Virgo fidelis, die allerheiligste Jungfrau, die allzeit Getreue?

Wenn die Liebe Gottes sich da schon als so groß erweist, wo das Fassungsvermögen des - oft verräterischen - menschlichen Herzens so gering ist, wie wird diese Liebe im Herzen Mariens sein, die dem Willen Gottes niemals auch nur das geringste Hindernis entgegengestellt hat?

Seht, wie das Unvermögen, die unendliche Barmherzigkeit des Herrn mit dem menschlichen Denken zu erfassen, einen Widerhall in der Liturgie des heutigen Tages findet; sie erklärt nicht, sie singt; sie weckt die Phantasie, damit jeder seine Begeisterung in den Lobgesang miteinfließen läßt. Denn keiner von uns vermag in seinen kühnsten Vorstellungen an die Wirklichkeit heranzureichen: Am Himmel erschien ein großes Zeichen! Eine Frau, mit der Sonne umkleidet, den Mond unter ihren Füßen und eine Krone von zwölf Sternen auf ihrem Haupte (Offb 12,1). Nach deiner Schönheit verlanget den König. Gekleidet in farbige Pracht, wird die Königstochter zum König geführt (Ps 44,12-14).

Die Liturgie wird mit Worten Mariens schließen, in denen sich die größte Demut mit der größten Verherrlichung verbindet: Von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter. Großes hat an mir getan der Mächtige (Lk 1,48-49).

Cor Mariae dulcissimum, iter para tutum; liebenswertestes Herz Mariens, gib uns Kraft und Sicherheit auf unserem Erdenweg; sei du selbst unser Weg, denn du kennst ja den Pfad und die sichere Abkürzung, die über deine Liebe zur Liebe Jesu Christi hinführt.

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